Tanz der Moleküle: Neue Wege zu maßgeschneiderten Materialien

Forschungsteam beobachtet Vibrationsdynamik von organischen Säuremolekülen auf Eisenoxid

03.05.2021 - Deutschland

Ein Hamburger Forschungsteam bahnt neue Wege zu maßgeschneiderten Materialien: Die Wissenschaftler aus dem DESY-NanoLab und von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) haben erstmals das Verhalten organischer Säuremoleküle auf Eisenoxid atomgenau beobachtet. Die untersuchten Moleküle der Ameisensäure vollführen demnach auf Magnetit (Fe3O4) eine Art Tanz in Dreiergruppen, wie das Team um den Leitenden DESY-Wissenschaftler Andreas Stierle und TUHH-Theoriegruppenleiter Gregor Vonbun-Feldbauer im Fachblatt „The Journal of Physical Chemistry Letters“ berichtet.

DESY, Marcus Creutzburg

Die Ameisensäuremoleküle bilden Dreiergruppen, die jeweils etwa einen millionstel Millimeter Abstand haben, wie die Untersuchung mit dem Rastertunnelmikroskop zeigt. Zoom: Detailaufnahme der Dreiergruppen mit berechnetem Strukturmodell.

„Wir versuchen, die mechanischen Eigenschaften von Kompositmaterialien zu verstehen, die nach dem Vorbild der Natur aufgebaut sind: harte Kerne eingebettet in organische Moleküle“, erläutert Stierle, der auch Professor für Nanowissenschaften an der Universität Hamburg ist. „Wenn man die mechanischen Eigenschaften maßschneidern will, muss man verstehen, was an den Grenzflächen zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Materialklassen passiert.“ Dieses Wissen fehlt bislang in den meisten Fällen.

„Die Kombination von Ölsäure mit Nanopartikeln liefert bereits Materialien mit vielen ausgezeichneten Eigenschaften“, sagt Hauptautor Marcus Creutzburg aus dem DESY-NanoLab. „Zum Beispiel erreichen solche Komposite eine besonders hohe Festigkeit.“ Wie es genau dazu kommt, ist allerdings nicht im Detail geklärt. „Wir wissen zwar, dass die Säure die Lücken zwischen den Nanopartikeln füllt, aber was sich dort auf der molekularen Ebene genau abspielt, wussten wir bislang nicht“, berichtet Creutzburg.

Das Team untersuchte daher Ameisensäure auf einer Magnetitoberfläche als vergleichsweise einfaches Modellsystem per Rastertunnelmikroskop, Infrarot-Spektroskopie, Röntgenstreuung und mit Hilfe von quantenmechanischen Simulationen. „Ameisensäure ist die einfachste organische Säure“, erläutert Ko-Autor Kai Sellschopp von der TUHH, der die Computersimulationen durchführte. „Ölsäuremoleküle sind viel komplizierter, aber die Endgruppe, mit der sich die Säuremoleküle an das Eisenoxid anlagern, sieht genauso aus wie bei Ameisensäure.“

Die Magnetitprobe wurde so vorbehandelt, dass sie Eisenfehlstellen auf der Oberfläche aufwies. Das erleichtert den Säuremolekülen die Anlagerung und führt damit zu einer erhöhten Grenzflächenstabilität. Wie die Untersuchung zeigt, lagern sich die Ameisensäuremoleküle überwiegend in Dreiergruppen an das Eisenoxid an. Diese Dreiergruppen sind jeweils rund einen millionstel Millimeter (Nanometer) voneinander entfernt und vollführen eine Art wiegenden Tanz. Weil die Moleküle direkt aneinandergekoppelt sind und sich damit gegenseitig beeinflussen, werden bevorzugte Schwingungen („Eigenschwingungen“) der Moleküle besonders leicht angeregt.

„Es ist das erste Beispiel, bei dem wir die Bindung von organischem Material und den Einfluss von Oberflächendefekten auf dem Magnetit auf der atomaren Skala verstehen können“, sagt Stierle. Die Forscher hoffen, mit diesem Wissen und mit weiteren Untersuchungen die Grundlage für ein systematisches Design der Eigenschaften von Kompositmaterialien zu schaffen. Es ist zudem für das Verständnis von Magnetit als Katalysator in Energieumwandlungsprozessen von Bedeutung.

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