Die Übertragung von elektrischer Ladung in wässrigen
Basen läuft anders ab, als Generationen von Wissenschaftlern bisher angenommen haben. Das konnten nach mehrjähriger Zusammenarbeit Mark Tuckerman (
New York University), Dominik Marx (Fakultät für
Chemie der RUB) und Michele Parrinello (Swiss Center for Scientific Computing,
ETH Zürich) mit einem selbstgeschriebenen Computerprogramm und einem Großrechner zeigen. Sie fanden heraus, dass die einfachste Reaktion in Basen durch quantenmechanische Effekte beeinflusst wird. Zudem läuft sie nicht spiegelbildlich zu der in
Säuren ab, so wie es seit fast 100 Jahren allgemein angenommen wurde. Über die Ergebnisse berichtet das Magazin NATURE in seiner heutigen Ausgabe.
Bisher unklar: Wie Basen genau funktionieren
Zunutze machen sich die Menschen die Reaktionsbedingungen in basischen
Lösungen schon lange, etwa für einen der ältesten großchemischen
Prozesse: die Seifenherstellung. Auch für die
Biochemie und die
organische Synthese sind basische Bedingungen wesentlich. Wie genau basische
Lösungen auf atomistischer Ebene beschaffen sind, war jedoch bisher unklar. Basen (
pH-Wert >7) zeichnen sich gegenüber neutralen Lösungen durch einen Überschuss von OH-
Ionen aus. Sie sind die natürlichen Gegenspieler des H+ Ions, von dem
Säuren (pH-Wert <7) einen Überschuss enthalten. In neutralen Lösungen wie
Wasser herrscht ein Gleichgewicht zwischen beiden Ionen (pH-Wert = 7).
Ionen verschieben ihre Ladung über H-Brücken
Chemische Reaktionen laufen i.d.R. in saurem und basischem Milieu ganz unterschiedlich ab. Seit langer Zeit ist bekannt, dass wässrige basische Lösungen elektrischen Strom extrem gut leiten, d.h. die überzähligen Ladungsträger OH- müssen eine sehr große Mobilität in
Wasser besitzen. Die Wissenschaft weiß, dass nicht die OH- Ionen selbst wandern, sondern dass nur ihre Ladungen entlang von
Wasserstoffbrückenbindungen verschoben werden. Dabei gingen die Forscher bisher davon aus, dass sich das OH- Ion spiegelbildlich analog zu dem besser untersuchten H+ Ion verhält.
Nach den Berechnungen: Umdenken
In Säuren befindet sich das H+ Ion oft zwischen zwei Wassermolekülen, schematisch [H2O...H...OH2 ]+. Es kann jedoch fast ohne Energieaufwand verschoben werden, wodurch ein H3O+ Molekül entsteht, das seinerseits über Wasserstoffbrücken von drei Wassermolekülen umgegeben ist, schematisch H3O+(H2O)3. Die Ladung wandert dabei gleich über mehrere Bindungslängen. Noch im Jahr 2000 erschien eine Arbeit, der die Annahme zugrunde lag, OH- und damit Basen verhielten sich genauso. Die analogen zwei
Komplexe seien also [HO...H...OH]- und OH- (H2O)3. Die Forschergruppe um Prof. Marx entwickelte ein Computerprogramm, das sowohl die
Elektronen als auch die
Atomkerne quantenmechanisch beschreibt. Sein Einsatz auf einem Großrechner machte die althergebrachte Vorstellung anderer Forscher zunichte.
Das Tunneln beschleunigt die Reaktion
Es zeigte sich, dass das OH- Ion in Wasser nicht wie bisher angenommen von drei, sondern von vier Wassermolekülen umgeben ist. Dieses Phänomen bezeichnen die Wissenschaftler als "Hyperkoordination". Damit ein H leicht verschoben werden kann, muss dieser Komplex zuerst ein Wassermolekül verlieren , was ein relativ langsamer Schritt ist. Nach dieser "Aktivierung" kann ein [HO...H...OH]- Komplex entstehen , welcher sich nun wieder in ein von vier Wassermolekülen umgebenes OH- Ion umwandelt. Nach diesen Umlagerungen ist der OH- Defekt um eine Wasserstoffbrückenlänge gewandert. Dieser Komplex existiert in Basen allerdings nur als sog. "Übergangskomplex" und ist damit nicht stabil wie im sauren Milieu. Die Forscher konnten schließlich zeigen, dass quantenmechanische Effekte, insbesondere das Tunneln eines Protons, die Umwandlung von OH-(H2O)3 merklich beschleunigen; dieser Effekt ist bei Säuren völlig vernachlässigbar. Ihr Fazit: das OH- Ion in Wasser verhält sich nicht wie das Spiegelbild von H+, womit die bisherigen Lehrbuch-Vorstellungen von wässrigen Basen über Bord zu werfen sind.