Molekulare „Matrjoschka“ löst chemisches Problem

Dreischaliger Nano-Reaktor für die Funktionaisierung von Fulleren

19.04.2021 - Deutschland

Einem deutsch-katalanischen Forschungsteam ist es erstmals gelungen, eine mehrschalige „Matrjoschka“-Architektur für die chemische Synthese zu verwenden. Die Chemiker aus Ulm und Girona haben dafür eine dreidimensionale Konstruktion aus ineinander geschachtelten Molekülen entwickelt. Diese supramolekulare Neu-Schöpfung kann man sich vorstellen wie einen Fußball, der in einem Hula-Hoop-Ring steckt und der wiederum in einen Käfig eingebettet ist. Mit Hilfe dieser molekularen „Matrjoschka“ können Fullerene zielgenau funktionalisiert werden, und zwar ganz ohne unerwünschte Nebenprodukte.

Dr. Jo Richers Studio https://jorichers.com

Die Illustration zeigt die molekulare Matrjoschka zur Funktionalisierung des C60-Fullerens. Der mehrschalige Reaktor basiert auf drei ineinander verschachtelten molekularen Strukturen die Ähnlichkeit haben mit einem Fußball (Fulleren-Molekül, innen), einem Hula-Hoop-Reifen und einem Käfig.

Fullerene sind ganz besondere chemische Moleküle. In Struktur und Form ähneln sie einem Fußball. Dabei bestehen sie aus reinem Kohlenstoff, und zwar aus einer extrem dünnen Schicht, die nur eine Atomlage dick ist. Organische Solarzellen der neuesten Generation nutzen speziell funktionalisierte Formen dieser kugelförmigen Kohlenstoffhohlkörper als Elektronenfänger. „Bisher war die Herstellung gezielt funktionalisierter Fullerene sehr aufwändig. Aufgrund einer Vielzahl unerwünschter Nebenprodukte müssen die Zielmoleküle erst mühevoll aufgereinigt werden“, erklärt Professor Max von Delius, Leiter des Instituts für Organische Chemie I der Universität Ulm. Gemeinsam mit Professor Xavi Ribas von der Universität Girona und seiner Arbeitsgruppe haben Ulmer Chemiker um von Delius ein hochselektives Verfahren zur Synthese des funktionalisierten C60-Fullerens entwickelt, das ohne aufwändige Aufreinigung auskommt und eine Ausbeute von über 90 Prozent erreicht – ein neuer Rekord. In der Fachzeitschrift Nature Chemistry wurde der mehrschalige Nano-Reaktor, der wie eine molekulare „Matrjoschka“ konstruiert ist, nun vorgestellt.

Eine „Matrjoschka“ ist eine russische Puppe aus Holz. Sie besteht aus mehreren immer kleineren, ineinander geschachtelten Holzpuppen, und sie hat Talisman-Charakter. „Unserem gemeinsamen Forschungsteam ist es mit der molekularen Matrjoschka gelungen, unterschiedliche chemische Reaktionsräume auf ähnliche Weise ineinander zu verschachteln“, erläutert Professor Xavi Ribas. Im Zentrum dieses Reaktionsraums befindet sich das fußballförmige Fulleren-Molekül, das chemisch modifiziert werden soll. Dieses ist umgeben von einem rotierenden „Reifen“, der in seiner Drehung eingeschränkt ist und auf diese Weise Teile der Fulleren-Oberfläche von den Reagenzien abschirmt. Der chemische „Hula-Hoop“-Reif besteht aus zyklischen organischen Verbindungen, die eine stabile ringförmige molekulare Struktur formen. Diese chemische Konstruktion ist wiederum eingelagert in eine käfigartige Struktur, die ebenfalls aus komplexen organischen Verbindungen besteht. Der „Käfig“, der den äußeren Reaktionsraum des Mini-Reaktors bildet, ist nach oben und unten hin geschlossen, hat aber an vier Seiten jeweils ein „Fenster“, durch das die Reagenzien für die Funktionalisierung in den Nanoreaktor gelangen können.

Molekulare Wirt-Gast-Beziehungen sorgen für Halt und zugleich für Bewegungsspielraum

Für die chemische Realisation des Matrjoschka-Prinzips machen sich die Supramolekül-Spezialisten besondere chemische Kräfte zunutze. Die Nanoreaktor-Schalen interagieren untereinander über sogenannte nicht-kovalente Kräfte. Besonders wichtig sind dabei sogenannten π-π-Wechselwirkungen (Pi-Pi-Wechselwirkungen), die zwischen „Fußball“, „Reif“ und „Käfig“ wirken und somit der Konstruktion gleichzeitig Halt und einen gewissen Grad an Beweglichkeit geben. „In der supramolekularen Chemie, einem Spezialgebiet der Organischen Chemie, bezeichnet man die Interaktion zwischen solchen über- und untergeordneten Strukturen als Wirt-Gast-Beziehung. Mit unserem `Matrjoschka´-Design ist es gelungen, erstmals ein dreiteiliges hierarchisches System für die chemische Synthese zu verwenden“, freuen sich auch Ernest Ubasart (Universität Girona) und Oleg Borodin (Universität Ulm), die als Hauptautoren an der Studie beteiligt waren.

Der mehrschalige Nano-Reaktor hat die Aufgabe, Kohlenstoff-Bindungsstellen des Fullerens für die chemische Modifikation zielgenau zu selektieren. Die Funktionalisierung der hohlkugelförmigen Kohlenstoffkugeln erfolgt schließlich über sogenannte Additionsreaktionen mit chemischen Anhängseln, die spezielle funktionelle Gruppen tragen. „Mit Hilfe der `Matrjoschka´-Architektur konnten wir bestimmte Fulleren-Bisaddukte – diese tragen zwei funktionelle Anhängsel – in bisher unerreichter Reinheit synthetisieren. Während bei herkömmlichen Reaktionen dieser Art mehr als ein Dutzend unerwünschter Reaktionsprodukte entstehen“, heben die Forschenden hervor.

Aha-Erlebnis auf der Tagung

Das deutsch-katalanische Forschungsprojekt zur Fulleren-Funktionalisierung hat auch eine besondere Entstehungsgeschichte. „Xavi Ribas und ich haben uns auf einer internationalen Tagung getroffen und auf der `Poster-Session´ umgeschaut. Dabei ist mir ein Projektposter aus seiner Arbeitsgruppe aufgefallen. Es hatte die gleiche Zielstellung wie das Projekt auf unserem Poster, basierte allerdings auf einem ganz anderen Konstruktionsdesign“, erzählt Professor Max von Delius. Es ging dabei um die zielgenaue Funktionalisierung des C60-Fulleren-Moleküls: Während das Ulmer Team an einer passenden „Reifen“-Lösung forschte, wurde in der Arbeitsgruppe von Professor Xavi Ribas an der Universität Girona an einem „Käfig“-Konzept gearbeitet. Doch beide Designs für sich lieferten nur mittelprächtige Ergebnisse. Warum nicht also die zwei Konstruktionen miteinander verbinden? „Diese wissenschaftliche Kooperation war für uns alle unglaublich spannend. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir aufgeregt zwischen den Postern hin- und her gelaufen sind“, erinnert sich von Delius an dieses besondere Aha-Erlebnis. So reifte nicht nur die „Fußball, Reifen und Käfig“-Lösung, sondern auch die schöne Erkenntnis, dass eine wissenschaftliche Kooperation eben viel mehr ist, als die Summe ihrer Teile.

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