Altbekannter Oxidationsmechanismus auch in der Atmosphäre aktiv – und das mit weitreichenden Folgen

Forscher entschlüsseln Mechanismus der schnellen Bildung von extrem schwer flüchtigen organischen Verbindungen

15.12.2014 - Deutschland

Dass Kohlenwasserstoffe durch atmosphärischen Sauerstoff oxidiert werden können ist bereits seit 1875 bekannt. Bisher waren diese sogenannten “Autoxidationsprozesse“ jedoch nur in der kondensierten Phase erforscht. Jetzt ist einem internationalen Wissenschaftlerteam unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) erstmals der Nachweis derartiger Prozesse in der Atmosphäre gelungen.

Tilo Arnhold/TROPOS

Feldmessungen an der TROPOS-Station in Melpitz bei Leipzig halfen mit, die Zwischenprodukte auf dem Wege zur Bildung der ELVOCs zu identifizieren.

In Laborexperimenten konnte mit Hilfe von neuesten analytischen Techniken der Mechanismus weitestgehend entschlüsselt werden, der dafür sorgt, dass Kohlenwasserstoffe, die aus der Vegetation in die Luft gelangen, auf einer kurzen Zeitskala von Sekunden in organische Produkte mit bis zu 12 Sauerstoff-Atomen umgewandelt werden können. Diese hochoxidierten Produkte stellen extrem schwerflüchtige Verbindungen dar. Da diese das Partikelwachstum entscheidend vorantreiben können, werden so auch die Wolkenbildung und das Klimasystem beeinflusst, schreiben die Wissenschaftler aus Deutschland, Finnland und den USA im Fachjournal Angewandte Chemie. Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, die Auswirkungen von natürlichen Emissionen der Vegetation auf das Klima besser zu verstehen.

Wälder geben große Mengen an flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) ab. Dazu gehören beispielsweise Alpha-Pinen und Limonen, der typische Duft von Nadelwäldern. Deren Reaktionsprodukte bilden das sogenannte sekundäre organische Aerosol. Dabei werden Gase zu Partikelbestandteilen umgewandelt. Diese atmosphärischen Partikel können die Sonnenstrahlung reflektieren oder als Keime für Wolkentropfen fungieren. Prozesse, die großen Einfluss auf das Klima haben und daher von großem wissenschaftlichen Interesse sind. Allerdings sind die dazugehörigen Modellrechnungen bisher sehr ungenau, da es noch breite Wissenslücken dabei gibt, welche Rolle die von den Pflanzen abgegebenen Verbindungen für den Prozess der Partikelbildung und -wachstum genau spielen. Solange diese Prozesse aber nur unzureichend verstanden sind, fällt es schwer, genaue Prognosen zu machen. Eine Unsicherheit, die sich auch auf sämtliche Klimamodelle auswirkt.

Große Unsicherheiten bestehen vor allem beim Wachstum von neugebildeten Partikeln hin zu Wolkenkeimen, an denen Wasser kondensiert und dadurch die Wolkenbildung beginnt. Das Partikelwachstum in Größen von etwa zwei bis einhundert Nanometern würde schwerflüchtige organische Dämpfe erfordern, wurde lange spekuliert. Diese extrem schwer flüchtigen organischen Verbindungen - auf Englisch „extremely low-volatility organic compounds (ELVOCs)“ genannt – wurden erst vor kurzem durch Fortschritte in der Messtechnik nachweisbar. Anfang 2014 wurde dieser Nachweis im Fachmagazin NATURE veröffentlicht.

Über mögliche Bildungswege wurde anschließend in der Fachwelt spekuliert. Mit der jetzt veröffentlichten Studie von Wissenschaftlern des TROPOS und der Universität Helsinki in Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen lösen die Atmosphärenchemiker einen weiteren Teil des Rätsels. Durch Laborversuche im Strömungsrohr des TROPOS sowie Feldmessungen in Melpitz bei Leipzig und im südfinnischen Hyytiäla konnten die Zwischenprodukte auf dem Wege zur Bildung der ELVOCs identifiziert werden. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die häufigsten Monoterpene wie Limonen und Alpha-Pinen innerhalb von Sekunden hochoxidierte RO2-Radikale mit bis zu 12 Sauerstoff-Atomen und nachfolgend die dazugehörigen nichtradikalischen Endprodukte bilden. Der Gesamtprozess in der Atmosphäre verläuft damit ähnlich zu dem bereits lange bekannten Autooxidationsprozess in der kondensierten Phase“, erklärt Dr. Torsten Berndt vom TROPOS. Unter Autooxidation wird in der Chemie ein Prozess verstanden, bei dem Stoffe mit Luftsauerstoff bei Umgebungstemperatur langsam umgewandelt werden. Diese Selbstoxidation sorgt zum Beispiel auch dafür, dass Kunststoffe spröde werden oder Lebensmittel verderben.

„Die Feldmessungen über den Wiesen von Melpitz und im Nadelwald von Hyytiäla in Finnland bestätigen die Laborergebnisse und weisen die Bedeutung der Autooxidation für die Oxidation der Kohlenwasserstoffe in der Atmosphäre nach. Die gebildeten hochoxidierten RO2-Radikale und ihre nichtradikalischen Endprodukte besitzen wahrscheinlich eine sehr geringe Flüchtigkeit. Deshalb sind sie für das Wachstum atmosphärischer Aerosole entscheidend und beeinflussen so die Wechselwirkungen zwischen Aerosol, Wolken und Klima“, unterstreicht Tujia Jokinen von der Universität Helsinki. Die neuen Erkenntnisse werden also helfen, den Beitrag der Vegetation und damit von verschiedenen Landnutzungsformen auf das Klima genauer abzuschätzen. Dadurch können auch die Klimamodelle verbessert werden, die bisher das Wachstum von Partikeln nicht zufriedenstellend beschreiben konnten.

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