Rennen der Moleküle: Das total andere 24-Stunden-Rennen

Acht Teams aus drei Kontinenten treffen sich zum kleinsten Rennen der Welt

24.03.2022 - Deutschland

Beim Begriff „24-Stunden-Rennen“ denken viele an Le Mans, an Daytona, oder auch den Nürburgring. Vor dem inneren Auge erscheinen möglicherweise Bilder von bunten Autos, die rasend schnell vorbeiziehen, begleitet von ohrenbetäubendem Lärm und dem Geruch verbrannter Hochleistungs-Treibstoffe. Doch beim NanoCar Race ist alles anders! Und mittendrin ein Team der TU Dresden.

Tim Kühne

Schematische Darstellung des Nanocars vom deutschen Team #GAzE. Der molekulare Rennwagen besteht im Kern aus einem Azulen-Molekül, das durch weitere Atomgruppen ergänzt wurde. Damit wird die angestrebte Mobilität und Steuerbarkeit erreicht.

Das total andere 24-Stunden-Rennen

Ende März findet in Toulouse am französischen CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique - Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung) das zweite NanoCar Race statt. Bei diesem Rennen der besonderen Art ist so ziemlich alles anders ist als bei den klassischen Autorennen! Genaugenommen sitzen eigentlich nur die Rennpilot:innen dort, während sich die „Rennstrecken“ weltweit verteilt in acht verschiedenen Laboren befinden – eins davon an der TU Dresden. Und die teilnehmenden „Autos“ sind sehr, sehr klein – Moleküle aus 50 bis 200 Atomen, in der Größe von wenigen Nanometern. Um diese Dimensionen zu begreifen, hilft vielleicht folgender Vergleich: Ein menschliches Haar hat eine Dicke von rund 70.000 Nanometern.

Ein Mikroskop als Motor?

In dieser Winzig-Welt lässt sich natürlich nichts mehr mit dem bloßen Auge oder mit klassischen Mikroskopen erkennen – es braucht dafür ganz besondere Hightech-Maschinen, sogenannte Rastertunnelmikroskope (englisch „scanning tunneling microscope“ – STM). Diese gleiten mit einer sehr feinen Mess-Spitze (Sonde) über die jeweilige Probe. Aufgrund der angelegten Spannung zwischen Sonde und Probe lassen sich mittels quantenmechanischem Effekt Erkenntnisse über die Oberflächenstruktur des untersuchten Objekts machen – und zwar mit einer Auflösung bis zur Größe von einzelnen Atomen! Doch beim NanoCar-Rennen dienen die STMs nicht nur der Beobachtung der winzigen Rennwagen, sondern sie sorgen auch für deren Fortbewegung. Denn mittels der angelegten Spannung lassen sich Moleküle auch bewegen, wenn sie einen geeigneten Aufbau haben.

Hier liegt für die Rennteams also der Schlüssel zum Sieg: Welches Molekül eignet sich am besten, um innerhalb der 24 Stunden möglichst weit voran zu kommen? „Weit“ ist hier natürlich auch wieder ein relativer Begriff – die zurückgelegten Strecken werden im besten Fall einige Nanometer betragen. Dennoch scheuen die Organisator:innen des Rennens keine Mühen, um alles wie bei einem richtigen Sportevent erscheinen zu lassen! Es gibt einen 24-Stunden-Livestream, unterbrochen von Reportagen zu den einzelnen Teams sowie der Übertragung offizieller Statements aus Politik und Wissenschaft. Und im Anschluss gibt es natürlich eine standesgemäße Siegerehrung! Das erste Nanocar-Rennen fand im April 2017 statt und wurde von mehr als 100.000 Menschen weltweit live auf dem YouTube-Kanal verfolgt.

Grundlagenforschung, in zugängliches Format verpackt

Was alles wie ein großer Spaß klingt, hat natürlich einen ernsthaften wissenschaftlichen Hintergrund. Die Forschung an beweglichen, gezielt steuerbaren Molekülen ist Grundlagenforschung, die eines Tages verschiedenste Anwendungen ermöglichen könnte. Auch wenn es heute wie Science-Fiction klingt, in Zukunft verteilen solche Nano-Autos vielleicht medizinische Wirkstoffe im menschlichen Körper, dienen als Motoren bei der Verrichtung von Arbeiten winziger Minimaschinen oder werden als alternative Methode zur Berechnung von komplexen Problemen eingesetzt.

Organisiert wird das zweite internationale Nanocar-Rennen innerhalb des EU-geförderten FET OPEN Projekts „MEMO“ (Mechanics with Molecules). Die Projektleitung liegt bei Dr. Francesca Moresco, Leiterin der Gruppe „Single Molecule Machines“ (SMM) am Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed) an der TU Dresden.

Das Dresden-Team

Natürlich sind die Dresdner:innen auch mit einem eigenen Nanocar am Start: Zum Dresdner Team GAzE (German Azulene Explorer) gehören neben der SMM-Gruppe (Koordinator:innen und Pilot:innen) auch Dr. Franziska Lissel und Oumaima Aiboudi (Functional Electronic Materials-Gruppe am Leibniz Institut für Polymerforschung Dresden - IPF) für die chemische Synthese, sowie Dr. Dmitry Ryndyk (TU Dresden, Professur für Theoretische Chemie / Leibniz-Institut für Werkstoffwissenschaften IFW), zuständig für Modellrechnungen.

Das Dresdner Nanocar hat einen Kern aus Azulen, der für ein hohes Dipolmoment sorgt, während seitliche Gruppen die Entkopplung von der Oberfläche unterstützen. Azulen ist ein blauer aromatischer Kohlenwasserstoff, der in Kosmetikprodukten und als Färbemittel verwendet wird. Die bekannteste natürliche Azulenverbindung kommt in der Kamille vor und wurde schon im 15. Jahrhundert als tiefblaues ätherisches Öl bei der Wasserdampfdestillation der Kamille gewonnen.

Liste der qualifizierten Teams für das Nanocar Race II

  • StrasNanocar (University of Strasbourg / France)
  • SanCar (CFM-CSIC San Sebastian and University of Santiago de Compostela/ SPAIN)
  • GAzE (TU Dresden and IPF Dresden, Germany)
  • Rice-Graz NanoPrix (University of Graz, Austria / Rice University, USA)
  • NANOHISPA (IMDEA Madrid, Spain)
  • TOULOUSE-NARA (CNRS and University of Toulouse, France / NAIST Nara, Japan)
  • Ohi

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