Neue Materialklasse für die organische Elektronik

Kooperation klärt erstmals Ladungstransport in polymeren Kohlenstoffnitriden auf

18.11.2015 - Deutschland

Polymeres Kohlenstoffnitrid ist ein organisches Material mit interessanten optoelektronischen Eigenschaften. So kann es als preisgünstiger Photokatalysator die Spaltung von Wasser mit Sonnenlicht befördern. Nun hat eine Kooperation aus dem Helmholtz-Zentrum Berlin, der Universität Rostock sowie der Freien Universität Berlin und anderer Partner erstmals untersucht, wie Licht in dieser Materialklasse Ladungsträger erzeugt und die Beweglichkeit und Lebensdauern von Ladungsträgern ermittelt. Dabei kamen sie zu überraschend hohen Werten, die neue Anwendungen, zum Beispiel in Verbindung mit Graphen, in Aussicht stellen.

C. Merschjann

Die Kohlenstoffnitrid-Gruppen (blau: Stickstoff, grau: Kohlenstoff) verbinden sich untereinander chemisch nur in der Ebene, ähnlich wie Kohlenstoffatome in Graphit; daher sprechen Chemiker auch von graphitischem Kohlenstoffnitrid. Zwischen den Ebenen bestehen dagegen nur sehr schwache Bindungen. Ladungsträger nehmen jedoch stets den Weg senkrecht zu den Ebenen, zeigte nun die Gruppe um Merschjann: Dabei erzeugt Licht ein Elektron-Loch-Paar, welches sich senkrecht zu den Ebenen bewegt. Umgekehrt kommt es beim Aufeinandertreffen von Elektron und Loch unter bestimmten Voraussetzungen (Bildung eines Singlet-Exzitons) zur Abgabe von Licht (Fluoreszenz). Im Hintergrund ist ein Graphennetz (sechseckige graue Struktur) angedeutet: zukünftig könnten solche organischem Halbleitermaterialien vielleicht auf Graphen strukturiert aufgewachsen werden, um neuartige optoelektronische Bauelemente zu realisieren.

Polymere Kohlenstoffnitride sind organische Verbindungen, die als gelbes Pulver aus Myriaden von Nanokristallen synthetisiert werden. Die kristalline Struktur ähnelt der von Graphit, denn die Kohlenstoffnitrid-Gruppen sind nur in der Ebene chemisch verbunden, während zwischen den Ebenen nur schwache „Van der Waals-Kräfte“ für den Zusammenhalt sorgen. Dass Licht in dieser Materialklasse ein Elektron-Loch-Paar erzeugen kann, war bereits bekannt. So gab es schon zahlreiche Versuche, polymere Kohlenstoffnitride als preiswerte Photokatalysatoren für die solare Wasserspaltung einzusetzen, allerdings ist die Effizienz bislang vergleichsweise gering.

Nun hat ein Team um Dr. Christoph Merschjann (HZB, Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Stefan Lochbrunner (Universität Rostock) erstmals einen genauen Blick in die Prozesse bei der lichtinduzierten Ladungstrennung geworfen. „Das interessanteste Ergebnis ist, dass Ladungen dabei praktisch nur entlang einer Dimension transportiert werden, und zwar senkrecht zu den graphitähnlichen Schichten“, erklärt Merschjann. Dabei erzeugt Licht ein Elektron-Loch-Paar, das sich anschließend in entgegengesetzte Richtungen auseinanderbewegt. Mit Hilfe von Femtosekundenspektroskopie sowie weiteren spektroskopischen zeitaufgelösten Methoden konnten sie erstmals quantitativ Beweglichkeit und Lebensdauern der Ladungsträger bestimmen. Dabei zeigte sich, dass die Beweglichkeit ähnliche Werte wie in konventionellen organischen Halbleitermaterialien erreicht. Darüber hinaus bleiben die Ladungsträger lange erhalten, bevor sie wieder „rekombinieren“.

Polymere Kohlenstoffnitride sind nicht nur ungiftig und kostengünstig, sondern auch extrem belastbar, da sie chemisch sehr stabil sind und Temperaturen bis circa 500 °C standhalten. Bauelemente aus solchen Verbindungen könnten also in Umgebungen eingesetzt werden, die für die heutige organische Elektronik nicht geeignet sind. Besonders interessant findet Merschjann jedoch die Perspektive, diese Verbindungen geordnet z.B. auf Graphen aufwachsen zu lassen. Denn Graphen besitzt eine extrem hohe Leitfähigkeit in der Ebene, während die Kohlenstoffnitride im Wesentlichen nur senkrecht dazu leitfähig sind. „Die Kohlenstoffnitride müssen den Vergleich mit konventionellen organischen Halbleitermaterialien nicht scheuen – im Gegenteil: mit ihrer Eigenschaft als quasi-eindimensionale Halbleiter könnten sich ganz neuartige voll-organische optoelektronische Bauelemente realisieren lassen“, hofft Merschjann, der sich im aktuellen DFG-geförderten Forschungsprojekt an der FU Berlin mit dem direkten Nachweis der Ladungsträger beschäftigt.

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