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Robert Havemann



Robert Havemann (* 11. März 1910 in München; † 9. April 1982 in Grünheide bei Berlin) war ein deutscher Chemiker, Kommunist, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in der Widerstandsgruppe Europäische Union und Regimekritiker in der DDR.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Havemann war der Sohn eines Lehrers in München. Von 1929 bis 1933 studierte er Chemie an den Universitäten von München und Berlin. Seit 1932 war Robert Havemann Mitglied der KPD.

Nazi-Diktatur

1933 begann er bei dem Kolloidforscher Herbert Freundlich eine Dissertation über „Ideale und reale Eiweißlösungen“. Wegen der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat er der Widerstandsgruppe Neu Beginnen bei. Freundlich emigrierte Ende 1933 mit dem gesamten Institut und Havemann wurde von den Nazis aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie entfernt. Dank eines DFG-Stipendiums konnte er 1935 mit einer physikalisch-chemischen Dissertation am Robert-Koch-Krankenhaus in Berlin promoviert werden. 1934 heiratete er Antje Hasenclever, die Ehe wurde 1947 geschieden.

Danach arbeitete er sechs Jahre von 1937 bis 1943 an einer wissenschaftlichen Arbeit zu einem Giftgas-Projekt des Heereswaffenamtes. Robert Havemann initiierte mit Beginn des Zweiten Weltkriegs die Widerstandsgruppe „Europäische Union“. Im Jahre 1943 wurde Havemann habilitiert. Die Gestapo erhielt Informationen über seine konspirative Tätigkeit. Er wurde 1943 verhaftet und noch im gleichen Jahr vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode wegen Hochverrats verurteilt. Durch die Fürsprache mehrerer Behörden und weil er an „kriegswichtiger“ Forschung beteiligt war, erhielt Robert Havemann Vollstreckungsaufschub bis zum Kriegsende. Im Zuchthaus Brandenburg musste er seine Forschungsarbeit fortsetzen. Am 27. April 1945 befreite ihn die Rote Armee aus dem Zuchthaus Brandenburg.

DDR-Wissenschaftler bis 1965

Bald darauf übertrug man ihm 1945 die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Institutes für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem. 1949 heiratete er Karin von Trotha, die Ehe wurde 1966 geschieden. Eine kurzzeitige Tätigkeit als Chemiker in West-Berlin scheiterte 1950, als Robert Havemann wegen seiner Agitation gegen die Wasserstoffbombe der USA Berufsverbot erhielt. Noch im gleichen Jahr wurde er zum Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin und zum Ordinarius für Physikalische Chemie ernannt. Dies blieb er bis 1964.

Nach der Wende wurde bekannt, dass Havemann von 1946 bis ins Jahr 1963 mit dem KGB, dem Ministerium für Staatssicherheit und der Armeeaufklärung der DDR zusammengearbeitet hatte. So lieferte er als „Geheimer Informator“ (GI, Deckname „Leitz“) der Staatssicherheit bei 62 Treffen mit seinem Führungsoffizier mehr als 140 Einzelinformationen – darunter an 19 Treffen auch belastende personenbezogene Angaben. Dies geht aus einer 2005 erschienenen Studie der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR hervor, die erstmals im Detail der bereits seit den 1990er Jahren öffentlich bekannten inoffiziellen Stasi-Mitarbeit Havemanns untersucht.[1] Havemann hatte demnach den Auftrag, über Stimmungen im ostdeutschen Wissenschaftsbetrieb zu berichten und wurde gezielt auf westdeutsche Wissenschaftler angesetzt. In seinen Berichten belastete er unter anderem DDR-Wissenschaftler mit Aussagen über deren eventuelle Absicht, aus der DDR zu fliehen. [2]

Bis 1963 war er Mitglied der Volkskammer der DDR und wurde 1959 mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet.

Nachdem Robert Havemann im Wintersemester 1963/1964 an der Humboldt-Universität eine Vorlesungsreihe mit dem Thema Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme (veröffentlicht in der Bundesrepublik unter dem Titel: Dialektik ohne Dogma?) hielt und im Westen ein kritisches Zeitungs-Interview mit ihm erschien, erfolgte sein Ausschluss aus der SED, da sich das Regime zu sehr kritisiert fühlte.

Ausschluss aus der SED 1964

Eine außerordentliche Mitgliederversammlung der SED-Parteiorganisation an der Ostberliner Humboldt-Universität beschloss am 12. März 1964, den Professor für Physikalische Chemie, Robert Havemann, aus der Partei auszuschließen, da er „unter der Flagge des Kampfes gegen den Dogmatismus von der Linie des Marxismus-Leninismus“ abgewichen sei und sich des „Verrats an der Sache der Arbeiter- und Bauernmacht schuldig gemacht“ habe.

