Schwache Chemiekonjunktur in schwierigem Umfeld

Jahresbilanz 2019 der chemisch-pharmazeutischen Industrie

04.12.2019 - Deutschland

2019 war ein schwieriges Jahr für die chemisch-pharmazeutische Industrie. Der Umsatz in Deutschlands drittgrößter Branche verringerte sich um 5 Prozent auf 193 Milliarden Euro, berichtet der Verband der Chemischen Industrie (VCI).

Unter dem weltweiten Abschwung der Konjunktur und den Handelsstreitigkeiten zwischen China und den USA litt das Auslandsgeschäft der Branche in Übersee und Europa. Gleichzeitig sank im Inland die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen von den Industriekunden. Dadurch ging die Produktion insgesamt um 7,5 Prozent zurück. Dieser Wert ist stark von einem statistischen Sondereffekt in der Pharmasparte (-16,5 Prozent) geprägt. Chemie ohne Pharma verbuchte ein Produktionsminus von 2,5 Prozent. Bis auf konsumnahe Produkte wie Wasch- und Körperpflegemittel (+1,0 Prozent) sowie anorganische Grundchemikalien (+1,0 Prozent) weisen alle übrigen Sparten 2019 einen Mengenrückgang aus.

Trotz der schwachen Chemiekonjunktur erhöhte sich die Zahl der Mitarbeiter noch leicht (+0,5 Prozent) auf 464.800 Personen. Das ist der höchste Beschäftigungsstand seit 2001, so der VCI. Exakt 50.000 Arbeitsplätze sind in der Branche in den letzten 9 Jahren zusätzlich entstanden.

Prognose 2020: „Zurzeit erwarten unsere Unternehmen auch für die kommenden Monate keine Verbesserung ihrer Geschäfte. Die geringe wirtschaftliche Dynamik wird sich noch weit ins kommende Jahr ziehen. Auch von den Auslandsmärkten dürften keine starken Impulse für eine Trendwende der Chemiekonjunktur kommen“, sagte VCI-Präsident Hans Van Bylen. Für 2020 geht der VCI daher in der chemisch-pharmazeutischen Industrie nur von einer leichten Zunahme der Produktion von 0,5 Prozent aus, die vom erwarteten Wachstum in der Pharmasparte (+2,0 Prozent) getragen wird. Bei stagnierenden Preisen sollte der Gesamtumsatz der Branche um 0,5 Prozent auf rund 194 Milliarden Euro steigen.

Zukunftsfähigkeit sichern: was die Branche dafür unternimmt

Um sich gegen konjunkturelle Schwankungen oder widrige politische Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Handelskonflikte, zu wappnen und ihre Zukunft am Standort Deutschland zu sichern, will die Branche ihre Anstrengungen bei Innovationsfähigkeit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit verstärken, betonte VCI-Präsident Van Bylen. Mit derzeit 12 Milliarden Euro im Jahr zählt die Branche bei den Forschungsaufwendungen bereits zum nationalen wie globalen Spitzenfeld. Und die Ausgaben sollen weiter steigen: Der VCI geht davon aus, dass die reale Zunahme für Investitionen in FuE im langfristigen Durchschnitt bei 2,5 Prozent pro Jahr liegen wird. Die Branche wird sich zudem in Zukunft noch intensiver mit den Anforderungen der Kunden auseinandersetzen und die Zusammenarbeit vertiefen müssen, um für sie individuelle Lösungen für nachhaltigere Produkte zu entwickeln.

Dafür setzt die Branche auch auf die Digitalisierung. Van Bylen: „Die Digitalisierung bietet großes Potenzial für unsere Industrie.“ Die Auswertung von Big Data und der Einsatz von künstlicher Intelligenz erhöhen die Chancen für das Auffinden von Stoffen mit neuen oder besseren Eigenschaften um ein Vielfaches. Um dieses Potenzial der Digitalisierung erschließen zu können, braucht es qualifizierte Mitarbeiter für die Forschung und die Produktion. Ein wichtiger Teil der digitalen Qualifizierung findet in den Unternehmen statt. Als eine der ersten Branchen in Deutschland hat die Chemie im letzten Jahr eine Wahlqualifikation „Digitalisierung und vernetzte Produktion“ für den Ausbildungsberuf Chemikant/in eingeführt.

