Fließphänomene an festen Oberflächen

Grenzflächengeschwindigkeit als wichtige Größe nachgewiesen

12.02.2016 - Deutschland
Wie man bewirken kann, dass Flüssigkeiten auf festen Oberflächen fast wie ein Schlitten gleiten können, haben jetzt Physiker der Saar-Universität gemeinsam mit Forscherkollegen aus Paris gezeigt: Möglich ist das durch Beschichtungen, die an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Oberfläche ein Rutschen der Flüssigkeit provozieren. In der Folge vergrößern sich auch die mittlere Fließgeschwindigkeit und der Durchsatz. Gezeigt wurde dies am Verhalten von Tropfen auf verschieden beschichteten Oberflächen beim Übergang in den Gleichgewichtszustand. Die Ergebnisse könnten für die Optimierung industrieller Prozesse nutzbar sein, beispielsweise zur Verarbeitung von Kunststoffen.

Strömen Flüssigkeiten über feste Oberflächen, so ist ihre Fließgeschwindigkeit unmittelbar an der Grenzfläche gleich null. „Durch eine spezielle Beschichtung der Oberfläche lässt sich die Grenzflächengeschwindigkeit der Flüssigkeit erhöhen. Damit verkleinern sich gleichzeitig die Scherkräfte innerhalb der Flüssigkeit, und ihre mittlere Fließgeschwindigkeit wird größer – maximal so viel, dass sich die Flüssigkeit nahezu wie ein Festkörper verhält, ohne jedoch ihre Viskosität zu ändern“, sagt Karin Jacobs, Professorin für Experimentalphysik an der Saar-Uni. Wie sich unterschiedliche Oberflächen genau auf die Grenzflächengeschwindigkeiten und das Gleitverhalten von Flüssigkeitsfilmen auswirken, hat ihre Arbeitsgruppe anhand von Experimenten mit Polystyrol-Tropfen untersucht. „Polystyrol ist ein wichtiger Kunststoff, aus dem beispielsweise CD-Hüllen hergestellt werden“, erläutert Dr. Joshua D. McGraw. Der ehemalige Postdoc-Mitarbeiter in Jacobs‘ Forschungsgruppe hat die Studie geleitet und dabei mit Wissenschaftlern um Physikprofessor Ralf Seemann und Kollegen am ESPCI ParisTech in Paris zusammengearbeitet.

McGraw brachte einzelne Polystyrol-Tropfen auf dünne Unterlagen aus Glimmer auf, wo sie eine recht flache Form einnahmen. In diesem Zustand wurden sie eingefroren und auf zwei neue, „weniger polystyrolfreundliche“ Substrate aufgebracht, die sich an der Oberfläche nicht in ihrer chemischen Zusammensetzung, sondern nur in der Anordnung ihrer Atome voneinander unterschieden. Auf beiden zogen sich die Tropfen zu einer nahezu halbkugeligen Form zusammen. „Tropfen haben immer die Tendenz, eine Gleichgewichtsform anzunehmen, bei der sie einen bestimmten Kontaktwinkel zur Oberfläche bilden. Dieser Gleichgewichtszustand wird von den Grenzflächenbedingungen bestimmt“, erklärt Karin Jacobs. Auf beiden Substraten nahmen die Polystyrol-Tropfen den gleichen Gleichgewichtskontaktwinkel ein, allerdings zeigten Tropfenprofil-Messungen mit dem Rasterkraftmikroskop deutliche Unterschiede in der Art und Weise, wie sich die Tropfen beim Übergang vom kleineren zum größeren Kontaktwinkel in ihre neue Form zusammenziehen. „Dies konnte nur bedeuten, dass sich die Moleküle in den Tropfen auf den zwei verschiedenen Unterlagen auf unterschiedlichen Wegen bewegen, dass also das Geschwindigkeitsprofil in beiden Tropfen unterschiedlich sein musste“, erläutern Dr. Martin Brinkmann und Dr. Tak Shing Chan aus der Gruppe von Professor Ralf Seemann. „Experimentell ist dies in der benötigten Auflösung allerdings nicht zugänglich. Daher waren wir auf Unterstützung durch unsere theoretisch arbeitenden Kollegen in Paris angewiesen.“

Die Saarbrücker Wissenschaftler vermuteten nämlich, dass die Geschwindigkeit der Flüssigkeit an der festen Oberfläche ein entscheidender Faktor für das Fließverhalten von Flüssigkeiten ist. Diese in ein Modell einzupflegen, gelang den Forscherkollegen am ESPCI in Paris. Aus der theoretischen Beschreibung konnten Martin Brinkmann und Tak Shing Chan anschließend Simulationen erstellen, die das Geschwindigkeitsfeld der Moleküle innerhalb eines Tropfens offenbaren. „Damit konnten wir zeigen, dass bereits atomar kleine Modifikationen einer festen Oberfläche zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Moleküle in einem flüssigen System führen können, welches die Dicke der Oberflächenbeschichtung um viele Größenordnungen übertrifft“, fasst Jacobs die Ergebnisse der Experimente zusammen.

Die Forschungsergebnisse können dazu beitragen, industrielle Prozesse zu optimieren, beispielsweise „beim Strangpressen von Polymeren“, sagt Karin Jacobs. Dabei werden Kunststoffe durch Düsen gepresst, ähnlich wie Spätzleteig durch eine Presse; bei beiden Vorgängen wirken hohe Scherkräfte. „Nachdem der Teig die Presse passiert hat, weitet sich der Strang aufgrund der nun geringeren Fließgeschwindigkeit auf“, so Jacobs. „Diese Strangaufweitung ist in der Industrie meist unerwünscht und könnte mit einer geeigneten Düsenbeschichtung unterdrückt werden.“
Thomas Braun, Heidelberg

Polystyrol-Tropfen nehmen auf zwei unterschiedlichen Substraten langsam denselben Gleichgewichtskontaktwinkel ein, jedoch über unterschiedliche Geschwindigkeits- und Bewegungsprofile der Moleküle.

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