Cousin des Elektrons nach 86 Jahren gefunden

20.11.2015 - Schweiz

Physiker des Paul Scherrer Instituts PSI gemeinsam mit Kollegen aus China sowie von der ETH Zürich und der ETH Lausanne EPFL haben bei Versuchen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS ein Teilchen nachgewiesen, dessen Existenz bereits vor 86 Jahren vorausgesagt worden war. Es handelt sich um ein Mitglied der Teilchenfamilie, zu denen auch das Elektron, der Träger elektrischer Ströme, gehört. Anders als das Elektron hat das neue Teilchen aber keine Masse und es kommt nur in einer bestimmten Klasse von Materialien vor, die als Weyl-Halbmetalle bezeichnet werden.

Alle Elementarteilchen können einer von zwei Klassen zugeordnet werden: den Fermionen oder den Bosonen. Alle Elementarteilchen, aus denen die Materie und die Antimaterie bestehen, sind Fermionen. Den Bosonen kommt – vereinfacht gesagt – die Aufgabe zu, die Kräfte zwischen den Fermionen zu vermitteln. Fermionen haben alle einen Spin, eine Eigenschaft, die es ihnen erlaubt, sich wie kleine magnetische Kompassnadeln zu verhalten. Manche Bosonen haben auch einen solchen Spin, während andere wie das berühmte Higgs-Teilchen keinen Spin besitzen. Zu den Fermionen zählt zum Beispiel das Elektron, das in den Atomen aller Materialien vorkommt und deren Bewegung als elektrischer Strom in unzähligen technischen Anwendungen genutzt wird. Zu den Bosonen gehört das Photon - das Teilchen, aus dem Licht besteht.

Jahrzehntelange Fahndung nach exotischem Fermion

Der neue Fund bestätigt eine alte Vorhersage: Es geht um ein Teilchen, das der deutsche Mathematiker und Professor der ETH Zürich Hermann Weyl im Jahr 1929 vorausgesagt hat. Es weist alle Eigenschaften eines Elektrons auf, bis auf eine: es besitzt keine Masse. Nachgewiesen wurde dieses als Weyl-Fermion bekannte Teilchen nun fast gleichzeitig von mehreren Forschungsgruppen – darunter auch einem Team des PSI. Allerdings gelang die Entdeckung nicht wie üblich in einem kilometerlangen Teilchenbeschleuniger, sondern im Innern winziger Kristalle.

Das Weyl-Fermion wurde also nicht als freies Elementarteilchen nachgeiwesen, wie das zum Beispiel beim berühmten Higgs-Teilchen der Fall war, das im grossen Beschleuniger LHC am CERN rund 50 Jahre nach seiner theoretischen Vorhersage nachgewiesen wurde. Vielmehr hat sich das Weyl-Fermion nun nach 86-jähriger Suche als sogenanntes Quasiteilchen gezeigt. Als solches bezeichnen die Physiker Teilchen, die nur innerhalb von Materialien vorkommen und mit denen sie die komplexen, teils koordinierten Bewegungen der vielen Teilchen in diesen Materialien auf eine einfache Art und Weise beschreiben können. In der PSI-Studie wurden die Weyl-Fermionen in einem kleinen, im Labor hergestellten, hochreinen Kristall aus dem Halbmetall Tantalarsenid (TaAs) dingfest gemacht. Dieses Material stand erst seit 2014 aufgrund theoretischer Berechnungen im Fokus der Suche nach den Weyl-Fermionen.

Wie das Elektron, aber schneller und „geradliniger“

„Die aussergewöhnlichen Eigenschaften des TaAs-Kristalls sind der Grund dafür, dass die elektrischen Ströme in diesem Material nicht von Elektronen transportiert werden, sondern von Teilchen ohne Masse – den Weyl-Fermionen“, erklärt der der Forscher Xu Nan vom PSI und der EPFL. In Materialien wie TaAs bewegen sich die Weyl-Fermionen viel schneller als die Elektronen in einem gewöhnlichen Material. Zudem haben die Weyl-Fermionen die besondere Eigenschaft, dass sie sich praktisch ohne Widerstand entlang gerader Linien bewegen, wenn sie sich in einem Magnetfeld befinden. Die Weyl-Fermionen fliegen dann geradeaus entlang der Richtung des Magnetfeldes, ohne dass irgendetwas sie aus der Bahn werfen kann. „Diese Eigenschaft, die sehr nützlich für praktische Anwendung sein könnte, wenn man sie in realen Geräten in den Griff bekommt, ist eine Folge der Elektronenstruktur eines Weyl-Halbmetalls wie TaAs; eine komplizierte quantenmechanische Erscheinung“, sagt der PSI-Wissenschaftler Ming Shi, Leiter der Studie.

Nachweis mit Röntgenlicht-Technik

Für den Nachweis des Weyl-Fermions verwendeten eine weltweit angesehene Forschungsanlage: die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. „Dies waren meine ersten Experimente am PSI und an der SLS und ich bin sehr glücklich, dass uns der Nachweis der Weyl-Fermionen gelungen ist“, sagt Baiqing Lyu, der als Austauschstudent am PSI seine Dissertation anfertigt. Er und seine Kollegen strahlten Röntgenlicht aus der SLS auf den TaAs-Kristall, um die Bewegung der Elektronen im Kristall zu untersuchen. Das Röntgenlicht hatte nämlich genügend Energie, um Elektronen aus dem Innern des Kristalls herauszuschlagen. Diese aus dem Kristall geschleuderten Elektronen, Photoelektronen genannt, analysierten die Wissenschaftler. Sie massen sowohl die Energie jedes Photoelektrons als auch den Winkel, unter dem es den Kristall verliess. Aus diesen Daten konnten die Forschenden auf die Energie, die Geschwindigkeit und die Bewegungsrichtung schliessen, die die Elektronen zuvor im Kristall hatten. Diese Analyse führte schliesslich zum Nachweis der Weyl-Fermionen, also von Cousins des Elektrons, die sich ganz ohne die Bürde von Masse durch den Kristall bewegen.

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