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Atropin



Strukturformel
Allgemeines
Name Atropin; (±)-Hyoscyamin
Andere Namen
  • Tropintropat
  • β-Phenyl-γ-hydroxypropionsäuretropylester
Summenformel C17H23NO3
CAS-Nummer 51-55-8
Kurzbeschreibung farblose Prismen
Eigenschaften
Molare Masse 289,38 g·mol−1
Aggregatzustand fest
Schmelzpunkt 118 °C [1]
Löslichkeit
  • gut löslich in Wasser (2,2 g/l bei 25 °C) [1]
Sicherheitshinweise
Gefahrstoffkennzeichnung
R- und S-Sätze R: 26/28
S: 25-45
LD50

75 mg/kg (Maus, oral) [1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Atropin (abgeleitet von Atropos, griechische Schicksalsgöttin) ist ein giftiges Tropan-Alkaloid. Es handelt sich um ein Racemat (1:1 Mischung) aus den Isomeren R- und S-Hyoscyamin, das sich bei der Isolierung aus S-Hyoscyamin bildet. S-Hyoscyamin kommt in Nachtschattengewächsen wie Alraune (Mandragora), Engelstrompete (Brugmansia) und Stechapfel (Datura stramonium) vor. Seinen Namen verdankt das Alkaloid der Tollkirsche (Atropa belladonna).

Inhaltsverzeichnis

Atropin als chirale Verbindung

Atropin ist die racemisierte Form des natürlich vorkommenden S-Hyoscyamin. Die Racemisierung findet in der Regel schon bei der Isolierung statt (durch Behandlung mit Laugen), kann aber durch Wahl schonender Isolierungsmethoden vermieden werden. Reines R-Hyoscyamin kommt nicht natürlich vor und ist physiologisch kaum aktiv, daher kann zu therapeutischen Zwecken auf eine Enantiomerentrennung verzichtet werden. Aufgrund des niedrigen pH-Wertes der Magensäure würde bei Einnahme ohnehin eine Racemisierung im Körper stattfinden, wie etwa auch beim Conterganwirkstoff Thalidomid.

Das S-Hyoscyamin ist ein Ester der Tropasäure mit α-Tropin und zählt somit zu den Tropan-Alkaloiden. Allein das 1:1 Gemisch von R- und S-Hyoscyamin wird Atropin genannt (vgl. Cahn-Ingold-Prelog-Konvention zur Benennung). Ein dem Hyoscyamin strukturell nah verwandtes Alkaloid ist das Scopolamin (Hyoscin).

Atropin als Gegengift

In der Medizin findet Atropin Verwendung, um den Parasympathikus zu blockieren. Es unterbricht die Signalübertragung in der Nervenleitung. Atropin ist also ein Parasympatholytikum bzw. Vagolytikum (Vagus = Größter Nerv des Parasympathikus). Atropin hemmt die muskarinartigen Wirkungen des Acetylcholins durch kompetitive Inhibition der Acetylcholinrezeptoren an der postsynaptischen Membran (an der neuromuskulären Endplatte). Aus diesem Grund wird es als Antidot bei Vergiftungen mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln (Insektiziden) und Nervenkampfstoffen eingesetzt, deren toxische Wirkung auf einer irreversiblen Hemmung der Acetylcholinesterase beruhen (z. B. organische Phosphorsäureester und Phosphonsäureester wie Parathion, Tabun oder Paraoxon). Patienten (z. B. mit Sarin kontaminierte Soldaten) werden per Autoinjektor Gaben von 2 mg Atropinsulfat bzw. 2 mg Atropinsulfat plus 220 mg Obidoximchlorid verabreicht. Atropin muss in ausreichenden Mengen im Notfalldepot jeder Apotheke vorhanden sein.

Atropin vermindert die Speichel- und Schleimsekretion, was bei Operationen im Mund und Rachenbereich sowie bei fiberoptischen Intubationen und Bronchoskopien genutzt werden kann.

Narkose

Es kann bei der Einleitung oder während einer Narkose vor allem bei niedriger Herzfrequenz verwendet werden. Es hemmt vor allem die M1-, M2- und M3-Rezeptoren und verursacht so eine Anhebung der Herzfrequenz (M2), eine Reduktion der Magensäureproduktion (M1) sowie eine Speichelreduktion (M3). Weiter eine dezente Bronchodilatation (M3), was alles in allem einen Vorteil für die Narkoseeinleitung bedeutet. Als Asthmamittel wird es nicht mehr eingesetzt, stattdessen werden besser verträgliche Derivate eingesetzt.