„Unsere Branche treibt zur Sicherung ihrer Zukunftsfähigkeit die Nachhaltigkeit von Produktion und Produkten konsequent voran. Wir bekennen uns ausdrücklich zum Klimaschutz und handeln entsprechend“, betonte der
VCI-Präsident. Seit 1990 hat die Chemie ihre Treibhausgasemissionen nahezu halbiert. Sie stellt sich jetzt der Herausforderung, Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen. Eine aktuelle Studie belegt, dass es für die deutsche Chemie technologisch möglich ist, bis 2050 treibhausgasneutral zu produzieren. 45 Milliarden Euro müssen die Unternehmen dafür in eine neue Generation von Anlagen investieren. Zudem benötigen die Unternehmen enorme Mengen Strom aus erneuerbaren Energien zu einem deutlich günstigeren Preis als heute, damit die Transformation der Verfahren gelingt.

Für das Ziel Treibhausgasneutralität sind auch große Fortschritte bei der Umstellung der Rohstoffbasis und zirkulärem Wirtschaften nötig, betont der VCI. Die Nutzung von CO2, ein steigender Anteil Biomasse und die Wiederverwertung von Kunststoffabfällen – zum Beispiel durch chemisches Recycling – sollen die fossile Basis für die Produktion von Grundchemikalien bis 2050 nahezu ersetzen. Aktuell verwendet die Branche zu über 90 Prozent fossile Rohstoffe. Bis 2050 könnte dieser Anteil auf lediglich 6 Prozent sinken.

Investitionen fördern: was der Staat leisten kann

Kürzere Genehmigungsverfahren, geringere Unternehmensteuern und niedrigere Bürokratiekosten sind aus Sicht des VCI wichtige politische Weichenstellungen, um Investitionen zu fördern. Bei allen drei Standort­kriterien gibt es Handlungsbedarf, stellt der Chemieverband fest:

Die Dauer von Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen hat durch einen wachsenden Umfang der Unterlagen, die von den Unternehmen eingefordert werden, kontinuierlich zugenommen. Die Bearbeitung von Genehmigungsverfahren nach dem Immissionsschutzrecht zum Beispiel beansprucht in den Behörden derzeit selten 6 und häufig bis zu 24 oder 36 Monate. Eine Umfrage des BDI in der deutschen Industrie hat ergeben, dass sich die Dauer in den letzten 10 Jahren um bis zu 100 Prozent verlängert hat. „Dieser Trend muss gestoppt und umgekehrt werden, um die Attraktivität von Deutschland als Industriestandort im internationalen Wettbewerb zu stärken“, betonte der Präsident des VCI.

Eng mit diesem Problem verknüpft ist der Abbau bürokratischer Hürden. Den Unternehmen machen steigende Bürokratiekosten zu schaffen, obwohl die drei Bürokratieentlastungsgesetze hier für das Gegenteil sorgen sollten. Tatsache ist: Der Normen­kontrollrat hat vor Kurzem in seinem Bericht festgestellt, dass seit 2011 der laufende Aufwand zur Erfüllung der Pflichten aus Gesetzen und Verordnungen für die deutsche Wirtschaft um rund 5 Milliarden Euro gestiegen ist. Der einmalige Erfüllungsaufwand hat sogar um mehr als 12 Milliarden Euro zugelegt, wobei die Hälfte des Erfüllungsaufwands durch Regelungen aus Brüssel entsteht. Van Bylen: „Wir unterstützen daher den Vorstoß der Präsidentin der EU-Kommission, auch hier die Belastung der Unternehmen durch Bürokratie zu senken.“

Seit der Steuerreform 2008 hat sich Deutschland durch schleichende Steuer­erhöhungen und vor allem durch Steuersenkungen in vielen Ländern inner- und außerhalb Europas zum Hochsteuerland für Unternehmen entwickelt. Die mit 31 Prozent der Bemessungsgrundlage im globalen Vergleich hohe Steuerbelastung für deutsche Unternehmen bewirke das Gegenteil von dem, was finanzpolitisch gewünscht sei. „Reformen für ein international wettbewerbsfähiges Steuerniveau dürfen nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Weniger Steuerlast der Unternehmen bringt am Ende mehr für alle. Mehr Investitionen, mehr Innovationen, mehr Beschäftigung und damit ein insgesamt höheres Steueraufkommen“, betonte der VCI-Präsident.

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