Moleküle schlagen unendlich Rad

Synchrone Drehungen für neuartige Untersuchungen

24.03.2015 - Deutschland

Mit einem physikalischen Trick haben Hamburger Forscher ganze Gruppen von Molekülen dazu gebracht, nahezu unendlich im Gleichtakt Rad zu schlagen. Die Technik eröffnet neue Möglichkeiten zur Abbildungen von Molekülen und deren chemischer Dynamik. Das Team um Prof. Jochen Küpper vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) stellt seine Arbeit im Fachblatt "Physical Review Letters" vor.

Jens S. Kienitz/CFEL, DESY and CUI

Ein Infrarotlaser (rot) bringt die zunächst ungeordneten Moleküle dazu, synchron Rad zu schlagen, so dass alle Moleküle an einer bestimmten Stelle im Strahl jeweils gleich orientiert sind.

Die intensiven Röntgenblitze sogenannter Freie-Elektronen-Laser ermöglichen detaillierte Einblicke in die Welt der Moleküle. Forscher erkunden mit ihnen beispielsweise die atomare Struktur von Biomolekülen, um deren Funktion besser zu verstehen, oder versuchen, dynamische Prozesse im Nanokosmos zu filmen - etwa den Anregungszyklus der Photosynthese. Bislang müssen die Moleküle für solche Untersuchungen allerdings meist kristallisiert werden, denn ein einzelnes Molekül liefert in der Regel kein ausreichend starkes Messsignal. Im Kristall sind alle Moleküle regelmäßig angeordnet, so dass sich ihre Signale verstärken und damit eine atomgenaue Analyse ermöglichen.

"Kristalle stellen jedoch einen sehr speziellen - oft erzwungenen und unnatürlichen - Zustand dar", erläutert Sebastian Trippel, Erstautor der Studie. Wissenschaftler würden es daher oft vorziehen, frei schwebende Moleküle direkt zu untersuchen. Doch wie lassen sich frei schwebende Moleküle kontrolliert in den Röntgenstrahl eines Freie-Elektronen-Lasers bugsieren? Forscher experimentieren hierzu mit verschiedenen Methoden, die Moleküle durch elektromagnetische Felder und Laserlicht gezielt zu führen und gezielt in eine bestimmte Richtung zeigen zu lassen.

Auf diese Weise ist es bereits gelungen, Ensembles von Molekülen für solche Untersuchung gleich zu orientieren, "allerdings steht dieses Molekülballett dann unter dem Einfluss eines elektromagnetischen Felds, was wiederum die Messungen unerwünscht beeinflussen kann", führt DESY-Forscher Küpper aus, der auch Mitglied des Hamburg Center for Ultrafast Imaging (CUI) und Professor an der Universität Hamburg ist. Die Moleküldompteure um Küpper haben nun einen Weg gefunden, Molekülensembles auch nach Ausschalten des Laserfelds in einer gleich orientierten Formation zu erhalten.

Die Forscher nutzten für ihre Versuche Carbonylsulfid (OCS) als einfaches Modellsystem. Die drei Atome (Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel) dieses Moleküls liegen in einer Reihe, und diese einfache Struktur eignete sich besonders gut für die Demonstration der Methode. Die Wissenschaftler schickten Carbonylsulfid-Moleküle mit hohem Druck durch eine feine Düse in eine Vakuumkammer, hinter der sich das Gas ausdehnen und damit stark abkühlen konnte. Über einen Deflektor, einem Prisma für Moleküle, fischten sie anschließend solche Moleküle heraus, die sich im niedrigsten Energiezustand befanden.

Ein gezielter Infrarot-Laserpuls mischte diesen Zustand mit dem ersten angeregten quantenphysikalischen Zustand. Dadurch begannen die Moleküle eine sogenannte Inversion im Gleichtakt, bei der das Schwefelatom (S) aller Moleküle gleichzeitig abwechselnd nach oben und nach unten orientiert war. Diese Inversion hielt unvermindert an, nachdem die Moleküle den Infrarot-Laser passiert hatten und sich ohne Einfluss eines elektromagnetischen Wechselfeldes durch den Raum bewegten. "Der Laser lässt die Moleküle quasi synchron Rad schlagen, was unendlich weitergehen würde, wenn nicht irgendwann die Wand der Experimentierkammer käme", erläutert Trippel.

Gemessen an ihrer Inversionsdauer fliegen die Moleküle fast unendlich lange – sie haben Zeit für hunderttausende Zyklen dieser Bewegung, bevor sie auf die Wand der Vakuumkammer prallen. Für Experimentatoren hat das handfeste Vorteile: Um eine bestimmte Orientierung ihres untersuchten Molekülensembles auszuwählen – in dem sich die beiden Orientierungen regelmäßig abwechseln – müssen sie es lediglich zur richtigen Zeit nach dem Laserstrahl abpassen.

Die Methode funktioniere nicht nur für die beiden niedrigsten Energiezustände, sondern grundsätzlich in allen Zuständen eines linearen Moleküls, schreiben die Forscher in ihrem Fachaufsatz. "Diese gezielte Molekül-Choreographie eröffnet neue Möglichkeiten, Ensembles freier Moleküle kontrolliert im Röntgenstrahl eines Freie-Elektronen-Lasers zu halten und dort zu untersuchen", betont Küpper.

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