Wenn der Atomkern ins Taumeln gerät

Kernspinresonanz - eine komplizierte, aber wichtige Methode

11.01.2005

Am 17. und 18. Januar 2005 findet an der Ruhr-Universität Bochum die alljährliche Diskussionstagung "Praktische Probleme der Kernresonanzspektroskopie" statt. Die Fachgruppe Magnetische Resonanzspektroskopie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) lädt dazu Wissenschaftler aus Deutschland und den Nachbarländern ein, die bei dieser Gelegenheit aktuelle Fragen und jüngste Erfahrungen zum Thema "Nuclear Magnetic Resonance" (NMR) austauschen. Professor Dr. Walter Bauer, Universität Erlangen, einer der Organisatoren, erläutert aus diesem Anlass das Prinzip der Methode und zeigt neue Trends auf.

Der breiten Öffentlichkeit sind gestochen scharfe Bilder aus dem Inneren des menschlichen Körpers mittlerweile geläufig. Mediziner nennen die Methode ein wenig anders als Chemiker und Physiker, nämlich "Magnetresonanz-Tomographie" (MRT) oder, englisch, "Magnetic Resonance Imaging" (MRI) - wahrscheinlich mit Rücksicht auf ängstliche Patienten, die sich beim Wort "Atomkern" oder "nuclear" Sorgen machen würden. Dies wäre natürlich unbegründet, denn die Atomkerne werden bei diesen Untersuchungen weder gespalten noch fusioniert. Der Patient verlässt nach einer solchen Messung den großen Magnetinnenraum völlig unbeschadet.

Etwa 70 Prozent der menschlichen "Materie" ist Wasser mit der chemischen Formel H2O. Eben die winzig kleinen Atomkerne des Wasserstoffs (H) sind es nun, die man "messen" kann, und zwar aufgrund ihrer magnetischen Eigenschaften. Jeder Wasserstoffatomkern verhält sich wie ein winzig kleiner Stabmagnet. Bringt man nun die große Zahl an Wasserstoffkernen in ein starkes Magnetfeld, so vollführen die Kerne Kreiselbewegungen um die Magnetfeldachse - man spricht von "Präzession". Dies ist vergleichbar mit der Taumelbewegung eines Kinderkreisels. Die Kerne taumeln dabei mehrere Millionen Mal pro Sekunde. Man kann nun eine Radiofrequenz einstrahlen, die dieser Taumelfrequenz entspricht. Dadurch ändern die Kerne ihre "Spineinstellung", sie kommen zur "Resonanz". Diese nun erfolgte Magnetisierung kann gemessen und ausgewertet werden. Je nach chemischer Umgebung der Kerne sind deren Resonanzfrequenzen minimal unterschiedlich. Diese kleinen Differenzen ermöglichen Aussagen über die Umgebung der Kerne. Damit ergibt sich die Möglichkeit, Strukturen unbekannter Moleküle aufzuklären. In der Medizin benutzt man zusätzlich Feldgradienten. Diese ermöglichen die räumliche Lokalisierung der Atomkerne im Körper. Auf diese Weise entstehen die Schnittbilder aus dem Organismus. Der Arzt verfügt somit über eine leistungsfähige Methode, die zur herkömmlichen Röntgenmethode komplementär ist. Bei letzterer sieht man vorwiegend Schweratome, sprich das Calcium der Knochen.

Lange vor der medizinischen Anwendung hatten bereits die Chemiker die NMR-Spektroskopie als ideale Methode zur Strukturaufklärung erkannt. Seit etwa 35 Jahren ist die Aufnahme eines NMR-Spektrums die allererste Maßnahme, nachdem ein Chemiker ein neues Molekül synthetisiert hat. Auf einen Blick sieht er, ob die Synthese in die gewünschte Richtung gelaufen ist und ob seine neue Verbindung rein ist oder nicht. Aus dem Laboralltag der modernen Chemie ist die NMR-Methode nicht mehr wegzudenken.

Es ist bezeichnend, dass mittlerweile vier Nobelpreise für die Kernspinresonanz vergeben wurden: 1952 für die Entdeckung des NMR-Phänomens, 1991 für die Entwicklung der Fourier- und mehrdimensionalen Methoden, 2002 für die Strukturaufklärung großer Biomoleküle und 2003 für bildgebende Verfahren in der Medizin. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Kernspinresonanz: sie ist vom Funktionsprinzip her nicht ganz einfach zu verstehen, aber enorm aussagekräftig.

Und die Entwicklung macht keineswegs halt. Bei den bildgebenden Verfahren für medizinische Anwendungen ist es mittlerweile möglich, innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde ein komplettes Schnittbild eines Bereichs des menschlichen Körpers aufzunehmen. Damit ergibt sich die Möglichkeit, im Stil einer Videoaufnahme Vorgänge im Körperinneren - z.B. das schlagende Herz - in Echtzeit zu beobachten. Auch für die Anwendung in der Chemie tun sich beinahe täglich neue Möglichkeiten auf. Proteine, große Biomoleküle, können heute bereits bis zu einer Größe von 100 Kilodalton (das ist das Molekulargewicht, ein H-Atom "wiegt" etwa 1 Dalton) mittels NMR-Spektroskopie aufgeklärt werden - unter Bedingungen, die denjenigen im menschlichen Körper entsprechen. D.h. man erkennt seine dreidimensionale Struktur und seine aktiven Bereiche, wodurch es möglich ist, die Funktion eines bislang unbekannten Proteins in der Zelle zu bestimmen oder auch zu klären, welche Strukturen eines bekannten Proteins für dessen Eigenschaften verantwortlich sind. Dieses Wissen hilft bei der Entwicklung neuer Medikamente. Man kann übrigens bei der NMR nicht nur den Wasserstoff "messen", sondern auch andere Atomkerne wie Kohlenstoff-13 oder Phosphor-31. Obwohl diese Kerne prinzipiell weniger Messempfindlichkeit als Wasserstoff aufweisen, können sie mittlerweile dank verbesserter Technik unter physiologischen Bedingungen beobachtet werden. Damit sind Studien an DNA, dem Träger der Erbinformationen, möglich, unter Einbeziehung des lebenswichtigen Elements Phosphor.

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