Das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen der Deutschen Demokratischen Republik beschloss am 12. März 1964, Professor Havemann seinen Lehrauftrag zu entziehen und begründete dies am 13. März 1964 u.a. wie folgt:

„Indem er öffentlich in Interviews mit westlichen Pressevertretern unsere Arbeiter- und Bauernmacht verleumdete und es nicht für unter seiner Würde hielt, sich der Publikationsorgane in Westdeutschland zu bedienen und damit die gegen die DDR gerichteten Pläne der Militaristen und Revanchisten zu unterstützen, hat er die mit seiner Berufung übernommene Verpflichtung und die gesetzlich festgelegten Pflichten eines Hochschullehrers der DDR gröblichst verletzt.“

Gegen Robert Havemann waren bereits Anfang Februar 1964 seitens der SED scharfe Vorwürfe im Zusammenhang mit seiner Vorlesungsreihe philosophischer Natur über das Thema Allgemeine Freiheit, Informationsfreiheit und Dogmatismus erhoben worden.

Havemann hatte zu diesen Vorwürfen und seiner Absicht bei dieser Vortragsreihe der Zeitung „Hamburger Echo“ ein Interview gewährt, das am 11. März 1964 veröffentlicht, aber von Havemann nachträglich dementiert wurde.

Berufsverbot und Hausarrest 1965

Robert Havemann erhielt 1965 ein Berufsverbot. In den Folgejahren wurden von ihm zahlreiche SED-kritische Publikationen in Form von Zeitungsbeiträgen und Büchern (u. a. Fragen Antworten Fragen; Robert Havemann: Ein deutscher Kommunist; Morgen) veröffentlicht. 1973 heiratete er Annedore (Katja) Grafe.

1976 protestierte er gegen die Ausbürgerung des DDR-kritischen Liedermachers Wolf Biermann. Er tat dies in Form eines Briefes, den er an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker gerichtet hatte und liess den Brief im westdeutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlichen. Im Jahr 1976 verhängte das Kreisgericht Fürstenwalde einen unbefristeten Hausarrest gegen Havemann (auf seinem Grundstück in Grünheide). Sein Haus und seine Familie (und auch die Familie seines Freundes Jürgen Fuchs, die er 1975 in sein Gartenhaus aufnahm) wurden rund um die Uhr von der Stasi überwacht. Nach drei Jahren wurde der Hausarrest zwar aufgehoben, doch die Überwachung wurde fortgesetzt. Auch wurde ein Strafverfahren wegen „Devisenvergehen“ eröffnet. Dies diente hauptsächlich der Unterdrückung von Havemanns Veröffentlichungen in der Bundesrepublik Deutschland. 1982 trat er gemeinsam mit dem Pfarrer Rainer Eppelmann im „Berliner Appell“ für eine unabhängige gesamtdeutsche Friedensbewegung ein. Kurz darauf starb Havemann. Am 28. November 1989 erfolgte durch die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) der SED seine postume Rehabilitierung.

Ehrungen

  • 1959: Auszeichnung mit dem Nationalpreis II. Klasse der DDR
  • 2006 erhielt er postum den Titel Gerechter unter den Völkern der Gedenkstätte Yad Vashem wegen seiner Mitgliedschaft in der Widerstandsgruppe „Europäische Union“, deren übrige Mitglieder von den Nazis hingerichtet wurden. Die Union hatte Juden versteckt, um sie vor der Deportation zu bewahren, von 1942 an unterstützte sie auch ausländische Zwangsarbeiter.

Werke (Auswahl)

    • Werner Theuer: Robert Havemann Bibliographie. Im Auftrag der Robert-Havemann-Gesellschaft. Hrsg. und Anhang Bernd Florath. Akademie, Berlin 2007, ISBN 3050041838, ISBN 9783050041834 (Für die Jahre ab 1945 wird auch eine Auswahl von Sekundärliteratur über H. aufgeführt. Der Anhang enthält bisher unveröffentlichte Texte und Dokumente aus der direkten Nachkriegszeit zur Deutschlandkonzeption R.Hs.)
  • Atomtechnik geheim? Hrsg.: Deutsches Friedenskomitee und Kammer der Technik, Berlin 1951
  • Einführung in die chemische Thermodynamik. Hrsg. von Franz X. Eder und Robert Rompe, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1957
  • Dialektik ohne Dogma? Naturwissenschaft und Weltanschauung. Rowohlt, Reinbek 1964 (erweiterte DDR-Ausgabe: Hrsg. von Dieter Hoffmann und Hartmut Hecht, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1990)
  • Fragen Antworten Fragen. München, Piper 1970
  • Rückantworten an die Hauptverwaltung „Ewige Wahrheiten“. Hrsg. Hartmut Jäckel, München, Piper 1971, (erweiterte DDR-Ausgabe: Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1990, 287 S., ISBN 3-326-00628-4)
  • Berliner Schriften. Aufsätze, Interviews, Gespräche und Briefe aus den Jahren 1969 bis 1976. Hrsg. von Andreas W. Mytze, europäische ideen, Berlin 1976
  • Ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation. Hrsg. von Manfred Wilke, Reinbek, Rowohlt 1978
  • Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Piper, München und Zürich 1980, ISBN 3-492-02617-6 (DDR-Ausgabe: Halle und Leipzig, Mitteldeutscher Verlag 1990
  • Die Stimme des Gewissens. Texte eines deutschen Antistalinisten. Hrsg. von Rüdiger Rosenthal, Rowohlt, Reinbek 1990, 224 S., ISBN 3-499-12813-6
  • Warum ich Stalinist war und Antistalinist wurde. Texte eines Unbequemen. Hrsg. von Dieter Hoffmann und Hubert Laitko, Dietz, Berlin 1990

