Nanopartikel durchlöchern Silizium nach Belieben

Industriell einsetzbares Verfahren zur Herstellung von porösem Silizium und Glas eröffnet Perspektiven für viele Anwendungen

21.02.2023 - Deutschland

Ein Hamburger Forschungsteam hat ein neues Verfahren entwickelt, um Silizium und Glas mit einem Netz aus groben bis zu feinsten Poren zu durchziehen. An DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um DESYs Forschende Stella Gries und Patrick Huber die Porosität mit Hilfe der Röntgentomografie analysieren. Das Produktionsverfahren zur Herstellung von Mikro- und Nanokanälen, das das Team im Fachjournal Small vorstellt, ist gut steuerbar, sehr variabel und funktioniert auch für große Materialvolumina. Damit bringt es beste Voraussetzungen für den direkten Einsatz in der Industrie mit.

DESY/TUHH, AG Huber

Silber-Nanopartikel können Nanokanäle in makroporöses Silizium bohren und damit Silizium auf der Wafer-Skala mit einem hierarchischen Porennetzwerk versehen. Die Visualisierung zeigt das reale poröse Material in Kombination mit einer Illustration des Porosifizierungsprozesses, d.h. der chemischen Ätzung und damit der Porenbildung entlang der Wege der selbstangetriebenen, katalytisch wirkenden Silberpartikel unter der Entwicklung von Wasserstoffbläschen in wässriger Lösung.

Im Autoverkehr ist das Verfahren Gang und Gäbe: Während große Autobahnen für schnelle Verbindungen im Fernverkehr sorgen, kommt man über kleine Sträßchen und Wege auch in den letzten Winkel des Landes – allerdings deutlich langsamer. Auch die Natur macht es vielfach vor, zum Beispiel in der Lunge oder in Pflanzen: Bronchien oder Netzwerke aus großen Kapillaren in Blättern ermöglichen einen schnellen Transport von Luft oder Wasser durch Gewebe, im Anschluss verzweigen sich die Kanäle immer weiter und enger bis hin zu den kleinen Lungenbläschen oder Poren, wo lokal wichtige Funktionen wie die Sauerstoffversorgung des Bluts oder die Photosynthese ablaufen. Hierarchisch poröse Systeme heißen diese hocheffizienten Strukturen, die – in große wie kleine Einheiten aufgeteilt – großräumig verteilen oder lokal Funktionen ausüben können.

Das Forschungsteam um DESY-Doktorandin Gries ist jetzt in der Lage, Siliziumkristalle mit genau solchen hierarchisch porösen Systemen zu versehen. Dazu beschichteten die Forschenden Siliziumwafer, die bereits mit geraden durchgehenden Kanälen von einem Mikrometer Durchmesser durchzogen waren, mit Silber-Nanopartikeln. Die 20 bis 60 Nanometer großen Partikel werden auf der Oberfläche des Wafers abgeschieden. Als die Forscherinnen und Forscher die Wafer dann mit einer ätzenden Lösung aus Flusssäure und Wasserstoffperoxid in Verbindung brachten, startete ein faszinierender und auf den ersten Blick unglaublicher Prozess: Die Nanopartikel fraßen sich in das Silizium hinein und lösten den Siliziumkristall jeweils an den Kontaktflächen zwischen Silizium und Silberpartikel auf. Wie beim einst beliebten Computerspiel Pac-Man graben sich dabei die Silberpartikel immer weiter in den Festkörper und hinterlassen auf ihren Wegen feine Tunnelsysteme. Die kinetische Energie für den gerichteten Vortrieb der Partikel wird dabei von einer chemischen Zersetzungsreaktion, also von der Umwandlung des Wasserstoffperoxids in Wasser und Wasserstoff und dem „Auffressen des Siliziums geliefert. Die Silberpartikel fungieren hierbei wie kleine, autonome Pac-Man-Agenten, die diese Reaktion katalysieren und damit auch gleich ihren eigenen Vortrieb in dem Siliziumkristall ermöglichen. Das resultierende Tunnelsystem organisiert sich automatisch zu der begehrten dreidimensionalen hierarchischen Porenstruktur.

