Chemisch fundierte Restaurierung

Großflächige chemische Bildgebung macht Original-Farbschichten des Genter Altars sichtbar

05.04.2017 - Belgien

Der Genter Altar, ein um 1432 von Jan van Eyck und wahrscheinlich dessen Bruder Hubert geschaffener Höhepunkt mittelalterlicher Malerei, wird derzeit der umfassendsten Konservierung seit mehr als einem Jahrhundert unterzogen. Die Entscheidung für eine vollständige Entfernung aller Übermalungen wird durch wissenschaftliche Argumente untermauert: Belgische Forscher berichten in der Zeitschrift Angewandte Chemie, wie sie mit „chemischen Landkarten“ die originalen Farbschichten unterhalb der übermalten Gemäldeoberfläche sowie deren Zustand veranschaulichen.

© Wiley-VCH

Nach einer wechselvollen Geschichte steht der fast 4 m breite und mehr als 3 m hohe Flügelaltar in der St.-Bavo-Kathedrale in Gent, Belgien, wo er jährlich von etwa 200.000 Besuchern bewundert wird. Mehrere Restaurierungen hat das Kunstwerk bereits hinter sich. Seit 2012 läuft eine erneute, schrittweise Restaurierung. Belgische Wissenschaftler von der Universität Antwerpen, dem Königlichen Institut für Kulturerbe (KIK-IRPA, Brüssel) sowie der Universität Gent analysierten die Szenen auf der Rückseite der Flügel, die man sieht, wenn der Altar geschlossen ist. Sie setzten chemische Bildgebungsverfahren auf der Basis elementspezifischer Röntgenanalytik ein, um die Konservierungsstrategie neu auszurichten und zu optimieren und um die Entfernung der Übermalung während der Reinigungsphase zu überwachen.

Während Kunstwerke bislang meist nur punktweise und damit wenig repräsentativ untersucht werden konnten, nutzte das Team um Geert Van der Snickt mobile Scanning-Systeme, um die komplette Oberfläche mit Röntgenfluoreszenzspektroskopie abzurastern. Röntgenstrahlung schlägt dabei Elektronen aus den inneren Schalen der Atome. Wenn Elektronen aus äußeren Schalen auf diese freien Plätze wechseln, wird Energie frei, die als elementspezifische Röntgenfluoreszenzstrahlung abgegeben wird.

„Mehr als 16 Millionen Daten wurden gesammelt, umgehend mit unserer eigenen Software ausgewertet und so mehr als 1 GB spektraler Daten für jede Tafel gewonnen“, so Van der Snickt. „Durch Computerberechnungen konnten wir sie in anschauliche chemische Landkarten übersetzen, die die Elementverteilung wiedergeben. Röntgenstrahlen durchdringen die verschiedenen Farbschichten, ohne sie zu beschädigen. So gelang es uns, Van Eycks Original-Farbschichten darzustellen, die unter der übermalten Oberfläche verborgen sind.“ Um ergänzende Informationen über den detaillierten Schichtaufbau zu sammeln, analysierten die Forscher zudem Querschnitte winziger Proben der Farbe.

Van der Snickt sagt: „Bei der Analyse des Porträts des knienden Stifters Joos Vyd beispielsweise zeigten uns die Kartierungen von Blei, Quecksilber und Eisen erhebliche Schäden in der Originalfarbe in einem unversehrt erscheinenden Bereich des zinnoberroten Gewands und wo diese Lücken mit roten eisenhaltigen Pasten aufgefüllt wurden, bevor mit einer dünnen Schicht roter Quecksilbersulfid-Farbe überlackiert wurde.“

Indem sie den insgesamt guten Zustand der ursprünglichen Motive offenlegten, stützten die chemischen Landkarten die Entscheidung, alle Übermalungen zu entfernen, die bisher als Werk der Van Eycks angesehen worden waren.

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