Medizinische Anwendung

Atropin wird in der Augenheilkunde als Mydriatikum zur Erweiterung der Pupillen und selten im Bereich des Magen-Darm-Trakts bei Krämpfen der glatten Muskulatur eingesetzt. Zusätzlich kann Atropin bei erschwerter Blasenentleerung, bei Harninkontinenz und zur Behandlung einer Reizblase gegeben werden. In der Frauenheilkunde wurde Atropin selten bei Dysmenorrhoe (schmerzhafte Regelblutung) eingesetzt. Den gleichen Effekt erzielt man heute mit Butylscopolamin, einem chemisch weiterentwickelten Derivat des Scopolamins, das entspannend auf die verkrampfte glatte Muskulatur wirkt und aufgrund der geringeren Nebenwirkungen frei erhältlich ist. Außerdem wird Atropin auch gegen übermäßiges Schwitzen (Hyperhidrose) eingesetzt (Off-Label-Use). Weiter hat es einen festen Platz in der kardio-pulmonalen Reanimation bei Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität (PEA).

Wirkungen

Es hat folgende Wirkungen:

  • Blockade des Parasympathikus (= Vagus und sakrolumbale Nervenfasern), genannt Vagolyse, daher ein Gegenmittel bei Vergiftungen durch Phosphorsäureester z.B. Tabun, Sarin oder Parathion
    • Beschleunigung der Herzfrequenz
    • Weitstellung der Bronchien
    • Weitstellung der Pupillen (vgl. auch Atropa Belladonna, Schwarze Tollkirsche)
    • Austrocknung der Schleimhäute und stark verminderte Schweißbildung

Missbrauch, Überdosierung, Vergiftung

Vor einer Einnahme als Rauschdroge ist zu warnen. Die therapeutische Breite des Stoffes ist gering, die Wirkungen auf Herz und Kreislauf stehen im Vordergrund und sind schon bei geringen Dosen nachweisbar (z. B. 0,5 mg zur Narkoseeinleitung, 3 mg als Maximaldosis bei der Reanimation). Psychische Wirkungen sind also erst in einem Stadium zu erwarten, bei dem Herz und Kreislauf maximal überlastet sind.

Als Vergiftungssymptome wird wie bei anderen Vergiftungen (siehe anticholinerges Syndrom) von Rötungen der Haut, Mydriasis, Herzrasen und Verwirrtheit wie Halluzinationen berichtet. Anschließend tritt eine schwere Bewusstlosigkeit ein; bei einer Atemlähmung sind die Vergiftungen in der Regel tödlich. Als Obduktionsergebnisse sind typischerweise Leberverfettung und subepikardiale Ekchymosen erwähnt worden. Ansonsten sind die Befunde uncharakteristisch. Ab 10 mg treten Delirien und Halluzinationen auf. Bei 100 mg setzt eine tödliche Atemlähmung ein. Insbesondere Kinder reagieren bei viel geringeren Dosen: Schon 2 mg (entsprechen drei bis fünf Tollkirschen) genügen für eine tödliche Dosis.

Neben Vergiftungen durch freiwilligen oder unfreiwilligen Verzehr von Pflanzenteilen (zum Beispiel Tollkirsche) kommen medizinale Vergiftungen infolge Überdosierung, Verwechslung oder falscher Anwendung vor.

Die Erste Hilfe bei Atropin-Vergiftung besteht in sofortiger Entleerung des Magen-Darm-Traktes (Erbrechen, Magenspülung) sowie erforderlichenfalls künstlicher Beatmung bzw. Atemspende.

Geschichte – Renaissance

Große Pupillen galten während der Renaissance unter europäischen Frauen als schön. Gerade in höchsten Gesellschaftsschichten war die Einnahme der (S)-Hyoscyamin enthaltenden Tollkirsche nicht selten.

Quellen

  1. a b c Atropin bei ChemIDplus

Siehe auch

Das strukturell ähnliche Tropan-Alkaloid Scopolamin.

Bitte beachten Sie den Hinweis zu Gesundheitsthemen!
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Atropin aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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