Superfood für den Boden

Mit grüner Chemie gegen den Klimawandel: Start-up Humify hat eine Technologie entwickelt, die zur Reaktivierung der Böden als Kohlenstoffspeicher führen kann

05.08.2025
© HUMIFY

Mikrobiologe Charles Uhlmann testet die Wirkung verschiedener Humify-Produkte in Kombination mit biostimulierenden Bakterien auf Salat. So lassen sich mögliche Synergieeffekte auf Ertrag und Kohlenstoffanreicherung im Boden untersuchen.

Feuchtheiße Temperaturen, kein Licht, keine Luft und dann dieser intensive Geruch: Wenn im Labor des Start-ups Humify der Hochdruckkocher angeworfen wird, ist kaum vorstellbar, dass unter derartigen Bedingungen das entstehende Produkt – nämlich eine Art schwarz-flüssiger Schlamm – helfen könnte, den Klimawandel und die Welternährung zu beeinflussen.

Klimarettung als Business Case: Im brandenburgischen Teltow tüftelt ein multidisziplinäres Team aus den Bereichen Chemie, Biologie und Ingenieurswesen an einem Prozess, der kostengünstiges Carbon-Capturing ermöglichen könnte. Die Idee: Aus organischen Abfällen entstehen bei 200 Grad Celsius, etwas Druck und Wasser künstliche Huminstoffe. Einmal in den Boden eingebracht, binden Huminstoffe Feuchtigkeit und wertvolle Mineralien und fördern so ein gesundes Ökosystem, das Mikroorganismen anlockt. Was beim Menschen als Darmflora bekannt ist, sorgt im Boden als emsige Helferschar dafür, Nährstoffe für Pflanzen verfügbar zu machen. Durch ihre Aktivität binden sie CO2 im Boden – und sind damit Humify‘s Schlüssel zur Klimalösung.

Mit grüner Chemie gegen den Klimawandel

Den Bakterien verdanken wir, dass der Boden der größte CO2-Speicher der Welt wurde. Durch den Menschen wurde er leider auch zum größten CO2-Erzeuger der Welt. Abholzung, Austrocknung der Moore oder die intensive industrielle Landwirtschaft haben dazu beigetragen, dass die CO2-Speicherfähigkeit der Böden abnimmt und durch die Zerstörung der Mikroorganismen zunehmend Emissionen freigesetzt werden. „Auf natürlichem Weg bräuchten diese Flächen zur Renaturierung bis zu 3.000 Jahre. Mithilfe des hydrothermalen Verfahrens lässt sich dieser Prozess deutlich beschleunigen: Angereichert mit bestimmten Mikrobakterien entsteht der Superhumus in wenigen Wochen und macht so die Böden wieder fruchtbar“, schwärmt Humify-Mitbegründer und CFO Harald Pinger.

Dabei ist die Technik nicht neu. Bereits 1913 beschäftigte sich der deutsche Chemiker Friedrich Bergius mit Hochdruckprozessen. Für sein Bergius-Pier-Verfahren, das die Produktion synthetischer Kraftstoffe unabhängig von Erdöl ermöglichte, erhielt er 1931 den Nobelpreis. Dass 90 Jahre später aus der Kraftstoffgewinnung eine Methode zur Bodenverbesserung werden konnte, mit der sich auch gleich die Welternährungsproblematik lösen ließe, ist Markus Antonietti zu verdanken.

Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG) in Potsdam-Golm. Bei einem Versuch in seinem Labor, das er liebevoll auch als „Küche“ bezeichnet, entdeckt er, dass bei einer Änderung der chemischen Prozesse im hydrothermalen-Verfahren in sehr kurzer Zeit Polymere entstehen. Diese ähneln natürlichen Polymeren – das sind hochkomplexe Moleküle, in denen Kohlenstoff gebunden ist. „Die zweite, noch größere Überraschung war jedoch“, erzählt der Forscher, „dass die Bakterien im Boden auf die künstlichen Polymere reagieren.“ Die Idee zu Humify war geboren. „Wenn es um die Bindung großer Mengen CO2 geht, sind die Maßstäbe bei Böden riesig: „Eine Tonne Huminstoffe pro Hektar bindet bis zu 50 Tonnen Kohlenstoff im Boden, und das im ersten Jahr, weil unser Produkt die Bodenorganismen stimuliert“, berichtet Antonietti. Und er fügt hinzu: „Die Landwirtschaft muss in ein paar Jahren zehn Milliarden Menschen ernähren – und das bei zunehmend schlechter Bodenqualität. Da kommt eine schnelle und dazu noch nachhaltige Bodenverbesserung gerade im richtigen Moment. Denn mit Humify-Humus steigern sich die Ernteerträge in chinesischen Freilandexperimenten um bis zu 20 Prozent. Und die Klimakrise gilt es auch noch zu bewältigen.“

