In den USA werden jährlich etwa dreimal soviel neue chemische Stoffe angemeldet wie in der EU. Das europäische System der
Chemikalienkontrolle ist zu bürokratisch und zu starr, denn die Testanforderungen für
Chemikalien hängen hier in erster Linie vom
Produktionsvolumen bzw. der Einfuhrmenge und nicht vom Risiko ab. Diese geringe Flexibilität führt auch zu vergleichsweise hohen Kosten
für Neuanmeldungen in der EU. Eine ökonomischere und sicherere Handhabung für die EU schlägt Dr. Manfred Fleischer vom
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in seiner Studie vor, die er für die Europäische Kommission in der EU, in Japan
und den USA durchgeführt hat.
Das amerikanische System der Chemikalienkontrolle ist flexibler. Es gilt der Grundsatz, daß nur jene Chemikalien reguliert werden, die ein
unzumutbares Risiko bergen. So sind die Mindestanforderungen bei der Anmeldung neuer Stoffe zwar gering, doch die Environmental
Protection Agency (EPA) kann abhängig vom erwarteten Gesundheits- und Umweltrisiko des neuen Stoffs weitere Daten verlangen. Das kann
zu einem hohen Maß an Unsicherheit über die Anmeldung bei den Unternehmen führen. Diese Unsicherheit drückt sich in unerwarteten
Testanforderungen aus, die entsprechend zusätzliche Testkosten und Zeitverzögerungen bedeuten können.
Die empirische Analyse des WZB stützt sich auf einen Vergleich der Rechtsvorschriften und auf eine eigens für diese Analyse aufgebaute
Datenbank mit Daten aus den Geschäftsberichten europäischer, japanischer und amerikanischer Chemieunternehmen. Im folgenden sind die
wichtigsten Teilergebnisse zusammengefaßt:
- Erstens konnten anhand der Struktur, wie Risikoinformation verarbeitet wird, zwei Systeme der Regulierung unterschieden werden: das
System mit risikoabhängigen Testverfahren (USA und Japan) und das mit festen Testanforderungen (EU).
- Zweitens weist der Test der ökonomischen Leistungsfähigkeit die US-Unternehmen als die leistungsfähigsten aus, gefolgt von europäischen
und japanischen Unternehmen. Bei der Schätzung der Produktivität der FuE-Aufwendungen - gemessen am Betriebsergebnis bzw. an erteilten
Patenten - zeigt sich ein ähnliches Bild. So halten etwa bei den Polymer-Patenten die US-Unternehmen einen überproportionalen Anteil, was
auf die US-Polymerregulierung zurückgeführt werden kann.
- Drittens liefert die Messung der Innovationsleistung der Unternehmen anhand der von ihnen berichteten Innovationen keine eindeutigen
Ergebnisse. Als entscheidender Indikator zur Beurteilung der Innovationswirkung der Neustoff-Regulierung kann die Anzahl der pro Jahr
angemeldeten Neustoffe angesehen werden. Hier beträgt die Anzahl der USA das 3-fache der EU und das 2,8-fache Japans.
- Viertens sind die Wirkungen auf die Schutzziele Arbeits-, Gesundheits- und
Umweltschutz schwieriger festzustellen als
Innovationswirkungen. Da keine Daten über auffällige Schutzzielverletzungen vorliegen, könnte man schließen, daß die jeweiligen
Regulierungen diese Ziele gleichermaßen gut erreichen, wenn auch zu bedenken ist, daß ein solches Maß nicht eingetretene, aber vorhandene
Risiken nicht erfaßt.
- Fünftens läßt sich als Fazit festhalten, daß die risikoabhängigen
Testsysteme (USA und Japan) kostengünstiger, schneller und effizienter
sind als Systeme mit festen Testanforderungen (EU), wenn das zu erwartende Risiko der neuen Stoffe gering ist.
Aus den Ergebnissen der Analyse folgt, daß die Regulierung neuer chemischer Substanzen in der EU verbessert werden kann. Denn wenn
eine Gesellschaft an einer Minimierung der Risiken interessiert ist, dann erscheint es nicht zweckmäßig, die gleiche Anzahl von Tests für
Substanzen durchzuführen, von denen man annimmt, daß sie möglicherweise gefährlich sind, wie von Substanzen, bei denen die
Wahrscheinlichkeit groß ist, daß keine Gefahren mit ihnen verbunden sind.