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EPR-Effekt



Der EPR-Effekt (nach den Autoren des Artikels, in dem er das erste Mal behandelt wurde – Einstein, Podolski (oder Podolsky, es handelt sich um eine nicht eindeutige Übersetzung aus dem Russischen) , Rosen -, zuweilen auch EPR-Paradoxon genannt), ist ein zunächst als Gedankenexperiment, später aber auch im Labor nachgewiesener Effekt in der Quantenmechanik, der erkennen lässt, dass die Quantenmechanik gegen eine Grundannahme klassischer Theorien, den sog. lokalen Realismus, verstößt. In der ursprünglichen Formulierung ihres Gedankenexperiments ging es EPR darum nachzuweisen, dass die quantenmechanische Beschreibung der physikalischen Wirklichkeit, die in diesem Effekt gewissermaßen „auf den Punkt gebracht“ wird, unvollständig sein müsse. Noch einfacher gesagt: Es wird gezeigt, dass die Quantenmechanik keine gewöhnliche klassische Theorie ist.

Es gibt mehrere experimentelle Anordnungen, die das für das EPR-Experiment charakteristische Verhalten zeigen. Grundsätzlich weist ein solches EPR-artiges Experiment bzw. Gedankenexperiment stets zwei Charakteristika auf:

  • Es wird ein System aus zwei Teilchen betrachtet, die anfänglich direkt miteinander wechselwirken und sich darauf weit voneinander entfernen. Ein solches System wird durch einen quantenmechanischen Zustand beschrieben, der kein Produktzustand ist, das heißt die beiden Teilchen befinden sich in einem verschränkten Zustand.
  • An den räumlich getrennten Teilchen werden jeweils zwei komplementäre Messgrößen betrachtet, deren gleichzeitige, exakte Bestimmung nach Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation unmöglich ist.

Am häufigsten wird heute die von David Bohm überarbeitete Fassung des EPR-Experiments diskutiert, in der zwei Teilchen mit Spin (Eigendrehimpuls) betrachtet werden, deren Gesamtspin (Summe der Spins der einzelnen Teilchen) Null ist. In dieser Neuformulierung ist das Experiment auch praktisch durchführbar. Einstein, Podolski und Rosen wählten ursprünglich Ort und Impuls der Teilchen als komplementäre Observable. Im Folgenden wird die bohmsche Variante vorgestellt. In den nächsten Abschnitten wird zunächst das Resultat des EPR-Experiments zusammengefasst und seine Bedeutung für die Interpretation der Quantenmechanik beschrieben. Anschließend werden die quantenmechanische Erklärung des Experiments und die zu ihrem Verständnis notwendigen Eigenschaften der Quantenmechanik kurz dargestellt.

Inhaltsverzeichnis

Das EPR-Experiment und seine Interpretation

Das ursprüngliche Argument von EPR für die Unvollständigkeit der Quantenmechanik

EPR betrachten als komplementäre Observable Ort und Impuls der beiden Teilchen. Es wird der Impuls von Teilchen 1 (T1) gemessen. Damit ändert sich der betrachtete verschränkte Zustand so, dass nun der Ausgang einer Impulsmessung an Teilchen 2 (T2) mit Wahrscheinlichkeit 1 (W1) exakt vorhergesagt werden kann. Dabei wurde Teilchen 2 sicher nicht durch eine unkontrollierte Wechselwirkung gestört. Es könnte stattdessen ebenso gut der Ort von Teilchen 1 bestimmt werden, wodurch, wieder ohne eine Störung, nun der Ort von Teilchen 2 exakt vorhersagbar wäre. Zum Schluss, dass die Quantenmechanik unvollständig ist, führen nun die folgenden Annahmen:

  • In einer vollständigen Theorie muss jedes Element der physikalischen Realität eine Entsprechung haben.
  • Eine physikalische Größe, deren Wert mit Sicherheit vorhersagbar ist, ohne das System, an dem sie gemessen wird, zu stören, ist ein Element der physikalischen Realität.

Da nun die Entscheidung, ob der Ort von Teilchen T2 oder sein Impuls durch Messung der jeweiligen Gegenstücke an Teilchen T1 bestimmt wird, erst kurz vor der Messung getroffen zu werden braucht, kann sie sicherlich keinen störenden Einfluss auf Elemente der Realität von T2 haben. Daraus schließen EPR, dass beide Größen Teil derselben physikalischen Realität sein müssten. Da aber nach der Quantenmechanik für jedes einzelne Teilchen nur jeweils eine der Größen vorhersagbar ist, ist die Quantenmechanik unvollständig.

