Schwefelbrücken in Wasser spalten ist komplizierter als gedacht

26.10.2016 - Deutschland

In Proteinen und Gummi sind sie unverzichtbar: Bindungen zwischen zwei Schwefelatomen, die lange Moleküle miteinander vernetzen. Zieht man von außen an den Schwefelbrücken, setzen unerwartet komplizierte Prozesse ein.

© RUB, Marquard

Dehnt man Gummibänder immer und immer wieder, gehen die Schwefelbrücken in dem Material kaputt. Das Gummi wird brüchig.

Die Spaltung von Schwefelbrücken unter Zugspannung ist chemisch betrachtet ein wesentlich komplizierterer Prozess als bislang angenommen. Was dabei im Detail passiert, fanden Forscher um Prof. Dr. Dominik Marx von der Ruhr-Universität Bochum heraus – mithilfe umfangreicher Computersimulationen am Jülicher Supercomputer „Juqueen“.

Abhängig davon, wie stark man an der Bindung zwischen zwei Schwefelatomen zieht, ändert sich der Reaktionsmechanismus, mit dem die Bindung gespalten wird. „Das wusste man bislang nicht, und es macht vor allem die korrekte Interpretation von experimentellen Daten viel komplexer als gedacht“, sagt Dominik Marx.

Schwefelbrücken unter Stress

Schwefelbrücken kommen zum Beispiel in Proteinen vor – um diese in bestimmten strukturellen Anordnungen zu halten, aber auch als Schalter für biologische Prozesse. Befinden sie sich in einer alkalischen wässrigen Lösung und man erhitzt diese, bringt das folgende chemische Reaktion in Gang: Ein Hydroxid-Ion (OH-) greift die Schwefelbrücke an, bildet eine neue Bindung mit einem der Schwefelatome aus und spaltet so die Bindung. Wissenschaftler bezeichnen diesen Mechanismus als alkalische Hydrolyse in Wasser.

Die Bochumer Forscher untersuchten, was passiert, wenn man die Schwefelbrücke zusätzlich unter Zugspannung setzt. Sie bauten ein entsprechendes Molekül in wässriger Lösung im Computer nach und zogen virtuell an beiden Enden der Bindung. „Solche mechanochemischen Prozesse treten tatsächlich für kleine Kräfte in Zellen auf, oder sie werden eingesetzt, um altes Gummi zu recyceln“, erklärt Marx.

Rolle des Wassers entscheidend

Entscheidend für die Simulation dieser Prozesse war es, die Rolle des umgebenden Wassers korrekt einzubeziehen. Das Hydroxid-Ion, das die Schwefelbrücke angreift, ist von einer Hülle aus Wassermolekülen umgeben, die sich im Lauf des Angriffs auf komplexe Weise verändert.

Üblicherweise nutzen Theoretiker Methoden, die die Effekte des umgebenden Wassers drastisch vereinfachen, um die benötigte Rechenleistung zu reduzieren. Um die Prozesse realistisch abzubilden, muss das Wasser aber ebenso wie alle anderen Moleküle quantenmechanisch berechnet werden. Nur dann liefert die Simulation den korrekten Energieverlauf der Reaktion in wässriger Lösung.

Immenser Rechenaufwand

Schlüssel zum Erfolg war eine besonders aufwendige Form der Computersimulation, die sogenannte ab initio Molekulardynamik-Methode. „Das erfordert allerdings einen immensen Rechenaufwand“, erklärt Marx. Dieser wurde von einem der schnellsten Rechner Europas geschultert – dem IBM-Blue-Gene/Q-Rechner „Juqueen“ des Jülich Supercomputing Centre am Forschungszentrum Jülich. Möglich war dies durch ein Großprojekt des Gauss Centre for Supercomputing.

Brutale Physik siegt über subtile Chemie

„Obwohl sich mit steigender Zugkraft komplexe chemische Prozesse abspielen, passiert bei einer maximal großen Kraft etwas ganz Einfaches“, erzählt Dominik Marx. Zieht man fest – mit etwa zwei Nanonewton Kraft – an der Bindung, findet keine alkalische Hydrolyse der Schwefel-Schwefel-Bindung mehr statt. Stattdessen reißt einfach die Bindung zwischen einem der Schwefelatome und einem benachbarten Kohlenstoffatom. Oder, wie Marx pointiert zusammenfasst: „Wenn rohe Kräfte walten, siegt die brutale Physik über die subtile Chemie.“

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