Ein Kreisel aus Licht

05.03.2018 - Deutschland

Kurze, rotierende Lichtpulse verraten viel über die innere Struktur von Materialien. Ein internationales Team von Physikern um Prof. Misha Ivanov vom Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) hat nun ein neues Verfahren entwickelt, um solche extrem kurzen Lichtpulse genau zu charakterisieren.

Felipe Morales & Alvaro Jimenez Galan

Ein in Ruhe arbeitender Sprinkler verteilt das Wasser gleichmäßig im Kreis und das Gras wächst in einem kreisförmigen Muster – unabhängig davon, ob sich der Sprinkler im Uhrzeigersinn, gegen den Uhrzeigersinn oder zufällig dreht. Wenn Wind weht, wird das Gras ungleichmäßig nass – dies zeigt sich auch in seinem Wachstum. Wenn der Wind seine Richtung aber synchron zur Drehung des Sprinklers wechselt, führt dies zu einer Asymmetrie im Graswachstum. Diese erlaubt es, die Dreheigenschaft des Sprinklers zu rekonstruieren – ob es sich also um einen präzisen, regelmäßig rotierenden Sprinkler handelt oder um ein billiges Exemplar, das zufällig rotiert. In der Untersuchung ist der Sprinkler der kurze Puls (blau), der nur rund 10-16 Sekunden dauert und dessen elektrisches Feld sogar noch schneller rotiert. Als „Wind“ dient ein linear polarisiertes und präzise kontrolliertes Infrarot-Laserfeld (rot). Das Gras ist die gemessene Photoelektronen-Winkelverteilung (grün). Die Asymmetrie im Letzteren erlaubt erstmalig, die Eigenschaften der ultrakurzen Pulse zu rekonstruieren.

Licht ist nicht gleich Licht: Je nach Art der Präparation kann es in ganz verschiedener Weise vorliegen. Nicht nur seine Wellenlänge oder Farbe lässt sich wählen. Als elektromagnetische Welle kann Licht auch verschiedene Schwingungsarten aufweisen. So kann es etwa in unterschiedlicher Polarisation auftreten – entweder linear polarisiert mit geradliniger oder zirkular polarisiert mit kreisförmiger Schwingung der elektromagnetischen Felder. Vor allem extrem kurze Pulse zirkular polarisierter Lichtwellen eignen sich hervorragend, um ganz unterschiedliche Materialien zu untersuchen. Mit heutigen Methoden lassen sich solche Pulse zwar herstellen. Noch sind die Methoden aber an der Grenze des technisch Machbaren und die produzierten Lichtpulse zeigen nicht immer die erwünschten Eigenschaften.

Ein neues Verfahren ermöglicht es nun, solche Lichtpulse mit ungeahnter Präzision zu charakterisieren. Die besondere Schwierigkeit dabei: Die interessanten Prozesse in Materie, die man durch Bestrahlung mit Lichtpulsen untersuchen will, sind außerordentlich kurz. Dementsprechend kurz, im Bereich von rund 100 Attosekunden (milliardstel milliardstel Sekunden), müssen auch die Lichtpulse sein. In diesem winzigen Zeitraum vollführt eine Lichtwelle nur wenige Drehungen. Wenn man solche ultrakurzen Pulse mit neuartigen Laserverfahren herstellt, kann es schnell passieren, dass die Lichtwellen nicht richtig rotieren.

Die Idee hinter dem neuen Verfahren: Man bestrahlt ein Atom oder einen Körper mit einem extrem kurzen, hochenergetischen und zirkular polarisierten Lichtpuls, wobei dieser Puls absorbiert wird und ein Elektron aus dem Körper herausschlägt. Dieses Elektron trägt dann einerseits Informationen über die Lichtwelle in sich und kann andererseits Aufschluss über die Eigenschaften des untersuchten Körpers geben. Da die Lichtpulse zirkular polarisiert sind, vollführen auch die herausgeschlagenen Elektronen Drehungen.

„Man kann die herausgeschlagenen Elektronen mit einem einarmigen Sprinkler vergleichen, der sich entweder dreht wie gewünscht oder immer wieder ins Stottern kommt und sogar seine Drehrichtung ändert“, sagt Misha Ivanov, Leiter der Theorie-Abteilung am Max-Born-Institut. Wenn der Sprinkler nun eine Weile läuft, macht er den Rasen um ihn kreisförmig nass – unabhängig davon, ob er gleichmäßig rotiert oder nicht. Um herauszufinden, ob sich der Sprinkler exakt in die gewünschte Richtung dreht, reicht es also nicht aus, einfach den Rasen zu betrachten. „Wenn aber zusätzlich ein böiger Wind weht, können wir unterscheiden, ob sich der Sprinkler gleichmäßig oder unregelmäßig dreht“, so Ivanov. Wenn etwa jedes Mal abwechselnd ein Windstoß von links oder rechts erfolgt, wenn sich der Arm des Sprinklers links oder rechts befindet, dann wird der Rasen nicht kreisförmig nass, sondern eine diagonale Ellipse aufweisen. Ein völlig irregulär rotierender Sprinkler würde eine in die Windrichtung ausgerichtete Ellipse auf den Rasen zaubern, während ein regulär rotierender Sprinkler eine schiefe Ellipse zeigen würde.

Als „Wind“ dient dabei ein Infrarot-Laserpuls, dessen Schwingungen genau mit den ultrakurzen Pulsen synchronisiert sind. Die Infrarot-Strahlung beschleunigt das Elektron entweder nach links oder rechts – genau wie der Wind die Wassertropfen.

„Mit einer Messung an den Elektronen können wir dann nachweisen, ob der Lichtpuls die gewünschte gleichmäßige Rotation besessen hat oder nicht“, sagt Álvaro Jiménez-Galán, Wissenschaftler am Max-Born-Institut und Erstautor der Veröffentlichung in „Nature Communications“.  „Mit unserer Methode ist es möglich, die Eigenschaften der ultrakurzen Lichtpulse mit bislang nicht erreichter Präzision zu ermitteln“, so Jiménez-Galán. Und wenn die Lichtpulse erst einmal scharf bestimmt sind, lässt sich umso genauer die Information des Elektrons über seinen Herkunftsort im Innern exotischer Materialien herauslesen.

Das ist insbesondere zur Untersuchung an einer ganzen Reihe neuartiger Materialien von Bedeutung. Dazu könnten einerseits Supraleiter zählen, die Strom ohne elektrischen Widerstand leiten können, und andererseits topologische Materialien, die exotische Eigenschaften aufweisen und für deren Erforschung der Physik-Nobelpreis 2016 vergeben wurde. Diese Materialien könnten in einem Quantencomputer zum Einsatz kommen oder besonders schnelle und energieeffiziente Prozessoren und Speicherchips in normalen Computern und Smartphones möglich machen.

Das neue Sprinkler-Verfahren existiert zwar vorerst noch nur in der Theorie, sollte sich aber schon in naher Zukunft umsetzen lassen. „Unsere Vorgaben entsprechen dem heutigen Stand der Technik, deshalb steht einer baldigen Realisierung im Labor nichts entgegen“, meint Ivanov.

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