Merck zielt im Bietergefecht auf Produkte und Marketingrechte

15.06.2006

(dpa-AFX) Merck scheint in der Pharmasparte das Wasser bis zum Hals zu stehen. "Nach der im Frühjahr missglückten Übernahme von Schering für 14,6 Milliarden Euro ist Merck sonnenklar, dass sich so eine Chance wie jetzt so schnell nicht wieder bietet", sagte ein langjähriger Kenner des Darmstädter Pharma- und Spezialchemiekonzern der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. Das Bietergefecht mit Bayer um den Berliner Konkurrenten Schering stand mit dem Auslaufen der Angebotsofferte an die Schering-Aktionäre an diesem Mittwoch vor dem Höhepunkt. "Merck will seine Verhandlungsmacht einsetzen, um Bayer Vertriebs- und Marketingrechte sowie Produktrechte abzuringen." Die Darmstädter haben in den vergangenen Tagen ihren Schering-Anteil weiter aufgestockt und hielten am Dienstagabend fast 22 Prozent der Schering-Aktien.

"Merck hat im Pharmageschäft eklatante Lücken und sowohl den Gesellschaftern wie auch Konzernchef Michael Römer ist bewusst, dass sie jetzt was tun müssen, um hier alleine bestehen zu können", sagte die Quelle. Die derzeit noch sprudelnden Gewinne aus dem Geschäft mit den Flüssigkristallen für Handys und Flachbildschirme könnten in drei oder vier Jahren rückläufig sein und das Krebsmittel Erbitux trage noch nicht zu den Gewinnen der Gesellschaft bei. Das noch junge Geschäft mit Krebsmedikamenten muss nach Ansicht von Beobachtern neben dem bereits am Markt befindlichen Krebsmittel Erbitux weiter ausgebaut werden. Dies könnte Merck nun durch den Druck auf Bayer erreichen, denn sowohl Bayer wie auch Schering sind auf diesem Gebiet aktiv.

Schon im Frühjahr warben die Darmstädter auf der Pressekonferenz anlässlich des überraschenden Übernahme-Angebots für Schering mit dem Satz: "Mit dem Zusammenschluss werden wir fähig sein, im harten globalen Wettbewerb mit anderen Pharmaunternehmen zu bestehen." Doch es kam anders: Bayer erwischte Merck mit einem höheren Gebot für die Braut Schering auf dem falschen Fuß und die Darmstädter lehnten damals eine Erhöhung ihres Angebotes von 14,6 Milliarden Euro oder 77 Euro pro Aktie für Schering ab. Ein Preis von mehr als 77 Euro pro Schering-Aktie sei "nicht gerechtfertigt", sagte Merck-Chef Michael Römer damals.

Diese Einschätzung hat sich ganz offensichtlich geändert, denn zwischen dem 30. Mai und dem 12. Juni kaufte Merck Schering-Aktien teilweise zu Kursen von knapp über 86 Euro. Für Merck ist das Schering-Paket das größte Einzelinvestment in der Geschichte der Gesellschaft. Nach Ansicht von Beobachtern dürfte Merck mit der gewachsenen Verhandlungsmacht versuchen Bayer neben zukünftigen Medikamenten auch Vertriebs- und Marketingrechte in Japan und dem weltweit wichtigsten Pharmamarkt, den USA, abzuringen.

Doch wer hat bei Merck das Drehbuch für den Schering-Krimi geschrieben? "Die Strategie der "Flucht nach vorne" wird hauptsächlich von dem Vorsitzenden des Merck-Gesellschafterrates Frank Stangenberg-Haverkamp und der Familie getragen", hieß es in unternehmensnahen Kreisen. "Merck-Chef Michael Römer trägt das Vorgehen natürlich mit, aber seine Handschrift hat es nicht."

Doch nicht nur Merck ist hartnäckig, auch Bayer-Chef Werner Wenning zeigte sich am Dienstag weiter kämpferisch. Die Leverkusener schlossen angesichts weiterer Käufe von Schering-Aktien durch Merck eigene Käufe über dem bisherigen Angebotspreis von 86 Euro je Aktie nicht mehr aus. Der Höchstpreis würde in diesem Fall für alle Anbieter von Schering-Aktien innerhalb des Angebotsverfahrens gelten und wurde die Schering-Offerte weiter verteuern.

Erreicht Bayer die angepeilte Dreiviertelmehrheit bei Schering nicht, scheitert die größte Übernahme der Firmengeschichte erst mal. Doch Bayer hat die Tür für Verhandlungen mit Merck und den mit im Boot sitzenden Hedge-Fonds mit der jüngsten Ankündigung auch mehr als 86 Euro zu zahlen bereits aufgemacht, sagte Martin Possienke, Pharmaanalyst von equinet. Für die Leverkusener sei es ohne das Merck-Paket fast unmöglich, 75 Prozent der Schering-Aktien zu erreichen.

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