Der Kreis schließt sich

Auf einer ScienceTech-Veranstaltung trifft der Wissenschaftler Antonietti auf Harald Pinger. Der erfahrene Manager investiert bereits seit geraumer Zeit in vielversprechende Start-ups. Er erkennt, wie effizient und einfach Antoniettis Methode zur Bindung von Kohlenstoff in der Anwendung ist. Gemeinsam mit Andreas Dittes, einem Serial Entrepreneur aus der GreenTech-Branche, gründen sie 2023 die Humify GmbH mit Sitz in Potsdam. Für Pinger ist Humify-Humus „das perfekte Beispiel dafür, wie durch die Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft eine nachhaltige Wirkung erzielt werden kann.“ Als ehemaliger CEO und CFO großer, börsennotierter Unternehmen interessieren Pinger besonders Kosteneffektivität und skalierbare Lösungen. Er sieht viel Potenzial bei Humify, denn wenn aus Humus ein richtig guter Dünger wird, dann horcht die industrielle Agrarwirtschaft interessiert auf. „In der Landwirtschaft fällt pro Hektar Acker viel Biomasse an, die heute bereits in Biogasanlagen verwertet wird. Die daraus resultierenden Gärreste könnten in einer Humify-Anlage, idealerweise gleich neben der Energieproduktion, weiter zu Humus verarbeitet und der Landwirtschaft in kürzester Zeit zum Abtransport bereitgestellt werden. Sie können den Superhumus wiederum zeitnah auf ihren abgeernteten Flächen ausbringen“, skizziert Pinger das Geschäftsmodell. Kreislaufwirtschaft par excellence also.

„Under Pressure“

Auch der Herstellungsprozess soll dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgen. Allerdings stehen dem Team einige Herausforderungen bevor, um aus dem Laborexperiment mit Dampfkochtopf-Prinzip eine industrielle Massenproduktion zu machen. Bislang entstehen bei Humify nur kleine Mengen Humus, der tatsächliche Bedarf liegt jedoch weitaus höher. Antonietti denkt dabei in globalen Dimensionen: „Zwei Milliarden Hektar Ackerland brauchen tatsächlich zwei Milliarden Tonnen Huminstoffe.“ Doch auch im kleineren, regionalen Maßstab benötigt Humify Produktionsanlagen, die Biomasse in großen Mengen in Humus umwandeln können, damit sich das Unternehmen rentiert. Derartig große Geräte gibt es auf dem Markt aber noch nicht. Die Ingenieure arbeiten daher unter Hochdruck an einer völlig neuen Technologie. Ein Patent, auf das aufgebaut werden kann, haben sie schon. Eine erste Pilotanlage für 3.000 Tonnen Humify-Output pro Jahr ist in Planung. „Wir arbeiten jetzt an einer cleveren Lösung, um den Energieverbrauch beim Hochheizen und Abkühlen der Biomasse so gering wie möglich zu halten“, berichtet Svitlana Filonenko, Chemikerin und CTO von Humify. Für den auf den Markt fokussierten Pinger sind diese Zielsetzungen von entscheidender Bedeutung: „Wenn wir die Herstellung von künstlichen Huminstoffen bei einem geeignetem Wärmemanagement durchführen können, sind wir wettbewerbsfähig.“ Ganz im Gegensatz zu anderen Carbon-Capture-Ideen, die bislang vor allem an den Kosten scheitern.

Als Antonietti seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Filonenko fragte, ob sie nicht Lust hätte, ihre wissenschaftliche Expertise in ein neues Start-up einzubringen, das dabei helfen will, die Gesundheit der Böden zu verbessern und regenerative landwirtschaftliche Verfahren zu unterstützen, zögerte sie keine Sekunde. In den sechs Jahren, in denen sie als Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung tätig war, befasste sich Filonenko in ihrer Forschung mit dem Verständnis der Transformation organischer Stoffe. Heute liebt sie vor allem „die Freiheit, die das Arbeiten in einem Start-up mit sich bringt. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen mit ihrer Forschung gerne etwas gegen die Klimakrise unternehmen, aber oft schaffen es ihre Ideen nicht in die Anwendung. Als ich hörte, dass Humify den Schritt in die reale Welt unternimmt, war ich elektrisiert. Es ist eine sinnstiftende Arbeit“, sagt sie und fügt hinzu: „Aber man muss risikobereit sein.“ Ihr Traum ist es, am Ende mit mobilen Humify-Anlagen auch entlegene landwirtschaftliche Betriebe zu erreichen. Dann entfiele auch der An- und Abtransport von Biomasse, weil sie direkt vor Ort in den landwirtschaftlichen Kreislauf zurückgeführt wird.

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Revolutioniert künstliche Intelligenz die Chemie?

Da tut sich was in der Chemie-Branche …

So sieht echter Pioniergeist aus: Jede Menge innovative Start-ups bringen frische Ideen, Herzblut und Unternehmergeist auf, um die Welt von morgen zum Positiven zu verändern. Tauchen Sie ein in die Welt dieser Jungunternehmen und nutzen Sie die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den Gründern.