Niels Bohr wandte gegen dieses Argument ein, dass der Begriff der störungsfreien Messung nicht angemessen definiert sei, wenn er sich auf eine mechanische Wechselwirkung in der letzten Phase des Experiments beschränke. Eine solche liege in der Tat nicht vor, dennoch schließe der Versuchsaufbau, der zur genauen Vorhersage des Ortes von T2 führe, eben das komplementäre Experiment zur Bestimmung seines Impulses aus, weshalb beide Größen nicht Elemente derselben Realität sondern Elemente zweier komplementärer Realitäten seien.

Das EPR-Experiment als Paradoxon

Gelegentlich ist auch vom EPR-Experiment als einem Paradoxon die Rede. Hierbei erscheint es auf den ersten Blick paradox, dass zwei komplementäre Observable eines Teilchens gleichzeitig bestimmt werden können (die eine etwa direkt durch Messung am ersten Teilchen, die andere indirekt durch Messung am zweiten Teilchen). Das ist scheinbar ein Widerspruch zur der bekannten Heisenbergschen Unschärferelation. In der Kopenhagener Deutung wird das Paradoxon aufgelöst mit dem Hinweis darauf, dass die indirekte Bestimmung über die Messung am zweiten Teilchen eben gar keine Messung der Eigenschaft des ersten Teilchens ist.

John Stewart Bell veranschaulichte die Fehler bei der Interpretation von Verschränkung und EPR-Effekt anhand des Vergleichs mit Bertlmanns Socken.

Lokale verborgene Variable und EPR-Korrelationsexperimente

Eine von Einstein seit der EPR-Arbeit (1935) bis zu seinem Lebensende (1955) hartnäckig verfolgte Strategie (die sich erst nachträglich (1964) als falsch erwiesen hat, s.u.) war, die Quantenmechanik im Sinne von EPR zu vervollständigen, und zwar durch Einführung von verborgenen lokalen Variablen, die die Rolle der fehlenden „Elemente der Realität“ übernehmen. Einsteins Grundvoraussetzungen erzwingen notwendigerweise die berühmte Bellsche Ungleichung (Bell 1964), wobei sich zeigt, dass letztere mit den Aussagen der Quantenmechanik unverträglich ist: Die Quantenmechanik verletzt die Ungleichung; sie macht also Aussagen, die über die Grundannahmen klassischer Theorien hinausgehen.

Entsprechende Experimente (u. a. durch Alain Aspect) bestätigen die quantenmechanischen Vorhersagen und nicht  die des lokalen Realismus Albert Einsteins, d.h. sie verletzen ebenfalls die bellsche Ungleichung, indem sie eine (quantenmechanisch zulässige) Korrelation zeigen, die deutlich größer ist, als dies klassisch denkbar wäre. Nach der sog. Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik (die bei den Physikern seit Jahrzehnten als Standard gilt) lässt sich dies durch folgende zwei "Statements" deuten:

1.) Eine quantenmechanische Messung stellt nicht einfach den a-priori-Zustand eines Systems fest, sondern der quantenmechanische Zustand wird durch die Messung erst präpariert. Dadurch drückt sich die Nicht-Realität der Quantenmechanik aus.

2.) Die Nicht-Lokalität ergibt sich letztlich aus der Tatsache, dass zu jedem Zeitpunkt durch einen einzigen abstrakten Zustandsvektor |\psi\rangle der Zustand des Systems gleichzeitig an allen Stellen (x,y,z) festgelegt ist, |\psi\rangle \mapsto \psi (x,y,z); außerdem ist in diesem Zusammenhang der sog. Aharonov-Bohm-Effekt wichtig.

Es ist jedoch nicht möglich, mit Hilfe des EPR-Effekts mit Überlichtgeschwindigkeit zu kommunizieren: Die einzelne Messung ergibt – unabhängig davon, ob das andere Teilchen bereits gemessen wurde – stets ein für sich genommen unvorhersagbares Ergebnis. Erst, wenn das Ergebnis der anderen Messung – durch klassische, unterlichtschnelle Kommunikation – bekannt ist, kann man die Korrelation feststellen oder ausnutzen.

Eine erste praktische Anwendung ist die Quantenkryptographie.

Quantentheoretische Grundlagen des EPR-Experiments

Spinorraum

Die Quantenmechanik des Spin-1/2-Freiheitsgrades eines Teilchens spielt sich in einem besonders einfachen Hilbertraum ab, dem 2-dimensionalen Spinorraum für ein einzelnes Teilchen. Darüberhinaus spielen nur ganz einfache Eigenschaften dieses Raumes für das EPR-Experiment eine Rolle.

