Komplex, aber immer noch lückenhaft: die EU-Biozidverordnung

05.11.2012 - Deutschland

Ab dem 1. September 2013 kommt die neue EU-Biozidverordnung (BPR, Biocidal Products Regulation) zur Anwendung, die der jetzigen Richtlinie einige wichtige Neuerungen hinzufügt. Sowohl die behördlichen Zuständigkeiten als auch die Anforderungen für offizielle Genehmigungen sowie Verfahrensabläufe verändern sich. Auf der 12. Internationalen Fresenius-Fachkonferenz "The New Biocidal Products Regulation" kamen am 23. und 24. Oktober 2012 Experten aus ganz Europa zusammen, um über die anstehenden Veränderungen zu diskutieren.

Die zentralen Neuheiten der neuen Biozidverordnung wurden von Pierre Choraine (Europäische Kommission) vorgestellt. Die Verordnung enthalte Vorschriften zur gemeinsamen Autorisierung mehrerer, einander ähnlicher Biozidprodukte, veränderte Anforderungen an behandelte Artikel sowie Exklusions- und Substitutionskriterien für Biozidprodukte und äußere sich zu Themen wie der verpflichtenden Offenlegung von Daten, der Kostenbeteiligung von Lieferanten alternativer Substanzen und der neuen leitenden Rolle der ECHA, listete Choraine auf. Ebenso würde die Verordnung das detaillierte Vorgehen bei der gemeinsamen Anerkennung von Substanzen behandeln. Choraine wies darauf hin, dass speziell Artikel 95 der Verordnung, der sich mit den Übergangsmaßnahmen für den Zugang zum Wirkstoffdossier auseinandersetze, auf alle Unternehmen innerhalb des Biozid-Sektors Auswirkungen habe. So dürften Hersteller bzw. Importeure, die keine Unterlagen über aktive Substanzen bei der ECHA eingereicht hätten und damit nicht namentlich bei ihr erfasst wären, ab dem 1. September 2015 keine Biozidprodukte mit meldepflichtigen Wirkstoffen mehr in den Verkehr bringen. Choraine lenkte die Aufmerksamkeit der Zuschauer ebenso darauf, dass ab dem 1. September 2013 die Möglichkeit bestehe, alle erforderlichen Daten zur Produktanmeldung in elektronischer Form über die IUCLID 5-Software einreichen zu können.

Exklusionskriterien werfen Fragen auf

Zu den gravierendsten Änderungen der BPR gehören die neuen Exklusionskriterien für aktive Substanzen. Laut Verordnung werden zum einen krebserregende, mutagene oder reproduktionsbeeinträchtigende sowie Substanzen mit endokrinen Eigenschaften, zum anderen beständige, bioakkumulative und toxische Substanzen von der Genehmigung ausgeschlossen. Die Ausnahme: Solange die Exposition der betreffenden Substanzen geringfügig ausfällt, sie zur Kontrolle einer ernsten Bedrohung für Mensch, Tier oder Umwelt notwendig sind oder eine Nicht-Genehmigung unverhältnismäßige, negative Konsequenzen für die Gesellschaft nach sich zieht, kann trotzdem eine Genehmigung erteilt werden. Kritik an diesem Punkt kam auf der Konferenz von Dr. Joachim Rumbolz (GAB Consulting GmbH): Die gesetzten Kriterien seien zu wenig spezifisch. Die BPR würde an diesen und an vielen weiteren Stellen zu viele Fragen aufwerfen, um problemlos mit ihr arbeiten zu können. Hinsichtlich der Exklusionskriterien sei zudem anzumerken, dass sie die Anzahl verwendbarer aktiver Substanzen deutlich vermindern würden.

