In
Deutschland leiden ca. 6 Millionen Menschen an
Osteoporose. Bei diesem kontinuierlichen, krankhaften Knochenschwund ist die Knochensubstanz um mehr als 30-40 % vermindert.
Die Folge sind poröse
Knochen, häufige Knochenbrüche und chronische
Schmerzen. Das Hormon Calcitonin, ein Peptid aus 32
Aminosäuren, ist heutzutage das Medikament der Wahl,
denn es hemmt den Knochenabbau, indem es der Calciumfreisetzung aus den Knochen entgegenwirkt und den Calciumspiegel im
Blut senkt. Bisher musste dabei zumeist auf das
synthetisch hergestellte Lachs-Calcitonin zurückgegriffen werden, denn humanes Calcitonin hat auf Grund seiner schwachen pharmakologischen Wirksamkeit kaum therapeutische
Bedeutung. Lachs-Calcitonin ist in seiner Sequenz allerdings nur zu 50 % mit dem humanen Calcitonin identisch und verursacht damit häufig eine so genannte Desensibilisierung bei
Langzeitpatienten. Das Medikament wirkt in der vorgegebenen Dosis nicht mehr. Therapieunterbrechung und Dosiserhöhung sind die Folge, die einhergehen mit unangenehmen
Nebenwirkungen.
Forscher vom Physiologisch-chemischen Institut der
Universität Tübingen haben in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und
Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart synthetische Analoga des humanen Calcitonins entwickelt. Diese Analoga weisen im Tiermodell eine um ein Vielfaches erhöhte hypocalcämische
Aktivität auf, wobei eine sehr hohe strukturelle Identität zum natürlichen Hormon erhalten bleibt. Insgesamt mehr als 10 verschiedene Analoga wurden durch spezielle peptidsynthetische
Methoden hergestellt, die sich nur minimal von der humanen Sequenz unterscheiden. Einem dieser Analoga, dem Analog CC19, fällt dabei überragende Bedeutung zu. »Dieses Analog hat
eine 400-fach höhere hypocalcämische Wirkung, senkt also den Calciumspiegel im Blut 400-fach schneller ab als humanes Calcitonin und ist 4-mal potenter als das bisher beim Patienten
eingesetzte Lachs-Calcitonin«, erklärt Dr. A. Kapurniotu, in deren Labor in Tübingen die grundsätzlichen Arbeiten zur Analogentwicklung durchgeführt wurden. Damit ist das Analog
CC19 das bisher einzig bekannte Calcitonin mit einer höheren Aktivität als Lachs-Calcitonin. Die Entwicklung dieser hochaktiven synthetischen
Hormone ist durch Stabilisierung der
Proteinstruktur gelungen, die durch Ringbildung der Analoga erreicht wurde. Spektroskopische Methoden weisen dabei auf eine so genannte beta-Turn/beta-Faltblatt-Konformation in
der Region zwischen den Aminosäureresten 17 und 21 hin. Bisher war beim Calcitonin nur eine alpha-Helix-Struktur bekannt. Darin dürfte nun die Ursache für die höhere Stabilität und
damit Aktivität liegen.
Aufgrund der Nebenwirkungen des Lachs-Calcitonins ist die Entwicklung von pharmakologisch hochwirksamen humanen Calcitonin-Analoga von größtem medizinischen Interesse. Die
entwickelte Molekülstrategie, die bereits durch zwei
Patente abgesichert wurde, bietet hierfür potenzielle Kandidaten. Sie sollten nicht nur biologisch aktiver sein, sondern auch im
menschlichen Körper langsamer abgebaut werden. Dadurch wäre die Einnahme von Medikamenten nicht mehr so häufig notwendig und längereTherapiezyklen sowie das Fehlen von
Nebeneffekten dürften mit den neuen Calcitonin-Analoga nicht mehr in weiter Ferne liegen.