Forschung deutscher Unternehmen im Ausland ergänzt inländische Forschung

Kein Hinweis auf Abwanderung, aber auf Defizite im Digitalen

05.09.2019 - Deutschland

Deutsche Unternehmen lassen häufig im Ausland forschen. Schadet das dem Standort Deutschland? Nein, in den meisten Fällen geht es darum, das in der Heimat entwickelte technologische Know-how zu ergänzen, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.

Jede vierte Erfindung machen große deutsche Unternehmen in ihren Forschungslaboren im Ausland. Drei Viertel der deutschen Unternehmensforschung im Ausland konzentrieren sich auf Technologien, in denen die Firmen auch in Deutschland besonders stark sind. Entscheidend für die Innovationskraft der weltweit tätigen deutschen Unternehmen bleibt somit meist der Standort Deutschland. Allerdings mit einer gewichtigen Ausnahme: Forschung zu Computertechnik, Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik betreiben deutsche Konzerne offensichtlich oft gezielt in Ländern, die auf diesen Gebieten versierter sind als Deutschland. Zu diesen Ergebnissen kommen Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in der neuen Untersuchung, die die Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.

Deutsche Unternehmen haben im Jahr 2015 weltweit knapp 69 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Die Ausgaben lagen fast doppelt so hoch wie im Jahr 2003. In Forschungsaktivitäten im Ausland flossen rund 35 Prozent aller Aufwendungen. Ähnlich hoch war der Auslandsanteil für Forschung und Entwicklung bereits Anfang der 2000er-Jahre.

Genauer unter die Lupe genommen haben die Wissenschaftler die Aktivitäten der 104 forschungsstärksten deutschen Unternehmen anhand der zwischen 2012 und 2014 angemeldeten Patente ihrer Erfinder weltweit. Die meisten entfielen auf den Fahrzeugbau mit fast 30 Prozent, gefolgt vom Maschinenbau mit 18 Prozent, dem Bereich Datenverarbeitung, Elektronik und Optik mit 12 Prozent sowie der Chemieindustrie mit 10 Prozent. Die Hälfte aller Patentanmeldungen stammte von nur sechs Großunternehmen: Bosch, Siemens, Infineon, Volkswagen, Continental und BASF.

Während in der Automobilindustrie nur jede fünfte Erfindung im Ausland getätigt wurde, waren es im Maschinenbau und der Chemieindustrie mit rund 30 Prozent deutlich mehr. Im Schnitt lag der Auslandsanteil bei den Erfindungen der 104 Unternehmen im Untersuchungszeitraum bei 27 Prozent – und damit nur geringfügig unter dem Anteil an den Ausgaben, die für Forschung und Entwicklung im Ausland getätigt wurden. „Im Ausland wird also kaum weniger Forschung durchgeführt, die zu Patenten führt, als in der Heimat“, erklären die Forscher. „Originalität und Qualität der Unternehmensforschung im Ausland dürften kaum geringer sein als in Deutschland.“

USA, Österreich, Frankreich und China wichtigste ausländische Forschungsstandorte

Die Auslandsforschung deutscher Unternehmen ist weltweit verteilt. Die beiden wichtigsten Forschungsregionen im Ausland sind die Europäische Union und die USA mit Anteilen von 12 beziehungsweise 9 Prozent an allen Erfindungen zwischen 2012 und 2014. Danach folgt mit deutlichem Abstand Asien mit 5 Prozent. Schaut man auf einzelne Länder, sind die USA, Österreich (3,4 Prozent), Frankreich (1,8 Prozent) und China (1,5 Prozent) die wichtigsten ausländischen Forschungsstandorte.

Die ausgewerteten Patentdaten ließen außerdem darauf schließen, in welchen Bereichen die Unternehmen forschen und welche Motive dahinter stecken: Konzentrieren sich die Firmen im Ausland besonders auf Technologien, in denen die jeweiligen Länder einen Vorsprung gegenüber Deutschland haben? Dies wäre ein Anhaltspunkt dafür, dass deutsche Unternehmen vor allem neues technologisches Wissen suchen, das ihnen im Heimatland nicht zur Verfügung steht. Oder forschen sie in Bereichen, auf die die Zielländer nicht spezialisiert sind, in denen diese also keinen besonderen Vorteil bieten? In dem Fall dürfte das Ziel sein, das in Deutschland entwickelte Wissen für andere Märkte anzupassen. Das ist zum Beispiel dann nötig, wenn ein Produkt aus Deutschland auf spezifische Anforderungen der Kunden in einem anderen Land abgestimmt werden soll.

Nach Analyse der Patentanmeldungen kommen die DIW-Wissenschaftler zu dem Schluss: die Forschung deutscher Unternehmen im Ausland geschieht überwiegend aus einer Position der technologischen Stärke im Heimatland heraus. Drei Viertel der Aktivitäten finden in Forschungsfeldern statt, in denen der Standort Deutschland im internationalen Vergleich stark ist. Das gilt besonders für die forschungsstarken Branchen Maschinenbau, Chemie sowie Mess- und Steuertechnik.

Nur 12 Prozent der Patente im Ausland weisen darauf hin, dass ein Unternehmen in Feldern forscht, auf die es in der Heimat nicht spezialisiert ist, das Zielland jedoch über technologische Stärke verfügt. Allerdings kommt diese am ehesten in Bereichen vor, deren Bedeutung im Zuge der Digitalisierung steigt, etwa in der Computertechnik, der Datenverarbeitung und der digitalen Kommunikation. Solche „technologiesuchende“ Forschung betreiben deutsche Unternehmen verstärkt in den USA, Österreich, Dänemark und Südkorea. China spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle.

„Der Forschungsstandort Deutschland verliert durch die internationalen Aktivitäten nicht an technologischer Stärke“, lautet das Fazit der Wissenschaftler. In den meisten Fällen gehe es nicht darum, Forschung aus Deutschland abzuziehen, sondern das in Deutschland gewonnene Wissen zu erweitern. „Forschung, die zur Ergänzung der technologischen Aktivitäten im Heimatland oder zur Unterstützung der Markterschließung durchgeführt wird, weist nicht auf Verlagerungen hin.“ Die Hinweise auf Defizite in digitalen Zukunftsbereichen sollten gleichwohl sehr ernst genommen werden, rät Studienautorin Dr. Heike Belitz: „Der Forschungsstandort Deutschland scheint Defizite bei Technologien zu haben, die für das Megathema Digitalisierung eine große Rolle spielen.“ Deshalb sollte die Forschung in diesen Zukunftsfeldern in Deutschland gestärkt werden, gerade auch in öffentlichen Forschungseinrichtungen wie den Universitäten, die so als Kooperationspartner für die Unternehmen auch künftig attraktiv bleiben.

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