Verkannt, verkracht, verspätet: Unerfüllte Träume vom Nobelpreis

Trotz sensationeller Entdeckungen bleibt die Auszeichnung vielen Forschern verwehrt. Woran liegt das?

30.09.2016 - Schweden

(dpa) Es dürfte der Traum vieler Wissenschaftler sein: für eine bahnbrechende Entdeckung den Nobelpreis bekommen. Doch damit das passiert, muss viel stimmen - und selbst wenn die Forschungssensation da ist, warten auf dem Weg zu der Auszeichnung noch so einige Stolpersteine. Für viele Forscher bleibt der Traum unerfüllt. Das kann die unterschiedlichsten Gründe haben:

fill, pixabay.com, CC0

Lange Wartezeit: Manchmal geht es ganz schnell. In der Regel aber müssen Forscher viele Jahre darauf warten, bis ihre Entdeckung oder Erfindung mit dem Nobelpreis geehrt wird. Dann sind sie oft schon sehr alt. Und wer stirbt, bevor er den Nobelpreis bekommen hat, hat Pech gehabt - da mag die Entdeckung noch so groß sein. «Es gibt einen Paragrafen in den Statuten der Nobelstiftung, der besagt, dass ein Toter den Preis nicht bekommen kann», sagt Gunnar Ingelman von der Physikjury. Allerdings: Wer stirbt, nachdem ihm der Preis zuerkannt wurde, bekommt ihn trotzdem. So geschehen, als die Medizinjury 2011 den Immunforscher Ralph Steinman als Preisträger verkündete. Tage zuvor war Steinman gestorben, ohne dass das Komitee davon wusste.

Streithähne: Die Entwicklung der Genschere Crispr-Cas9 gilt als Jahrhundertcoup. Um das Wunderwerkzeug, mit dem Erbgut wie mit einem Skalpell verändert werden kann, liefern sich die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna auf der einen Seite und der Bioingenieur Feng Zhang auf der anderen Seite bis heute einen erbitterten Patentstreit. Sie hatten ihre Arbeiten mit der Methode 2012 kurz nacheinander im Magazin «Science» vorgestellt. Ein Gerichtsstreit um eine Erfindung ist zwar kein Ausschlusskriterium für einen Nobelpreis, aber: Wenn die Forscher sich so uneins sind, ist es für die Jury nicht ganz einfach, festzustellen, wer denn nun die Auszeichnung verdient hat.

Wer zuerst kommt: Wer hat eine Entdeckung zuerst gemacht? Das Veröffentlichungsdatum liefert den Juroren zumindest einen Hinweis. «Man muss die wissenschaftliche Literatur gründlich lesen, um zu sehen, wer über eine Entdeckung wann ein Papier veröffentlicht hat», sagt Nobeljuror Ingelman. Wer sich nicht genug gesputet hat, riskiert, dass der Konkurrent das Rennen macht. Aber Ingelman betont auch: «Wenn nur kurze Zeit zwischen zwei Veröffentlichungen vergangen ist, könnte es sein, dass man das als gleichzeitig ansieht und beide Forscher den Preis bekommen sollten.»

Die magische Drei: Wichtig ist aber vor allem, wer den entscheidenden Anteil an einer Entdeckung hatte. Das herauszufinden ist für die Jurys in der vernetzten Forschungswelt von heute bisweilen harte Arbeit. «Manchmal ist das sehr schwierig, und das kann auch bedeuten, dass es länger dauert, bis alles geklärt ist und wir uns sicher auf eine Entscheidung einigen können», sagt Ingelman. Zu Nobels Zeit war es meist ein Wissenschaftler, der vor sich hingetüftelt und eine Entdeckung gemacht hat. Deshalb sollte der Preis nach seinem Willen an Einzelpersonen gehen - und zwar höchstens an drei. Haben vier Forscher gleichberechtigt an einem Projekt gearbeitet, hat einer von ihnen deshalb im Zweifelsfall heute noch das Nachsehen. Denn an Nobels Regeln halten sich die Jurys streng.

Teamwork: Viel mehr als früher ist Forschung aber heute Teamwork. «Besonders in der Physik gibt es große Kollaborationen», sagt Ingelman. Deshalb wäre es gerecht, den Preis auch an Organisationen zu vergeben, finden viele. Doch die sind bisher leer ausgegangen. Kritik gab es etwa 2013, als Peter Higgs und François Englert den Nobelpreis für die Vorhersage des Higgs-Bosons bekamen. Viele meinten, dass auch das Forschungszentrum Cern hätte ausgezeichnet werden müssen, das das sogenannte Gottesteilchen nachgewiesen hatte.

Falsches Forschungsfeld: Vor allem in den ersten Jahren hätten die Mitglieder der Nobeljurys am liebsten Wissenschaftler aus ihrem eigenen Forschungsfeld ausgezeichnet, sagt Gustav Källstrand vom Stockholmer Nobel-Museum. «Dafür gibt es sehr berühmte Beispiele.» Ab 1901 saßen zunächst wenige Theoretiker in der Physik-Jury. Als Albert Einstein nominiert wurde, hätten die Juroren schlicht nicht genug über theoretische Physik gewusst, um seine Kandidatur zu würdigen, sagt Källstrand. «Erst 1922, als mehr theoretische Physiker im Komitee saßen, bekam Einstein den Preis.» Heute sei es fast umgekehrt, sagt Källstrand: «Die Jurys versuchen das zu vermeiden.»

Die Qual der Wahl: «Es gibt viel mehr wissenschaftliche Entdeckungen, die den Preis verdient haben, als ihn bekommen können», sagt Nobelforscher Källstrand. Geniale und fleißige Forscher auf der ganzen Welt müssen deshalb der Tatsache ins Auge sehen, dass sie die Auszeichnung wohl aus dem einfachen Grund nie bekommen werden, dass es zu viele bahnbrechende Forschungserfolge gibt.

Ein Quäntchen Unsicherheit: Wenn eine Jury einen Nobelpreis vergibt, will sie sich ganz sicher sein, dass eine Entdeckung so sensationell ist, wie sie im ersten Moment erscheint. Das kann dazu führen, dass sie eine Errungenschaft unterschätzt: «Es gibt Beispiele dafür, dass etwas den Preis nicht bekommen hat, weil das Komitee nicht rechtzeitig begriffen hat, wie bedeutend eine Entdeckung war», sagt Källstrand. Als der Kanadier Oswald Avery die DNA Mitte des 20. Jahrhunderts als Träger des Erbguts ausmachte, war sich die Forschungsgemeinschaft zunächst nicht sicher, ob er wirklich recht hatte. Trotz zahlreicher Nominierungen zögerte die Jury - und bevor ihm der Nobelpreis zuteil werden konnte, starb Avery.

Zu spät dran: Im Februar verkündeten US-Forscher einen Durchbruch in der Physik: den weltweit ersten Nachweis von Gravitationswellen. Ein klarer Nobelpreis-Kandidat! Für dieses Jahr waren sie damit aber wohl zu spät dran. Denn wer die begehrte Auszeichnung bekommen will, muss seine Erkenntnisse bis Ende Januar des jeweiligen Jahres veröffentlicht haben. Am 31. Januar endet die Nominierungsfrist, und was bis dahin nicht schwarz auf weiß in einem der einschlägigen Fachblätter steht, hat keine Chance auf einen Nobelpreis. «Aber es kommt ja immer ein nächstes Jahr», tröstet Ingelman.

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