„Trojanisches Pferd“-Trick für ultrabrillante Elektronenstrahlen

Forschungsteam testet erfolgreich eine Plasma-Photokathode für Teilchenbeschleuniger

20.09.2019 - Deutschland

Mit einem Trick nach dem Vorbild des Trojanischen Pferds kann eine neuartige Elektronenquelle extrem brillante Teilchenstrahlen erzeugen. Das Verfahren nutzt die Technik der Plasmabeschleunigung und verspricht 100 bis 10.000 Mal enger gebündelte Elektronenstrahlen als konventionelle Beschleuniger derzeit liefern können. Ein internationales Team um Bernhard Hidding von der Universität Strathclyde im schottischen Glasgow hat die Methode am US-Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien erfolgreich getestet und stellt die Ergebnisse im Fachblatt „Nature Physics“ vor. An der Arbeit waren DESY-Forscher maßgeblich beteiligt.

DESY, Thomas Heinemann

Illustration der 'Trojanisches Pferd'-Metho Ein gezielter Laserblitz (rot) setzt Elektronen (hellblau) aus Heliumatomen frei. Einige der Elektronen (rot) werden innerhalb der Plasmablase (weiße Tropfenform) beschleunigt, die von einem anderen, energiereichen Elektronenpaket (dunkelblau) erzeugt worden ist.

Energiereiche Elektronenstrahlen sind vielseitige Werkzeuge zur Erkundung des Reichs der Moleküle, Atome und Elementarteilchen. Sie können entweder dazu dienen, Elektronen auf ihre Antiteilchen, Positronen, zu schießen, um so die Geheimnisse der subatomaren Welt zu enträtseln. Oder sie werden genutzt, um in speziellen Magnetanordnungen extrem helles Röntgenlicht zu erzeugen, mit dem sich etwa Proteine bei der Arbeit beobachten und neue Nanomaterialien durchleuchten lassen. „In jedem Fall ist ein Elektronenstrahl umso besser, je kälter und je stärker er gebündelt ist“, erläutert DESY-Physiker Alexander Knetsch, Ko-Autor der Veröffentlichung.

Das Team testete ein Verfahren, bei dem die Elektronen in möglichst „kaltem“, also energiearmen Zustand beschleunigt werden. Dazu wählten sie die Methode der Plasma-Beschleunigung. Ein Plasma ist ein Gas, bei dem die Elektronen von den Molekülen getrennt wurden, so dass es zwei elektrisch gegensätzlich geladene Komponenten besitzt. Durch dieses Plasma wird ein starker Laserpuls oder ein energiereiches Elektronenpaket geschickt. Es pflügt durch das Plasma und erzeugt eine elektrisch geladene Heckwelle, auf der Elektronen reiten können wie ein Surfer auf einer Ozeanwelle. Die Plasma-Heckwelle kann die Teilchen auf kurzer Strecke extrem stark beschleunigen, viel stärker als die besten konventionellen Beschleuniger es heute schaffen. Noch befindet sich die Technik allerdings in der experimentellen Phase, Anwendungen gibt es bislang erst wenige.

„Je kälter die Elektronen zu Beginn der Beschleunigung sind, desto weniger Eigenbewegung haben sie, und umso enger bleiben sie zusammen – eine wichtige Voraussetzung für stark gebündelte Strahlen“, sagt Knetsch. Die Physikerinnen und Physiker schleusten für ihr Verfahren kalte Elektronen auf ähnliche Weise in die heiße Plasmablase ein wie die Griechen einst Soldaten in einem Holzpferd in die belagerte Stadt Troja geschmuggelt haben sollen. Statt eines Holzpferds dienten jedoch Heliumatome als Versteck für die Elektronen.

Die Forscher benutzten als Gas ein Gemisch aus Wasserstoff und Helium. Der Laser, der darin das Plasma erzeugte, war jedoch gerade energiereich genug, um die Elektronen aus den Wasserstoffatomen zu lösen, nicht aber aus den Heliumatomen. So produzierten die Wissenschaftler eine Plasmawelle aus Wasserstoffgas, wobei das Helium zunächst unbeeindruckt blieb. Mit einem genau gezielten zweiten Laserpuls, der eine etwas höhere Energie besaß, schossen sie dann innerhalb der Plasmablase Elektronen aus ihren „trojanischen Pferden“, den Heliumatomen. Diese noch kalten Elektronen werden dabei in einem winzigen Bereich von einigen tausendstel Millimetern Durchmesser freigesetzt und von der direkt folgenden Plasmawelle nochmal stark komprimiert.

„Unser Experiment zeigt zum ersten Mal, dass die Trojanisches-Pferd-Methode tatsächlich funktioniert“, betont Hidding. „Es ist eine der vielversprechendsten Methoden für künftige Elektronenquellen und könnte die Grenzen heutiger Technologie verschieben.“ Das Plasmaverfahren übernimmt dabei die Funktion der Photokathode, die üblicherweise als Elektronenquelle für konventionelle Teilchenbeschleuniger dient. In diesen heute hochspezialisierten Geräten schlägt ein Laser Elektronen aus einem Stück Metall, die dann von einem elektromagnetischen Feld eingefangen, gebündelt und zu beschleunigergeeigneten Paketen konfektioniert werden.

Die Elektronenpakete aus der jetzt erfolgreich getesteten Plasma-Photokathode können ebenfalls in einen Teilchenbeschleuniger eingespeist werden, lassen sich aber auch direkt im Plasma bereits auf hohe Energien beschleunigen. Im Pilotexperiment erreichten die Elektronen bis zu 700 Mega-Elektronenvolt. Die Forscherinnen und Forscher schätzen, dass sich die Qualität bereits mit etablierten konventionellen Elektronenquellen messen kann. Weitere Versuche sollen nun nicht nur die Qualität und Stabilität des Strahls erhöhen, sondern auch dessen genaue Vermessung verbessern.

An der Arbeit waren die Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA), die Zheijang-Universität in China, die Universität Hamburg, die Universität von Strathclyde in Glasgow, das britische Cockcroft-Institut, die Universität von Colorado, die Universität Oslo, die Universität von Texas, die US-Firmen RadiaBeam, RadiaSoft und Tech-X-Corporation sowie die Beschleunigerzentren SLAC und DESY beteiligt.

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