Erstmals geladene Majoranateilchen simuliert: Elementarteilchen, die gar nicht existieren können

Experimente im Reich des Unmöglichen

29.05.2015 - Deutschland

März 1938: Der italienische Teilchenphysiker Ettore Majorana besteigt in Neapel ein Postschiff nach Palermo. Doch dort kommt er entweder nicht an oder verlässt die Stadt sofort wieder – seit jenem Tag fehlt von dem Ausnahmewissenschaftler jede Spur und bis heute ist sein rätselhaftes Verschwinden nicht aufgeklärt. Majorana, Schüler des Physik-Nobelpreisträgers Enrico Fermi, ist darüber weitgehend in Vergessenheit geraten. Geblieben sind der Fachwelt eine von ihm entwickelte Theorie über Kernkräfte und ein ganz besonderes Elementarteilchen.

„Dieses nach Majorana benannte Teilchen, das sogenannte Majoranon, besitzt ganz erstaunliche Eigenschaften“, sagt Physiker Jun.-Prof. Dr. Alexander Szameit von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Eigenschaften, die es in unserer Welt gar nicht geben kann.“ So seien Majorana-Teilchen gleichzeitig ihre eigenen Antiteilchen: Sie vereinen in sich völlig entgegengesetzte Eigenschaften wie gegensätzliche Ladungen und Eigendrehimpulse und würden sich selbst – wären sie tatsächlich existent – sofort auslöschen. „Sie sind deshalb rein theoretischer Natur und lassen sich nicht in Experimenten messen.“

Alexander Szameit und seinem Team ist es gemeinsam mit internationalen Fachkollegen jetzt dennoch gelungen, das Unmögliche möglich zu machen: Wie die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Optica“ schreiben, haben sie eine Versuchsanordnung entwickelt, mit der sich geladene Majorana-Teilchen simulieren und diese damit physikalischen Experimenten zugänglich machen lassen.

Dafür nutzen die Wissenschaftler aus Jena, Singapur und Innsbruck ein System aus optischen Wellenleitern, die in einen Glas-Chip graviert sind. „Wir schicken zeitgleich zwei Lichtstrahlen durch parallel verlaufende Wellenleiter, die die gegensätzlichen Eigenschaften separat aufweisen“, erläutert Dr. Robert Keil aus Szameits Team, der Erst-Autor der Studie. An einem von den Experimentatoren festgelegten Punkt überlagern sich die beiden Wellen und vereinen sich für einen kurzen Moment zu einem optischen Majoranon, das als Lichtverteilung gemessen werden kann. Auf diese Weise erstellen die Forscher ein Abbild, das wie eine Fotografie eine Momentaufnahme zeigt, in diesem Fall den Zustand eines Majoranons zu einem definierten Zeitpunkt. „Durch die Abfolge vieler solcher Einzelaufnahmen, lassen sich Teilchen wie in einem Film beobachten und ihr Verhalten untersuchen“, so Keil.

Dieses Modell erlaubt es den Jenaer Wissenschaftlern, ein völlig neues Forschungsgebiet zu betreten, wie Alexander Szameit betont. „Uns ist es jetzt möglich, Zugriff auf Phänomene zu erhalten, die bisher nur in exotischen Theorien beschrieben werden konnten.“ Beispielsweise lassen sich mit diesem System Experimente simulieren, in denen die Ladungserhaltung – ein Grundpfeiler der modernen Physik – ganz einfach außer Kraft gesetzt werden kann. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass man nicht-physikalische Vorgänge im Labor simulieren und so die exotischen Eigenschaften von theoretisch möglichen Teilchen auch praktisch nutzen kann.“ Ein mögliches Anwendungsgebiet dieser simulierten Majoranons sieht Szameit in einer neuen Generation von Quantencomputern. „Damit wären deutlich höhere Rechenkapazitäten zu erreichen, als bislang möglich.“

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