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Kristallfeld- und Ligandenfeldtheorie



Die 1930-1940 entwickelten Kristall- und Ligandenfeldtheorie dienen der Vorhersage von Eigenschaften von Übergangsmetallsalzen oder -komplexen. Sie liefern eine Erklärung für Struktur, Farbe und Magnetismus dieser Substanzen. Die Kristallfeldtheorie basiert auf der elektrostatischen Abstoßung von Punktladungen. Ihre Erweiterung, die Ligandenfeldtheorie, berücksichtigt die Struktur der Liganden und produziert ähnliche Ergebnisse.

Inhaltsverzeichnis

Kristallfeldtheorie

Die Kristallfeldtheorie, oft mit CF-Theorie abgekürzt entsprechend dem englischen Begriff Crystal Field Theory, wurde 1930 von John H. van Vleck und Hans Bethe entwickelt, um die physikalischen Eigenschaften von Übergangsmetallsalzen zu erklären, die unerwartetes magnetisches und optisches Verhalten zeigen.

Es handelt sich um ein rein elektrostatisches Modell, in dem die Anionen bzw. Liganden als negative Punktladungen betrachtet werden, deren elektrisches Feld, das Kristallfeld, die Elektronen der äußeren d-Orbitale der Kationen beeinflusst. Ein Kristall wird nicht als ganzes betrachtet, sondern es wird ein Kation herausgegriffen und nur der Einfluss der nächsten Nachbarn im Kristallgitter untersucht.

Prinzip

Bei der Salzbildung ziehen sich Kation und Anionen (Punktladungen) elektrostatisch an (bzw. im Komplex Zentralatom und Ligand). Das Kation hat in seinen äußeren d-Orbitalen Elektronen, die gleichzeitig die Anionen (bzw. Liganden) abstoßen, jedoch viel schwächer.

Im freien Metallion sind die d-Orbitale entartet, d.h. sie besitzen die gleiche Energie. Bringt man das Ion in ein kugelsymmetrisches Ligandenfeld, bleibt die Entartung erhalten, aber der Energieinhalt steigt aufgrund der repulsiven Wechselwirkung zwischen d-Elektronendichte und Liganden.

In realen Salzen oder Komplexen ist allerdings kein kugelsymmetrisches Ligandenfeld gegeben. Die Anionen bzw. Liganden destabilisieren einige d-Orbitale stärker als die anderen. So kommt es zu einer Aufspaltung.

Die Größe der Aufspaltung hängt von der Anzahl der beteiligten Punktladungen ab, von der "Stärke" des Kations und von der "Stärke" der Punktladungen/Anionen. Die "Stärken" der Anionen und Kationen wurden empirisch bestimmt und nach Erweiterung der Theorie von Übergangsmetallsalzen auf Übergangsmetallkomplexe wurden diese "Stärken" relativ zueinander in der Spektrochemischen Reihe der Kationen bzw. Liganden festgehalten.

Ligandenfeldtheorie

Die Ligandenfeldtheorie stellt eine semiempirische Erweiterung der Kristallfeldtheorie dar. Bei ihr wird auch die elektronische Struktur der Anionen bzw. Liganden berücksichtigt. Sie werden also nicht mehr als Punktladungen gesehen. Der Einfluss wird anhand von experimentellen Werten bestimmt. Die Bezeichnung Ligandenfeldtheorie für MO-Berechnungen in Übergangsmetallkomplexen ist falsch. [1].

Die Ligandenfeldtheorie findet auch Anwendung in der Festkörperphysik zur Beschreibung von tiefen Störstellen in Halbleiter-Kristallen.

Aufspaltungen

Oktaedrisches Kristallfeld

  Sechs Punktladungen ordnen sich in Form eines Oktaeders um das Kation an. Dadurch werden die Orbitale dz2 und dx2-y2 energetisch benachteiligt, die Orbitale dxy, dyz und dxz begünstigt. Es ergibt sich eine 2-3 Aufspaltung.

