Zentrales Reaktionsprinzip von Metalloenzymen entschlüsselt

Sogenannte vorverspannte Zustände beschleunigen auch photochemische Reaktionen

18.01.2018 - Deutschland

Was ermöglicht den schnellen Transfer von Elektronen, beispielsweise in der Photosynthese? Ein interdisziplinäres Forscherteam hat die Funktionsweise wichtiger bioanorganischer Elektronentransfersysteme im Detail aufgeklärt. Die Wissenschaftler konnten mit einer Kombination unterschiedlichster, zeitaufgelöster Messmethoden, unter anderem an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III, zeigen, dass sogenannte vorverspannte Zustände photochemische Reaktionen beschleunigen oder überhaupt erst ermöglichen. Die Gruppe um Sonja Herres-Pawlis von der RWTH Aachen, Michael Rübhausen von der Universität Hamburg und Wolfgang Zinth von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, stellt ihre Arbeit im Fachjournal „Nature Chemistry“ vor.

RWTH Aachen/Sonja Herres-Pawlis

Modelkomplexe für den entatischen Zustand optimieren die Energie der Start- und Endgeometrien, um schnelle Reaktionen zu ermöglichen (illustriert durch die Hügellandschaft).

Die Forscher hatten den vorverspannten, „entatischen“ Zustand an einem Modellsystem untersucht. Als entatischen Zustand bezeichnen Chemiker die Konfiguration eines Moleküls, bei der die normale Anordnung der Atome durch äußere Bindungspartner so verändert wird, dass die Energieschwelle für die gewünschte Reaktion abgesenkt wird und deshalb die Reaktionsgeschwindigkeit zunimmt. Ein Beispiel ist das Metalloprotein Plastocyanin, das ein Kupferatom im Zentrum besitzt und für wichtige Elektronentransferschritte in der Photosynthese verantwortlich ist. Je nach Oxidationsstufe bevorzugt das Kupferatom eine flache Konfiguration, bei der die umgebenden Atome alle in einer Ebene angeordnet sind (planare Geometrie), oder eine Tetraeder-förmige Anordnung der Nachbarmoleküle. Durch die Bindungspartner im Protein wird das Kupferatom jedoch in eine Art Zwischenanordnung gezwungen. Durch diesen stark verzerrten Tetraeder wird ein sehr schneller Wechsel zwischen den beiden Oxidationszuständen des Kupferatoms ermöglicht.

„Solche vorverspannten Zustände spielen bei vielen biochemischen Prozessen eine wichtige Rolle“, erläutert Rübhausen, der am Hamburger Center for Free-Elektron Laser Science (CFEL) arbeitet, einer Kooperation von DESY, Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft. „Das Prinzip des entatischen Zustands hilft bei Elektronentransferreaktionen, die überall in der Natur und auch im Menschen stattfinden, zum Beispiel wenn wir atmen oder Pflanzen Photosynthese betreiben“, ergänzt Herres-Pawlis.

Bei den biochemisch relevanten vorverspannten Zuständen ist stets ein Metallatom beteiligt. Die Wissenschaftler untersuchten ein Modellsystem aus einem Kupferkomplex und maßgeschneiderten daran gebundenen Molekülen, sogenannten Liganden. Mit Hilfe eines breiten Spektrums von Beobachtungsmethoden sowie mit theoretischen Rechnungen konnten die Forscher zeigen, dass die verwendeten Liganden den Kupferkomplex in der Tat in einen vorverspannten (entatischen) Zustand versetzen, und die Reaktion nach der Lichtabsorption im Detail verfolgen.

Die Kombination von zeitabhängiger UV-, Infrarot-, Röntgen- und visueller Fluoreszenz-Spektroskopie lieferte ein detailliertes Bild der Dynamik der Strukturänderungen auf der Zeitskala von Piko- bis Nanosekunden (billionstel bis milliardstel Sekunden). „Zum ersten Mal können wir verstehen, wie vorverspannte Zustände den Ladungstransfer begünstigen“, erläutert Rübhausen. „Außerdem belegen unsere Untersuchungen, dass vorverspannte Zustände auch für photochemische Reaktionen von Bedeutung sind, also für bestimmte biochemische Prozesse, die durch Licht ausgelöst werden“, erläutert Herres-Pawlis.

Die Untersuchung zeigt im Detail, wie der Prozess abläuft: Aus dem Startzustand (Kupfer in der Oxidationsstufe +1) wird durch die optische Anregung ein Elektron vom Kupfer auf einen Liganden übertragen. Noch in Femtosekunden (billiardstel Sekunden) fällt der entstehende angeregte Zustand in einen immer noch angeregten sogenannten S1-Zustand. Hier entspannt sich in geringem Umfang die Geometrie.

Kurz danach vollführt das Elektron einen Spinwechsel. Der Spin eines Elektrons ist etwas Ähnliches wie die Drehrichtung eines Kreisels. Obwohl das eine Elektron bisher auf dem Liganden verweilte, lagen dieses Elektron und sein entsprechender Partner auf dem Kupfer in einer Spinpaarung vor. Das Elektron auf dem Liganden kehrt nun seinen Spin um. Durch diesen sehr schnellen Übergang in den sogenannten Triplett-Zustand innerhalb von nur etwa zwei Pikosekunden wird die Spinpaarung aufgehoben. Dieser T1-Zustand existiert 120 Pikosekunden und fällt dann unter erneuter Spinumkehr in den Grundzustand zurück. Alle Zeitkonstanten sind im Vergleich zu anderen Kupferkomplexen ohne Vorverspannung deutlich verkürzt. „Das vollständige Verständnis aller ablaufenden Prozesse wurde erst durch die einzigartige Kombination der Untersuchungsmethoden möglich“, betont Zinth.

Die detaillierte Analyse des Reaktionsprinzips verbessert nicht nur das Verständnis natürlicher Prozesse. Es kann auch helfen, neue, der Natur nachempfundene bioanorganische Komplexe maßzuschneidern, deren Wirkungsspektrum über das der natürlichen hinausgeht. Diese Komplexe könnten chemische Reaktionen, die mit Elektronentransfer einhergehen, auch in anderen Bereichen beschleunigen oder ermöglichen.

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