Vorgehen bei Datenlücken

Zur Beurteilung aktiver Substanzen fordert die EU im Rahmen der neuen Biozidverordnung umfangreiche Informationen von der Industrie. Die Erfahrung aus der bisherigen Verordnung zeigt jedoch, dass oftmals nicht alle Anforderungen der Behörden über valide Untersuchungsdaten abgedeckt werden können. Dr. Michael Werner (SCC GmbH) empfahl in seinem Vortrag, wie in einem solchen Fall vorzugehen sei: Zunächst müsse man so viele Informationen wie möglich sammeln und die entsprechenden Datenlücken identifizieren, begann Werner. Weiter sei es notwendig, die Wirkungsweise (lokal/sytemisch) und das chemische Verhalten der aktiven Substanz zu untersuchen und anhand dieser Ergebnisse zu beurteilen, inwiefern weitere Daten benötigt würden. Auch die Beschaffenheit des Wirkstoffs und sein Expositionsmuster seien bei der Beurteilung zu berücksichtigen. In einem nächsten Schritt könne man dann näher beleuchten, ob man strukturell verwandte Substanzen heranziehen könne, um die Datenanforderungen zu erfüllen. Falls eine solche Übertragbarkeit gewährleistet sei, müssten die vorhandenen Daten für die relevante aktive Substanz mit denen der verwandten Substanzen verglichen bzw. ein Bezugspunkt hergestellt werden, um die wissenschaftliche Robustheit und Aussagekraft der Übertragung zu gewährleisten, führte Werner weiter aus. Falls überhaupt keine Daten vorhanden seien oder eine Datenübertragung nicht oder nur zum Teil möglich sei, bestünde noch die Möglichkeit, eine intelligente Teststrategie unter Berücksichtigung der "3Rs" zu entwerfen, um die erforderlichen Daten zur Schließung der Datenlücken zu generieren, schloss Werner.

Umgang mit behandelten Artikeln

Über die neue Verordnung wird erstmals auch eine spezielle Regelung für Artikel eingeführt, die Biozid enthalten oder mit diesem behandelt wurden. Bereits in der Vergangenheit durften Artikel in der EU nur mit hierfür zugelassenen Bioziden behandelt werden. Es bestand jedoch eine Regelungslücke für importierte Artikel. Diese konnten auch noch in der EU bereits verbotene Biozide enthalten. Außerdem betrifft die neue Regelung nicht mehr nur klassische Artikel (z.B. imprägniertes Holz), sondern alle chemischen Rohstoffe und Produkte, die z.B. Konservierungsmittel enthalten. Alle beteiligten aktiven Substanzen müssten nun künftig zunächst für den jeweiligen Produkttyp und die intendierte Nutzung von den EU-Behörden genehmigt werden, bevor ein behandeltes Produkt auf den Markt gebracht werden könne, erklärte Dr. Ole Schrader (Henkel). Bei Genehmigung der aktiven Substanzen müsse der behandelte Artikel zusätzlich speziell deklariert werden, sofern die Genehmigung dies vorsehe oder ein Claim über biozide Eigenschaften zur Anwendung gebracht werden solle, fuhr Schrader fort. In einem solchen Fall seien sowohl der Hinweis auf Biozide im Artikel und eine Gebrauchsanleitung inklusive spezieller Vorsichtsmaßnahmen, als auch eine Auflistung über alle vorkommenden aktiven Substanzen und Nanomaterialien verpflichtend auf dem Artikel auszuweisen. Schrader wies auf offene Fragen bei der Umsetzung hin, insbesondere hinsichtlich des Umfangs der Deklarierungspflicht, und sprach sich für ein verantwortungsvolles, vernünftiges Vorgehen aus. Der sicherste Weg sei es, alle aktiven Substanzen und Nanomaterialien zu kennzeichnen, die für die bioziden Eigenschaften des Artikels und seine Sicherheitsbewertung relevant seien, so Schrader.

Abgrenzungsprobleme

Mit steigender Komplexität der EU-Gesetzgebung für Chemikalien werden zunehmend Probleme in deren Umsetzung beobachtet. Dies machte auch der Vortrag von Dr. Michael Braedt, Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, deutlich: Mit REACH, der CLP- und der neuen Biozidverordnung seien für die Industrie, den Handel, die Anwender und die Behörden nun drei sehr umfangreiche Regelwerke gleichzeitig anzuwenden, was mit einem erheblichen Maß an Aufwand für alle Beteiligten verbunden sei und die Arbeitssituation verkompliziere, so Braedt. Besonders problematisch seien fehlende, unklare oder sich widersprechende Definitionen zwischen den einzelnen Verordnungen, die dazu führten, dass weder Behörden noch Anwender vernünftig mit diesen arbeiten könnten.

Insbesondere das Thema Grenzkonzentrationen, die Platzierung von Artikeln auf dem Markt und die Frage nach der Wiederverwendbarkeit behandelter Artikel verursachten derzeit große Abgrenzungsprobleme, die im Zuge einer erneuten Überarbeitung der relevanten Verordnungen dringend einer rechtlichen Klärung bedürften, unterstrich Braedt.

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