Das Kation kann potentiell 3 x 2 = 6 Elektronen in den drei günstigen Orbitalen unterbringen, aber es muss Energie aufgewendet werden, damit sich zwei Elektronen in einem Orbital befinden können. Ob die günstigen Orbitale vollständig besetzt werden, hängt davon ab, ob dadurch mehr Energie gewonnen oder verloren wird, also davon, wie groß der Energieunterschied zwischen den begünstigten und den benachteiligten Orbitalen ist.

So findet man bei schwachen Anionen oder Liganden high spin-konfigurierte Kationen, bei denen es sich energetisch nicht gelohnt hat, die günstigen Orbitale vollständig zu besetzen, und low spin-konfigurierte Kationen mit vollständiger Besetzung bei vergleichsweise starken Anionen/Liganden.

Bei gewissen ungeraden Elektronenzahlen wird das günstigste Energieschema durch einen verzerrten Oktaeder erreicht. Dies wird als Jahn-Teller-Effekt bezeichnet.

Tetraedrisches Kristallfeld

Vier Punktladungen können sich in Form eines Tetraeders um das Kation anordnen. Durch diese Geometrie werden die Orbitale dxy, dyz und dxz benachteiligt und dz2 und dx2-y2 begünstigt. Das ergibt eine 3-2 Aufspaltung.

Quadratisch-planare Komplexe

Eine andere Möglichkeit für 4 Punktladungen ist das Quadrat. Die so entstehende Aufspaltung ist komplizierter: dx2-y2 wird stark benachteiligt,leicht benachteiligt wird dxy, darunter liegen auf einer Stufe dyz und dxz, dz2 liegt am tiefsten (1-1-2-1 Aufspaltung)[2]. (Je nach Metall kann sich die Reihenfolge der untersten beiden Niveaus jedoch umdrehen und das dz2 liegt über den dyz und dxz, z.B. bei Ni2+)

Diese Geometrie wird häufig bei d8-Konfigurationen (bzw. 16 Elektronen Komplexen) mit großer Ligandenfeldaufspaltung vorgefunden. Das dx2-y2-Orbital, das wegen elektrostatischer Abstoßung zu allen Liganden energetisch sehr hoch liegt, bleibt dabei unbesetzt.

Typisch ist diese Aufspaltung für Palladium-, Platin-, und Gold-Kationen, da es bei ihnen meist zu der typischen großen Ligandenfeldaufspaltung kommt. Alle von diesen Ionen gebildeten Komplexe sind diamagnetische low-spin-Komplexe.

Metallocen Kristallfeld

Metallocene haben die Aufspaltung 2-1-2. Die Orbitale in der xy-Ebene (dxy und dx2-y2) treten kaum in Wechselwirkung mit den Liganden und sind daher begünstigt. dz2 tritt nur mit einem Teil in Wechselwirkung und liegt in der Mitte. Stark destabilisiert werden dxz und dyz, die vollständig zu den Ringen zeigen.

Andere

Die Kristall- und Ligandenfeldtheorien wurden auch zur Deutung vieler anderer Kristallfeld-Geometrien angewandt.

Folgerungen

Farbe

Die bunten Farben der Übergangsmetallsalze kommen durch die beschriebene Aufspaltung der d-Orbitale zustande. Elektronen in den begünstigten Orbitalen können mit Licht in die benachteiligten Orbitale angeregt werden. Es wird nur Licht mit bestimmter Wellenlänge absorbiert, die genau der Energiedifferenz zwischen begünstigtem und benachteiligtem Orbital entspricht. Da die Abstände gering sind, ist die Absorption im sichtbaren Bereich.

Besetzung der Orbitale zu High-Spin oder Low-Spin Komplexen

Es bestehen zwei Möglichkeiten d-Orbitale zu besetzen:

  • Ist die Aufspaltung gering, so kann man die Orbitale als näherungsweise entartet betrachten. Die Besetzung erfolgt dann nach der Hundschen Regel, d.h. es wird zunächst jedes Orbital einfach besetzt und die ungepaarten Elektronen besitzen alle parallelen Spin. Der Komplex hat also einen hohen Nettospin und wird High-Spin-Komplex genannt.
  • Ist die Aufspaltung groß, so gilt das Aufbauprinzip und es werden zunächst die energieärmeren Orbitale doppelt besetzt. Das resultiert im niederen Gesamtspin der Low-Spin-Komplexe.

