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Schweres Wasser schmeckt süß
Aber nicht für Mäuse
Gewöhnliches reines Wasser hat keinen ausgeprägten Geschmack, aber wie steht es mit schwerem Wasser - schmeckt es süß, wie anekdotische Hinweise, die bis in die 1930er Jahre zurückreichen, vermuten lassen? Und wenn ja - warum, wenn D2O chemisch praktisch identisch mit H2O ist, von dem es ein stabiles natürlich vorkommendes Isotop ist? Diese Fragen tauchten kurz nach der Isolierung von schwerem Wasser vor fast 100 Jahren auf, konnten aber bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Jetzt haben die Forscher Pavel Jungwirth und Phil Mason mit den Studenten Carmelo Tempra und Victor Cruces Chamorro am Institut für Organische Chemie und Biochemie der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (IOCB Prag) zusammen mit der Gruppe von Masha Niv an der Hebräischen Universität und Maik Behrens an der Technischen Universität München Antworten auf diese Fragen gefunden, indem sie Molekulardynamiksimulationen, zellbasierte Experimente, Mausmodelle und menschliche Probanden verwendeten. In ihrem Forschungsartikel, der in der Zeitschrift Communications Biology veröffentlicht wurde, zeigen sie schlüssig, dass schweres Wasser im Gegensatz zu gewöhnlichem Wasser für Menschen süß schmeckt, nicht aber für Mäuse, wobei dieser Effekt durch den menschlichen Rezeptor für süßen Geschmack vermittelt wird.
Schweres Wasser (D2O) unterscheidet sich von normalem Wasser (H2O) nur durch eine H-D-Isotopensubstitution und sollte als solches chemisch nicht unterscheidbar sein. Abgesehen von einer trivialen 10%igen Änderung der Dichte aufgrund der doppelten Masse von D im Vergleich zu H, sind die Unterschiede in den Eigenschaften von D2O gegenüber H2O, wie z.B. pH-Wert oder Schmelz- und Siedepunkt, tatsächlich sehr gering. Diese Unterschiede sind ausschließlich auf nukleare Quanteneffekte zurückzuführen, nämlich auf Änderungen der Nullpunktsschwingungen, die in D2O zu einer etwas stärkeren Wasserstoffbrückenbindung führen als in H2O.
"Trotz der Tatsache, dass die beiden Isotope nominell chemisch identisch sind, haben wir schlüssig gezeigt, dass der Mensch durch den Geschmack (der auf chemischer Wahrnehmung basiert) zwischen H2O und D2O unterscheiden kann, wobei letzteres einen deutlich süßen Geschmack hat", kommentiert Pavel Jungwirth das Hauptergebnis ihrer Studie. In ihrer Arbeit ergänzen die Autoren Geschmacksexperimente an menschlichen Probanden mit Tests an Mäusen und an HEK 293T-Zellen, die mit dem menschlichen Süßgeschmacksrezeptor TAS1R2/TAS1R3 transfiziert wurden, sowie mit molekularem Modelling. Die Ergebnisse weisen übereinstimmend darauf hin, dass der süße Geschmack von schwerem Wasser beim Menschen durch den TAS1R2/TAS1R3-Rezeptor vermittelt wird. Zukünftige Studien sollten in der Lage sein, die genauen Wirkorte und -mechanismen aufzuklären, sowie den Grund, warum D2O insbesondere TAS1R2/TAS1R3 aktiviert, was zu einem süßen (aber nicht anderen) Geschmack führt.
Obwohl es sich eindeutig nicht um einen praktischen Süßstoff handelt, bietet schweres Wasser einen Einblick in den weit offenen chemischen Raum der süßen Moleküle. Da schweres Wasser in medizinischen Verfahren eingesetzt wird, stellt die Erkenntnis, dass es Reaktionen des Süßgeschmacksrezeptors auslösen kann, der sich nicht nur auf der Zunge, sondern auch in anderen Geweben des menschlichen Körpers befindet, eine wichtige Information für Kliniker und ihre Patienten dar. Außerdem werden Chemiker aufgrund der breiten Anwendung von D2O in der chemischen Strukturbestimmung davon profitieren, die vorliegenden Beobachtungen zu kennen.
Schließlich ist es erwähnenswert, dass vor 86 Jahren Science einen kurzen Brief von H. C. Urey, Nobelpreisträger für die Entdeckung von Deuterium, veröffentlichte (H. C. Urey & G. Failla, Science, 81, 273, 1935. http://doi.org/10.1126/science.81.2098.273-a), in dem er autoritativ feststellte, dass D2O geschmacklich nicht von H2O zu unterscheiden ist, was einen starken, wenn auch irreführenden Effekt auf die laufende Diskussion über das Thema hatte.
"Unsere Studie löst also eine alte Kontroverse über den süßen Geschmack von schwerem Wasser mit Hilfe modernster experimenteller und Computer-Modellierungsansätze und zeigt, dass ein kleiner nuklearer Quanteneffekt einen ausgeprägten Einfluss auf eine so grundlegende biologische Funktion wie die Geschmackserkennung haben kann", schließt Pavel Jungwirth.
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