Erdgasersatz für die Chemieindustrie

Spin-off der Universität Stuttgart entwickelt neuartiges Verfahren

17.05.2022 - Deutschland

Fast alle Alltagsgegenstände werden auf Basis von Erdgas und Erdöl hergestellt. Den Erdgasbedarf zu reduzieren ist derzeit gerade mit Blick auf die globalen Herausforderungen Klimawandel und Energieunabhängigkeit sehr dringend. Das Spin-off „Cyclize“ der Universität Stuttgart hat ein neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem in der Chemieindustrie in Zukunft Erdgas durch Kunststoffabfälle und Abgas-CO2 ersetzt werden kann. Damit können neue Produkte wie Kunststoffe, Schäume, Kleber, Farben oder Lacke ganz ohne fossile Ressourcen hergestellt werden. Und CO2 lässt sich dabei auch einsparen.

IPV/Universität Stuttgart

Cyclize-Gründungsteam: Jan Stein, Dominik Novakovic, Stephan Renninger, Maike Lambarth (v.l.n.r.)

Erfunden haben das neue Plasmaverfahren die drei Nachwuchsforschenden Maike Lambarth, Stephan Renninger und Jan Stein vom Institut für Photovoltaik der Universität Stuttgart. Sie gründeten das Spin-off „Cyclize“ und wollen drei zentrale Probleme in einem Verfahren lösen:

  • Erdgas für die Chemieindustrie durch nicht-fossile Alternativen ersetzen,
  • die jährlich steigende Menge an Kunststoffmüll sinnvoll und ganzheitlich verwerten und
  • eine sogenannte CO2-Senke etablieren. Das bedeutet, dass nicht nur große Mengen an CO2-Emissionen eingespart werden, sondern darüber hinaus CO2 aus Abgasströmen von Punktquellen wie zum Beispiel Zementwerken als Ressource, also als Kohlenstoffquelle, genutzt wird.

Zusammen mit dem Abgas-CO2 wird der gemischte Kunststoffabfall aus dem Gelben Sack oder anderem kohlenstoffhaltigen Abfall wie zum Beispiel Restmüll oder Reststoffe aus der industriellen Herstellung verwertet und in den Kohlenstoffkreislauf zurückgeführt. „Damit wird die Chemieindustrie zwar nicht kohlenstofffrei, also dekarbonisiert, denn in den Produkten selbst sind jede Menge Kohlenstoffatome. Diese können jedoch durch nicht-fossile Kohlestoffquellen und die Elektrifizierung der Chemieindustrie defossilisiert werden“, erklärt Lambarth. Das Cyclize-Verfahren nutzt ein nicht thermisches Plasma, welches durch eine selbstentwickelte und effiziente Elektronik erzeugt wird. Mit dem Plasma wird zunächst der Kunststoffabfall vergast, und der daraus entstehende Kohlenwasserstoff-CO2 Gasstrom zu Synthesegas reformiert.

Aus Synthesegas, einem Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, können Grundchemikalien oder Kraftstoffe erzeugt werden. Bisher wird Synthesegas aus Erdgas in einem Prozess namens Dampfreformierung gewonnen. „Unser Cyclize-Verfahren kann diesen Prozess gleichwertig ersetzen“, sagt Lambarth.

Weil das Verfahren so großes Potenzial hat, die Kreislaufwirtschaft für Kohlenstoff zu ermöglichen, erhält das Gründerteam seit Mai 2022 eine EXIST-Forschungstransfer Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima. Die Förderung unterstützt herausragende forschungsbasierte Gründungsvorhaben, die mit aufwändigen und risikoreichen Entwicklungsarbeiten verbunden sind. „Wir werden die Förderung nutzen, um das Verfahren zu skalieren und zur Industriereife zu bringen“, sagt Lambarth.

„Unser Ziel ist es, unsere Technologie zur Marktreife zu entwickeln, um damit die ganzheitliche Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Wenn wir das wie geplant schaffen, wird davon nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft profitieren“, so Lambarth.

Dafür haben die drei Forschenden nun eineinhalb Jahre Zeit. Unterstützt werden sie von Dominik Novakovic, der als Betriebswirt unter anderem seine Erfahrungen in der Beratung von Deep Tech Startups in das Gründungsprojekt mit einbringen wird, sowie von Professor Kai Peter Birke vom Institut für Photovoltaik mit dessen Gründungserfahrung. Insgesamt forschen die drei Gründer*innen schon seit drei Jahren an Plasmatechnologie für eine nachhaltige Zukunft. Ihr Bindeglied zur Industrie ist die Stuttgarter Initiative CHEMampere, die sich mit der Elektrifizierung der Chemieindustrie befasst.

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