Literatur

  • Robert Havemann 70. europäische ideen, Berlin 1980, Heft 48
  • Hartmut Jäckel (Hrsg.): Ein Marxist in der DDR. Für Robert Havemann. Piper, München 1980
  • Dieter Hoffmann [u.a.]: Robert Havemann: Dokumente eines Lebens. Links, Berlin 1991, ISBN 3-86153-022-8
  • Silvia Müller und Bernd Florath (Hrsg.): Die Entlassung: Robert Havemann und die Akademie der Wissenschaften 1965/66. Eine Dokumentation. Schriftenreihe des Robert-Havemann-Archivs, Bd. 1, Berlin 1996
  • Guntolf Herzberg: Robert Havemann und die Philosophie. Vortrag auf einer Gedenkveranstaltung zum Tode Robert Havemanns, gehalten am 22. April 1982. In: Abhängigkeit und Verstrickung. Forschungen zur DDR-Geschichte. Bd. 8, Berlin, Links 1996, S. 217 - 233.
  • Clemens Vollnhals: Der Fall Havemann. Ein Lehrstück politischer Justiz. Links, Berlin 1998
  • Manfred Wilke und Werner Theuer: Der Beweis eines Verrats läßt sich nicht erbringen. Robert Havemann und die Widerstandsgruppe Europäische Union. In: Deutschland Archiv, Köln, 32. Jg., 1999, H. 6, S. 899 - 912.
  • Simone Hannemann: Robert Havemann und die Widerstandsgruppe "Europäische Union". Eine Darstellung der Ereignisse und deren Interpretation nach 1945. Schriftenreihe der Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin 2001 ISBN 3980492052 [3]
  • Christof Geisel und Christian Sachse: Wiederentdeckung einer Unperson. Robert Havemann im Herbst 1989 - Zwei Studien. 1. Aufl., Berlin 2000
  • Katja Havemann und Joachim Widmann: Robert Havemann oder Wie sich die DDR erledigte. Ullstein, Berlin 2003
  • Arno Polzin: Der Wandel Robert Havemanns vom Inoffiziellen Mitarbeiter zum Dissidenten im Spiegel der MfS-Akten. BStU Berlin, BF informiert, Heft 26, 2005
  • Marko Ferst: Die Ideen für einen „Berliner Frühling“ in der DDR. Die sozialen und ökologischen Reformkonzeptionen von Robert Havemann und Rudolf Bahro. Hefte zur DDR-Geschichte, Nr. 91, 2005 [4]
  • Christian Sachse: Die politische Sprengkraft der Physik. Robert Havemann im Dreieck zwischen Naturwissenschaft, Philosophie und Sozialismus (1956-1962). Lit Verlag, Münster 2006.
  • Gert Rosiejka: Die Rote Kapelle. "Landesverrat" als antifaschistischer Widerstand. - mit einer Einführung von Heinrich Scheel. ergebnisse, Hamburg 1986, ISBN 3-925622-16-0

Siehe auch

  • Geschichte der DDR
  • DDR-Opposition
  • Ökologische Plattform
  • Robert-Havemann-Gesellschaft
  • Rudolf Bahro
  • „Europäische Union“
  • Rote Kapelle
  • Falk Harnack

Belege

  1. Arno Polzin: Der Wandel Robert Havemanns vom Inoffiziellen Mitarbeiter zum Dissidenten im Spiegel der MfS-Akten. BStU Berlin, BF informiert, Heft 26, 2005
  2. Zur IM-Tätigkeit siehe auch: Nordkurier 4. Januar 2006
  3. Rezension von Simone Hannemann: Robert Havemann und die Widerstandsgruppe "Europäische Union".
  4. Bezug von: Die Ideen für einen „Berliner Frühling“ in der DDR bei Helle Panke e.V.
 
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