Kleb- und Verbundstoffe aus Holzrinde

25.10.2017 - Schweiz

​Die Rinde heimischer Nadelhölzer hat in der Holzindustrie den Ruf eines Abfallprodukts. Sie wird ab Sägerei meist direkt verbrannt oder im Garten­bau als Mulch verwendet. Ein Team des Nationalen Forschungspro­gramms "Ressource Holz" (NFP 66) hat nun Verfahren entwickelt, um aus Rindenmaterial hochwertige Tannine zu gewinnen und daraus Kleb- und Verbundstoffe herzustellen.

Schweizerischer Nationalfonds

Fichtenrinde im Naturzustand

Schweizerischer Nationalfonds

Pulverförmiges Tanninextrakt aus Fichtenrinde

Schweizerischer Nationalfonds
Schweizerischer Nationalfonds

Tannine sind als bittere Gerbstoffe nicht nur ein Lieblingsthema unter Wein­fach­leu­ten. Sie stehen auch im Fokus der Schweizer Holzforschung. Frédéric Pichelin und sein Team an der Berner Fachhochschule (BFH) in Biel sehen in der Tanninextraktion aus heimischen Nadelholzrinden ein grosses Verwertungspotenzial. "Ganz im Sinne der Kaskadennutzung arbeiten wir an einer zusätzlichen Stufe zur stofflichen Verwendung des reichlich vorhandenen Rindenmaterials. Dies eröffnet den Sägereien und nachgelagerten Industrien neue Einnahmequellen auf der Basis von nachwachsenden Ressourcen", fasst Frédéric Pichelin zusammen.

Wertschöpfung in die Schweiz holen

Bereits heute werden zur Herstellung von Holzklebstoffen Tanninextrakte verwendet. Diese stammen jedoch meist aus Rinden tropischer Holzarten und werden in Übersee produziert. Rinden europäischer Nadelhölzer bleiben bei der kommerziel­len Tannin­gewinnung aussen vor. Daran stören sich die Bieler Forschenden schon länger. Sie haben Verfahren zur Tanninextraktion aus heimischer Rinde entwickelt und anschliessend deren Eignung zur Herstellung von Klebstoffen für Faser- und Spanplatten geprüft.

So gelang es dem Bieler Forschungsteam, aus hiesiger Fichten­­rinde in einem zweistufigen wässrigen Extraktionsverfahren Tannine mit beachtlichem Reinheitsgrad zu gewinnen. Mit diesen Extrakten setzten sich dann die Forschenden hinter die Rezeptur von Klebstoffen für Faser- und Spanplatten. Die gewonnenen Erkenntnisse stimmen zuversichtlich: Mit den Extrakten aus Fichtenrinde lassen sich unter Zugabe von Wasser Kleb­stoffe mischen, die zur Plattenherstellung grundsätzlich geeignet sind.

Zudem kommen die im Technikumsmassstab gefer­tigten Plattenmuster ohne Zusatz von Formaldehyd aus, das in ver­leimten Holzwerkstoffen üblicherweise vorkommt und wegen seiner schädlichen Wirkung verpönt ist. Frédéric Pichelin sagt: "Wir lösen zwei Probleme quasi mit einem Streich: Wir substituieren synthetische und erdölbasierte Klebstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe und wir beseitigen gleichzeitig gesundheits­schädigende Emissionen in den gängigen Holzfaser- und Spanplatten."

Das BFH-Forschungsteam treibt seine Rindenverwertungsideen in Richtung einer industriellen Umsetzung voran. Da die gängigen Tanninextrakte aus Übersee diejenigen aus Fichtenrinde bezüglich der Festigkeit und Wasserbeständigkeit von verklebten Holzwerkstoffen noch etwas übertreffen, wird weiter an einem höheren Reinheitsgehalt der heimischen Extrakte gearbeitet. Dies geschieht unter anderem mit der Entwicklung besserer Extraktionstechniken. Zudem soll die noch zu grosse Variabilität der Tanninausbeuten verringert und damit deren Reproduzierbarkeit erhöht werden. Beides sind Grundvoraussetzungen für die nötige Hochskalierung der Verfahren zur industriellen Reife.

Rindenextrakte für den 3D-Druck

Bereits heute werden aus Rinden extrahierte Tannine nicht nur zur Verklebung von Holzwerkstoffen sondern auch von anderen Faserstoffen verwendet. Zusätzliches Potenzial sehen die Bieler Holzforschenden auch in tanninbasierten Schäumen für Plattenwerkstoffe im Leicht- und Möbelbau. Tanninschäume zeichnen sich unter anderem durch hohen Brandwiderstand aus, was den Einsatz entsprechender Produkte in brandschutzsensiblen Bereichen befördern wird.

Darüber hinaus spielen die Tanninextrakte eine grosse Rolle in der Entwicklung von Verbundstoffen für den 3D-Druck. Den Forschenden schweben druckbare Bau- und Designwerkstoffe vor, die ganz oder hautsächlich auf Holz und Rinde basieren. Schliesslich zeigen sogar die Pharma- und Lebensmittel­industrie gesteigertes Interesse am Grundstoff Tannin – sie haben vor allem dessen antioxidative und antibakterielle Wirkung im Blick. Und was Tannin selber nicht vermag, leisten unter Umständen die bei der Rindenextraktion ebenfalls anfallenden Inhaltstoffe. Diese bewahren bereits in der Natur die Bäume vor Pilzen und Bakterien und können künftig zur biologischen Schutzbehandlung von Holzoberflächen eingesetzt werden.

"Die Anwendungsoptionen von Extrakten aus Holzrinden sind immens. In welche Richtungen all diese Reisen konkret gehen werden, ist noch offen", meint Frédéric Pichelin. "Sicher ist nur, dass die Schweiz die besten Reisezüge nicht verpassen sollte."

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Entdecken Sie die neuesten Entwicklungen in der Batterietechnologie!