  • Die erste ist die, dass die Eigenvektoren zweier nicht kommutierender Operatoren zwei verschiedene Basen des selben Unterraumes bilden. Das können wir uns an dem je einem der beiden Teilchen entsprechenden 2-dimensionalen Spinorraums wie in nebenstehender Abbildung veranschaulichen.   Die Abbildung zeigt als komplementäre Observable x- und y-Komponente des Spins in Form von um 45 Grad gegeneinander gedrehten Koordinatensystemen (die jeweils den Eigenvektorbasen der zu den Observablen gehörigen Operatoren entsprechen). Fällt man das Lot vom Zustandsvektor ψ auf die zu einem Messwert gehörige Koordinatenachse (den Eigenvektor zum Eigenwert), so erhält man die quantentheoretische Wahrscheinlichkeit dafür, bei einer Messung ebendiesen Messwert zu finden. Die Tatsache, dass diese Wahrscheinlichkeit offensichtlich nur für genau einen Wert einer der Observablen gleich eins sein kann, erklärt genau die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation.
  • Die zweite ist die Tatsache, dass der quantenmechanische Zustandsraum eines Mehrteilchensystems sich als das direkte Produkt der Zustandsräume seiner Bestandteile ergibt, man also als Zustandsvektor eines 2-Teilchen-Spin-1/2-Systems einen 4-dimensionalen, linearen Vektorraum erhält, der aus allen geordneten Paaren von Basisvektoren der 2-dimensionalen Spinorräume besteht. Das führt dazu, dass der Kollaps der Wellenfunktion durch Messung an einem Teilchen im Allgemeinen auch den Zustand des anderen Teilchens ändert (siehe nächsten Abschnitt).

Kollaps der Wellenfunktion

Der sog. Kollaps der Wellenfunktion müsste in unserem Bild besser Projektion des Zustandsvektors heißen. Sie wird in der Quantenmechanik postuliert, um die Präparation eines Systems bzw. den Messvorgang zu beschreiben. In den klassischen Deutungen der Quantenmechanik (Kopenhagener Interpretation und verwandte) wird die Projektion des Zustandsvektors als unabhängiges Postulat eingeführt: Wird an einem System eine Observable gemessen, geht sein Zustandsvektor sprunghaft in die Projektion des bisherigen Zustandsvektors auf den Eigenvektor zum gemessenen Eigenwert über. Bei einem verschränkten Zustand heißt das, dass sich damit der Zustand auch hinsichtlich der Wahrscheinlichkeiten für Messergebnisse am jeweils anderen System ändert. Sei etwa der Ausgangszustand (bis auf Normierung) s( + ,1)s( − ,2) − s( − ,1)s( + ,2), wobei s( + ,1) der Eigenvektor zur Messung eines positiven Spins in einer bestimmten Richtung ("x-Richtung") an System 1 sei. Durch Messung z. B. eines negativen Spins in x-Richtung an System 1 verschwinden nun alle Komponenten des Ausgangszustands, die den Eigenvektor zu positivem Spin bei Teilchen 1 enthalten. Der Zustand geht also über in s( − ,1)s( + ,2), d.h. an Teilchen 2 wird eine weitere Messung des Spins in x-Richtung mit Sicherheit positiven Spin ergeben. Schreibt man die kollabierte Wellenfunktion in der Eigenvektorbasis der komplementären Observablen (Spin in y- oder x-Richtung, das gedrehte Koordinatensystem im Bild) hin, so sieht man, dass beide Werte in einer dieser Richtungen wieder gleich wahrscheinlich sind. Könnte also ein Beobachter von Teilchen 2 exakte Kopien von dessen Quantenzustand anfertigen, könnte er tatsächlich feststellen, welche Observable der Beobachter des ersten Teilchens gemessen hat, und es wäre ein (überlichtschneller) Informationsfluss von Beobachter 1 zu Beobachter 2 möglich. Derartige "Quantenverstärker" gibt es jedoch nicht.

Siehe auch: GHZ-Zustand, Quantenteleportation, Quantenverschränkung

Literatur

  • A. Einstein, B. Podolsky, N. Rosen: Can quantum-mechanical description of physical reality be considered complete?, Phys. Rev. 47 (1935), S. 777 - 780
  • D. Bohm, Y. Aharonov: Discussion of Experimental Proof for the Paradox of Einstein, Rosen and Podolsky, Phys. Rev. 108 (1957), S. 1070 - 1076
 
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