Starke Liganden fördern also die Bildung von Low-Spin-Komplexen.

Magnetismus

Je mehr ungepaarte Elektronen am Kation vorliegen, umso paramagnetischer ist es. Anhand der Aussagen zur Umbesetzung der d-Orbitale konnten die magnetischen Eigenschaften vieler Übergangsmetallsalze geklärt werden, vor allem die Formulierung von high spin- und low spin-konfigurierten Kationen erklärt den hohen Paramagnetismus von Eisen- oder Cobalt-Salzen mit schwachen Anionen/Liganden und den vergleichsweise niedrigen Paramagnetismus bei starken Anionen/Liganden.

Thermodynamische Stabilität

Eine Verbindung ist thermodynamisch stabil, wenn sie selbst energetisch günstig ist und ein mögliches Produkt aus dieser Verbindung energetisch weniger günstig ist. Mit der Kristallfeldtheorie kann man anhand der d-Orbitalaufspaltung abschätzen, ob eine Verbindung günstiger oder nachteiliger als ihr Produkt ist und wie groß der energetische Unterschied dazwischen ist. Dadurch kann man vorhersagen, ob eine Reaktion thermodynamisch möglich ist. Diese Vorhersagen treffen auf den Großteil der ionischen und klassischen Komplexe zu.

Kinetische Inertheit

Eine Verbindung ist kinetisch inert, wenn die Reaktion zu einem Produkt zwar möglich aber sehr langsam ist, d.h. wenn die Aktivierungsenergie für die Reaktion zum Produkt sehr hoch ist. Die Kristallfeldtheorie ermöglicht die Berechnung eines wesentlichen Anteils der Aktivierungsenergien für die Reaktionen von Übergangsmetallkomplexen durch die Betrachtung, wie die möglichen Übergangszustände oder Zwischenprodukte bei der Reaktion aussehen könnten und wie sich bei Bildung dieser Übergangszustände/Zwischenprodukte die d-Orbitalaufspaltung und Elektronenverteilung am Kation verändert. Sind die möglichen Übergangszustände energetisch sehr ungünstig gegenüber dem Ausgangszustand, ist die Aktivierungsenergie sehr hoch. Dementsprechend läuft die Reaktion fast gar nicht ab. Die Aussagen der Kristallfeldtheorie zur Kinetik von Ligandensubstitutionen an Komplexen sind sogar für nicht klassische Komplexe sehr zuverlässig.

Grenzen

Da die Kristallfeldtheorie ein rein elektrostatisches Modell ist, versagt sie bei "nicht klassischen" Komplexen. Für ionische und klassische koordinative Bindungen liefert sie zuverlässige Aussagen. Sie macht aber keine Aussage über Liganden mit π-Rückbindung, wie sie z.B. in Carbonyl-Komplexen auftritt.

Genauere Ergebnisse liefert die MO-Theorie. Sie liefert allerdings dieselben Aufspaltungsmuster. Was in der Kristall- bzw. Ligandenfeldtheorie stärkere elektrostatische Abstoßung ist, ist in der MO Theorie größere Aufspaltung und Anhebung der antibindenden Orbitale (die bindenden werden von den Elektronen der Liganden besetzt).

Literatur

  • A.F. Holleman, E. Wiberg; Lehrbuch der Anorganischen Chemie. WdeG, 1995
  • J. Huheey, E. Keiter, R. Keiter: Anorganische Chemie. WdeG, 2003
  • Riedel, E. Moderne Anorganische Chemie. WdeG, 1999

Literaturstellen

  1. Riedel, E. Moderne Anorganische Chemie. WdeG, 1999 S. 237
  2. Riedel, E. Moderne Anorganische Chemie. WdeG, 1999 S. 695

Siehe auch

 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Kristallfeld-_und_Ligandenfeldtheorie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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