Dornröschen der Azide wachgeküsst
Eine kurzlebige und hochexplosive Verbindung ist im Labor der Professur Organische Chemie der Technischen Universität Chemnitz aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst worden: das Azidoacetylen. 102 Jahre lang haben Wissenschaftler auf der ganzen Welt sich bemüht, diese Zwischenverbindung herzustellen.
"Vor rund 100 Jahren haben Chemiker neue funktionale Gruppen erforscht. Zu diesen Gruppen gehören beispielsweise Alkohole. Die Wissenschaftler haben damals viel ausprobiert, manches hat funktioniert, anderes nicht – zum Beispiel die Herstellung des Azidoacetylens", erklärt Prof. Dr. Klaus Banert, weshalb seit 1910 nach dieser Verbindung gesucht wurde. Der Inhaber der Professur Organische Chemie beschäftigt sich bereits seit 30 Jahren mit organischen Aziden. Diese treten in der Natur nicht auf, spielen aber als Zwischenprodukte in chemischen Reaktionen eine große Rolle – so auch das Azidoacetylen. Um dessen Dornröschenschlaf zu beenden, brauchte es zum einen die passende Temperatur bei der Herstellung und zum anderen die richtige Methode zur Untersuchung. Bei minus 40 Grad Celsius haben die Chemnitzer Chemiker mit spektroskopischen Methoden gearbeitet. Dabei wird die Strahlung, die jede Probe nach Bestrahlung wieder abgibt, auf ihre Energie und Intensität untersucht. So kann man ein charakteristisches Bild der Struktur und der Eigenschaften von Molekülen – zum Beispiel von Azidoacetylen – gewinnen.
Die Arbeitsgruppe in Chemnitz um Prof. Banert hat in erster Linie die Isolierung und die experimentelle Untersuchung des Azidoacetylens vorangetrieben. Parallel dazu befasste sich Prof. Dr. Alexander Auer – ehemals Juniorprofessor an der TU Chemnitz, jetzt Professor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim – mit theoretischen Rechnungen zu diesem Molekül und seiner Chemie. Der gemeinsame Durchbruch wurde in der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie" veröffentlicht. Der Artikel trifft dort zusammen mit einer Publikation der Forschergruppe um Prof. Mitchell Croatt aus dem US-amerikanischen North Carolina. "Die amerikanischen Kollegen haben aufbauend auf einer älteren Veröffentlichung von uns die chemischen Reaktionsmöglichkeiten des Azidoacetylens für die Herstellung zahlreicher weiterer Substanzen genutzt", erklärt der Chemnitzer Chemiker und ergänzt: "Isoliert haben sie die explosive Zwischenverbindung dabei jedoch nicht." Die komplementären Forschungsergebnisse aus verschiedenen Arbeitsgruppen stießen bei der Publikation in der "Angewandten Chemie" auf viel Interesse: "Das Echo war so positiv, dass der Chemie des Azidoacetylens sogar die Titelseite gewidmet wurde. Wenn einem das in einer der bedeutendsten Chemiezeitschriften der Welt gelingt, bei der rund 80 Prozent der eingereichten Artikel abgelehnt werden, kann man vielleicht schon etwas stolz sein", so Prof. Banert.
"Das Azidoacetylen weist eine ungewöhnliche Struktur auf und geht deshalb auch neuartige chemische Folgereaktionen ein", erklärt der Chemnitzer Wissenschaftler die Bedeutung der Verbindung. Da es sich jedoch um anwendungsorientierte Grundlagenforschung handelt, führen die Resultate nicht direkt zu neuen Wirkstoffen oder Materialien. "Unsere Ergebnisse ermöglichen aber bisher unbekannte Synthesemethoden und geben deshalb Chemikern in der Wirkstoff- oder Materialforschung ganz neue Werkzeuge an die Hand", so Prof. Banert.
Die TU-Chemiker beschäftigen sich auch in Zukunft mit dem Azidoacetylen. Dabei werden sie mit Wissenschaftlern der Universitäten Wuppertal und Stuttgart zusammenarbeiten. In Wuppertal wird die Verbindung bei minus 263 Grad Celsius in eine Edelgasmatrix eingelagert. In diesem Zustand ist sie längerlebig und kann durch Bestrahlung genauer untersucht werden. Gemeinsam mit dem Stuttgarter Chemiker Prof. Dr. Guntram Rauhut sollen zudem weitere quantenmechanische Berechnungen durchgeführt werden. Die Forschung an der Professur Organische Chemie der TU Chemnitz wird seit 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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