Das Forschungsteam hat die Porosität des Siliziums mit Hilfe verschiedener Methoden untersucht. Mit röntgentomografischen Aufnahmen an der PETRA III-Messstation P05 konnten sie dabei die innere Struktur nanometergenau auflösen. „Wir sehen, dass wir durch das Ätzen den gesamten Kristall systematisch mit Nanoporen durchziehen, die kleiner als 100 Nanometer sind“, sagt Erstautorin Gries, die dieses Verfahren in der Huber-Gruppe während ihrer Masterarbeit entwickelt hat und nun im Rahmen ihrer Promotion weiter erforscht. „Durch die Größe der Nanopartikel und die Dauer der Anwendung können wir genau steuern, wie tief das hierarchisch poröse System ausgehöhlt wird“, ergänzt Manuel Brinker, Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe, der die Arbeit von Stella Gries mit betreut hat. Bei langer Exposition durchdringen die Poren die parallel liegenden Hauptkanäle im Siliziumwafer und verbinden diese miteinander. Dabei sind die genauen Mechanismen, die zu der Bewegung der Partikel und damit zur Bildung der Kanalnetzwerke führen, bisher nur teilweise verstanden. Manchmal bewegen sich die Teilchen beispielsweise auf Spiralbahnen, was zu spiralförmigen Nanokanälen im Silizium führen kann, manchmal ändern sie auch sprunghaft die Richtung, was eine Eigenrotation der Partikel vermuten lässt. Das so synthetisierte Porennetzwerk hat eine schwammartige Struktur und damit keine Vorzugsorientierung, im Gegensatz zu den großen Hauptkanälen. „Wir vermuten, dass die geometrische Form der Silbernanopartikel großen Einfluss auf die Art hat, wie sich die Teilchen ins Silizium fressen“, sagt Gries.

In einem weiteren Schritt erhitzten die Forschenden das durchlöcherte Silizium in einer sauerstoff-haltigen Atmosphäre auf über 800 Grad Celsius. Die Wände zwischen den Tunneln sind so dünn, dass das Silizium dabei vollständig zu Siliziumdioxid, umgangsprachlich zu Glas, oxidiert wurde. Zur großen Überraschung der Forscherinnen und Forscher wurde trotz der erheblichen atomaren Umordnungen und des Schwellens der Wände beim Einbau des Sauerstoffs die Kanalstruktur nicht zerstört. Die offenporige Struktur ermöglicht also die Umwandlung der Wafer zu hierarchisch porösem Glas. Dieses durch die Porenstruktur milchige, weiß reflektierende Material konnte das Team durch das Infiltrieren von Wasser durchsichtig machen. Man kann also sehr einfach die Lichtabsorption in dem Glas durch Befeuchten und Trocknen steuern, was beispielsweise für einfache, über Luftfeuchtigkeit schaltbare Fensterfunktionen genutzt werden könnte. Dabei wären solche smarten Gläser vergleichsweise schnell schaltbar, weil ein Befeuchten und Trocknen wegen der multiskaligen Transportwege schnell im ganzen Volumen erfolgen kann.

Insgesamt erwarten die Forschenden vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, unter anderem in der Energietechnik. „Silizium hat nach wie vor das höchste Potenzial, um als Elektrodenmaterial für Lithium-Ionen-Akkus zu dienen“, sagt Patrick Huber (DESY und TU Hamburg). „Unsere neue Ätzmethode bildet vielleicht die Grundlage für eine neue Generation von Akkuzellen mit hoher Ladungsdichte und hoher Ladezyklenzahl, wenn sich herausstellt, dass nicht nur die Verglasung, also der Einbau von Sauerstoff, sondern auch der Einbau von Lithium durch die hierarchische Porosität der Siliziumkristalle strukturerhaltend erfolgt. In unporösem Silizium führt diese Lithiierung meist zur Zerstörung des Materials.“

Der nächste Schritt ist, noch besser zu verstehen, wie die Parameter der Herstellung die Porosität beeinflussen und was genau die Silberpartikel beim Durchlöchern des Materials antreibt. Hieran will Stella Gries in ihrer Promotion arbeiten. Auch das Lithiieren des hierarchisch porösen Siliziums werden wir im nächsten Schritt mit Kooperationspartnern untersuchen.

Die Entwicklung des Verfahrens, das die Forschenden inzwischen zum Patent angemeldet haben, fand im Rahmen des Zentrums für Integrierte Multiskalige Materialsysteme CIMMS und des Sonderforschungsbereichs 986 „Maßgeschneiderte multiskalige Materialsysteme“ statt, der an der Technischen Universität Hamburg angesiedelt ist.

Originalveröffentlichung

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