Röntgenblitze erzeugen „molekulares Schwarzes Loch“

02.06.2017 - Deutschland

Mit einem ultraintensiven Röntgenblitz haben Forscher ein einzelnes Atom in einem Molekül kurzzeitig in eine Art elektromagnetisches ‚Schwarzes Loch‘ verwandelt. Anders als Schwarze Löcher im Weltall saugt das beschossene Atom allerdings nicht mit seiner Schwerkraft Materie aus der Umgebung an, sondern Elektronen über seine elektrische Ladung – und lässt damit sein Molekül innerhalb eines winzigen Sekundenbruchteils explodieren. Die Untersuchung liefert entscheidende Informationen für die Analyse von Biomolekülen mit Hilfe von Röntgenlasern, wie die Wissenschaftler im britischen Fachblatt „Nature“ erläutern.

DESY/Science Communication Lab

Das helle Röntgenlicht schlägt so viele Elektronen aus dem Iodatom (rechts), dass dieses wie eine Art elektromagnetisches Schwarzes Loch die Elektronen der Methylgruppe (links) absaugt, die schließlich ebenfalls davongeschleudert werden.

Die Forscher beschossen Iodmethan-Moleküle (CH₃I) mit dem Röntgenlaser LCLS am US-Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien. Die Blitze erreichten dabei eine Intensität von 100 Billiarden Kilowatt pro Quadratzentimeter. Das extrem energiereiche Röntgenlicht schlug 54 der 62 Elektronen aus dem Molekül, so entstand ein 54-fach positiv geladenes Molekül. „Das ist unseres Wissens die höchste Ionisation, die je mit Licht erreicht worden ist“, erläutert Ko-Autor Robin Santra aus dem Forscherteam, Leitender DESY-Wissenschaftler am Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL).

Diese Ionisation geschieht aber nicht auf einen Schlag. „Die Methylgruppe CH₃ ist quasi blind für die Röntgenstrahlung“, sagt Santra, der auch Physikprofessor an der Universität Hamburg ist. „Der Röntgenblitz entreißt zunächst dem Iodatom fünf bis sechs seiner Elektronen. Durch die resultierende hohe positive Ladung saugt das Iodatom die Elektronen von der Methylgruppe ab wie eine Art atomares Schwarzes Loch.“ Tatsächlich ist die Kraft auf die Elektronen dabei sogar wesentlich stärker als die eines typischen astrophysikalischen Schwarzen Lochs mit der Masse von etwa zehn Sonnen. „Solch ein echtes Schwarzes Loch könnte durch seine Gravitation auf ein Elektron keine vergleichbar hohe Kraft ausüben, egal wie nah man das Elektron an das Schwarze Loch heranbringt“, erläutert Santra.

Der Vorgang ist so schnell, dass die abgesaugten Elektronen noch vom selben Röntgenblitz hinauskatapultiert werden. Es entsteht eine Kettenreaktion, in deren Verlauf dem Iodmethan bis zu 54 seiner 62 Elektronen entrissen werden – alles in weniger als einer billionstel Sekunde. „Auf diese Weise sammelt sich eine extreme positive Ladung innerhalb eines zehntel milliardstel Meters. Das zerreißt das Molekül“, sagt Ko-Autor Daniel Rolles von DESY und der Kansas State University.

Die Beobachtung dieser ultraschnellen Dynamik hat große Bedeutung für die Analyse komplexer Moleküle mit sogenannten Freie-Elektronen-Röntgenlasern (XFEL) wie LCLS in Kalifornien oder dem European XFEL bei Hamburg, der gerade in Betrieb genommen wird. Diese Laser-Anlagen erzeugen extrem intensives Röntgenlicht, mit dem sich unter anderem die räumliche Struktur komplexer Moleküle auf einzelne Atome genau bestimmen lässt. Aus diesen Strukturinformationen schließen etwa Biologen auf die genaue Funktionsweise von Biomolekülen. Ihre atomare Struktur geben die Moleküle preis, bevor sie explodieren, wie andere Wissenschaftler bereits gezeigt haben. Für die Untersuchung der Dynamik von Biomolekülen, wie etwa bei der Photosynthese, ist allerdings die Wirkung der Röntgenstrahlung auf die Elektronen von Bedeutung.

Das Iodmethan diente bei dieser Untersuchung als Modellsystem. „Iodmethan ist als relativ einfaches Molekül gut geeignet, um die Prozesse der Strahlungsschädigung in anderen, komplexer aufgebauten organischen Verbindungen zu verstehen“, sagt Ko-Autor Artem Rudenko von der Kansas State University. „Wenn mehr Nachbarn als die einzelne Methylgruppe vorhanden sind, können noch mehr Elektronen eingesaugt werden.“

Dem Team von Robin Santra ist es dabei erstmals gelungen, diese ultraschnelle Dynamik auch theoretisch zu beschreiben. Das war nur durch die Entwicklung eines neuen, weltweit einmaligen Computerprogramms möglich. „Es ist nicht nur das erste Mal, dass diese Untersuchung gelungen ist, wir haben sogar eine numerische Beschreibung des Vorgangs“, betont Ko-Autor Sang-Kil Son vom CFEL, der für das Entwicklungsteam des Computerprogramms verantwortlich ist. „Die Daten haben hohe Relevanz für Untersuchungen an Freie-Elektronen-Röntgenlasern, denn sie zeigen im Detail, was bei Strahlungsschäden tatsächlich passiert.“

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