Chemie-Werk Ticona als Stolperstein für Frankfurter Flughafenausbau

08.09.2003

(dpa) - Die Rolle im Rampenlicht ist dem Management der Chemiefirma Ticona im hessischen Kelsterbach spürbar unangenehm. Fast 40 Jahre lang hat das Unternehmen weitgehend unbeachtet am Rande des Frankfurter Flughafens Kunststoffe produziert. Jetzt könnten die Produktionshallen zum Stolperstein für den Milliarden teuren Flughafenausbau werden, denn das 440 000 Quadratmeter umfassende Areal liegt genau in der Einflugschneise der geplanten Nordwestbahn. Mehrere Gutachter untersuchen zurzeit, welche Auswirkungen das haben könnte.

Je näher die Entscheidung über den Ausbau des größten Flughafens auf dem europäischen Kontinent rückt, desto wortkarger geben sich die Firmensprecher. Kurz vor der Eröffnung des Planfeststellungsverfahrens an diesem Dienstag (9. September) heißt es nur noch: «Keinen Kommentar». Die internationale Ticona AG, die zum Celanese-Konzern gehört, möchte es sich keinesfalls mit dem Flughafenbetreiber und der Landesregierung in Wiesbaden verscherzen. Nicht zuletzt wegen des Flughafens hat sie die Firmenzentrale im vergangenen Jahr nach Kelsterbach verlegt. Und für den weiteren Ausbau werden Genehmigungen der Landesregierung benötigt.

Doch die Probleme für Ticona durch die geplante Nordwestbahn sind nicht zu übersehen. Der Flughafen, bislang 3,5 Kilometer entfernt, würde bis auf 400 Meter an die Produktionshallen heranrücken. Dort werden jährlich fast 100 000 Tonnen Kunststoff hergestellt unter Verwendung von jeder Menge hoch explosiven Methanols und anderen gefährlichen Substanzen. Nicht von ungefähr unterliegt der Betrieb der Störfallverordnung.

Über diesen Hallen sollen die Flugzeuge künftig in einer Höhe von rund 50 Metern zur Landung ansetzen. Bei einem Absturz könnten nach einem Gutachten des Rhein-Westfälischen TÜV in Essen mehrere hundert Menschen sterben und Schäden in Milliardenhöhe entstehen. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wie hoch ist dieses Risiko einzuschätzen? Der Landeanflug gilt als besonders heikle Flugphase, und der TÜV in Essen kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass alle 600 Jahre ein solcher Unfall möglich ist. Die Berliner Gesellschaft für Luftverkehrsforschung - von der Fraport beauftragt - nennt den Wert von 2778 Jahren. Jetzt soll der TÜV Pfalz und die Störfallkommission des Bundes diese Zahlen bewerten.

Ticona kann seinerseits dem Flugverkehr gefährlich werden. So hat die Fraport bereits in ihren Antragsunterlagen zu bedenken gegeben, dass wahrscheinlich ein 50 Meter hoher Schornstein «abgesägt» werden müsste. Aber auch eine Explosion im Werk könnte einen Flieger zum Absturz bringen. Das Institut für Flugführung in Braunschweig klärt diese Fragen zurzeit in einem Gutachten.

Jenseits dieser Horrorszenarien könnte der Fluglärm auch den täglichen Produktionsablauf beeinträchtigen: Befehle, Warnrufe oder Sirenen sind leicht zu überhören, wenn täglich 450 Flugzeuge mit einem Lärmpegel bis zu 100 Dezibel über die Köpfe der Belegschaft donnern.

Nicht zuletzt muss Ticona befürchten, künftig nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Käme die Nordwestbahn, stünde der Bau von neuen Anlagen unter luftverkehrsrechtlichem Vorbehalt - und das in einer Zeit, wo das Geschäft boomt. Der Konzern mit einem Jahresumsatz von 757 Millionen Euro (2002) plant ein jährliches Wachstum von acht Prozent. In den vergangenen fünf Jahren hat er jährlich rund 30 Millionen Euro in den Standort Kelsterbach gesteckt und will in den kommenden Jahren ähnliche Summen folgen lassen.Diese Investitionen hängen nun im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft.

Die «sauberste Lösung» für den Flughafenausbau wäre, wenn Ticona einfach verschwände. Doch freiwillig wird das Chemiewerk das Feld nicht räumen. Schließlich war es zuerst da. Und wer sollte den Umzug bezahlen? Im Raumordnungsverfahren wurden die Kosten für eine Verlegung auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Das entspricht einem Drittel der Summe, die Fraport für den Ausbau ausgeben will.

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