Vorbereitung auf den Paradigmenwechsel in der EU-Chemikalienpolitik: Fresenius Fachtagung diskutierte REACH-Verordung

04.05.2004

Die Pläne der EU-Kommission, das Chemikalienrecht in Europa zu reformieren, sorgen für heftige Diskussionen. Vor allem in der Kritik: die so genannte REACH-Verordnung zur Registrierung, Evaluierung und Authorisierung von Chemikalien. Kritiker der Verordnung befürchten, dass viele Stoffe allein aus Kostengründen vom Markt verschwinden werden und vor allem kleine und mittelständige Unternehmen den steigenden Aufwand für die Risikobewertung nicht leisten können. Die Proteste von Industrie, Verbänden und Politik ließen nicht lange auf sich warten. Mit Erfolg: In Brüssel liegen die EU-Pläne derzeit "auf Eis" - das Europäische Parlament hat beschlossen, den Entwurf erst nach der Europawahl im Sommer zu behandeln. Dass die "REACH-Verordnung" dann Realität werden wird, steht außer Frage. Aber es ist noch unklar, welche der Formulierungen auf dem Entwurf von 1200 Seiten noch umformuliert werden können und sollten. Dieser Frage widmeten sich auf einer Fachtagung der Akademie Fresenius in Köln (29. und 30. April 2004 ) 18 Experten aus Politik und Praxis.

"Die entscheidende Frage für die Chemieindustrie und den Chemiehandel lautet nicht, ob REACH kommt, sondern: Wie wird es umgesetzt? Um so erfreulicher, dass diese Tagung nicht im Zeichen pessimistischer Szenarios stand, sondern die Teilnehmer vor allem in zweierlei Hinsicht wichtige Anregungen und Hinweise erhielten: Welche Hebel können angesetzt werden, um im politischen Entscheidungsprozess Verbesserungen zu erwirken? Was muss ich im Unternehmen tun, um mich schnell auf das neue Registrierungsverfahren einzustellen?" - so die Bilanz von Dr. Andreas Zumdick vom Institut Fresenius (Taunusstein). Die politische Brisanz des Themas wollte er dennoch nicht verhehlen: "Wenn sich das frisch gewählte Parlament im Spätsommer mit REACH befasst, bleibt den Politikern wenig Eingewöhnungszeit - das Thema bleibt heiß."

REACH wird Recht

Unausgesprochene Einigkeit der Referenten bestand im Bemühen, weitgehend auf das Zitieren der bekannten Argumente gegen REACH zu verzichten und dafür die Auswirkungen genauer abzuwägen und praktische Handlungsanweisungen für die Umstellung auf REACH zu geben. Schließlich verzeichnet die Branche mit REACH einen "Paradigmenwechsel" - so formulierte es Volker J. Sobolla von der Degussa AG (Düsseldorf). Auch Dieter Fink vom Verband der chemischen Industrie (Frankfurt) betonte das Neuland, das die Gesetzgebung mit REACH betritt: REACH wird, wenn es verabschiedet wird, für alle EU-Staaten direkt geltendes Recht. Und damit ändert sich die Chemikalienpolitik der EU entscheidend: In der Vergangenheit hat sich das EU-Chemikalienrecht primär auf Datenermittlung und Risikobewertung beschränkt und im wesentlichen nur Regelungen für die Vermarktung von Stoffen und Produkten getroffen. Für Beschränkungen und Anforderungen zur Verwendung von Stoffen aus Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzaspekten hat die EU hingegen nur Mindeststandards vorgegeben. Nunmehr werden jedoch von REACH diese Verwendung auch abschließend geregelt. Große Zweifel bestehen jedoch hinsichtlich der zeitlichen Umsetzung des REACH Verfahrens.

Nicht nur Nachteile für den Mittelstand

Eva Lechtenberg-Auffarth von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Dortmund) bemühte sich, Vor- und Nachteile von REACH insbesondere für mittelständische Unternehmen gleichermaßen abzuwägen. So hält sie die Befürchtungen vieler kleiner Chemieunternehmen, durch REACH künftig nicht mehr über bestimmte Stoffe verfügen zu können, für "durchaus nicht unberechtigt". Auch seien die Prüfkosten für Stoffe in kleinen Mengen überproportional hoch. Außerdem werden sie in der Wertschöpfungskette nicht gleichmäßig verteilt, sondern punktuell zum Teil sehr stark ausfallen. Dem in der aktuellen Diskussion oft betonten Bürokratieaufwand durch Stoffsicherheitsbetrachtungen (Chemical Safety Reports) und Meldepflichten schreibt sie allerdings nur nachrangige Bedeutung zu. Kleine und mittlere Unternehmen seien von diesen Verpflichtungen nämlich oft gar nicht betroffen. Sie könnten sogar von den neuen Pflichten ihrer Vorlieferanten zum Chemical Safety Report (CSR) profitieren: Die Berechtigung, CSR ausdrücklich einzufordern, die im neuen REACH-Entwurf enthalten ist, sei im Prinzip ein deutlicher Vorteil für Kleinunternehmen. So zeigte sie sich überzeugt, dass der Mittelstand der Chemiebranche von den positiven Impulsen profitieren könne, die "trotz aller Nachteile von REACH ausgehen können": Der Impuls zur Generierung verlässlicher Daten könne nämlich auch dafür sorgen, dass kleine und mittlere Unternehmen langfristig über "sicherere Stoffe" verfügen könnten: "Die Notwendigkeit zu mehr stoffbezogener Information dürfte nach den Diskussionen und trotz der Diskussionen um REACH inzwischen außer Zweifel stehen, die Frage ist eher, wie man diese Daten am effektivsten gewinnt", so Eva Lechtenberg-Auffarth. Reformulierungskosten durch den Wegfall von Substanzen und die damit einhergehende Produktqualität lassen sich zur Zeit noch nicht abschätzen.

Durchgespielt: NRW stellt mit Planspiel REACH auf den Prüfstand

Auf welche Folgen und Probleme "dank REACH" sich die Chemiebranche eintsllen sollte, hat das Bundesland Nordrhein-Westfalen in einem groß angelegten Planspiel bereits durchgespielt. Auf der Fresenius-Fachtagung stellte Andreas Ahrens von der Beratungsgesellschaft Ökopol (Hamburg), die mit der Durchführung betraut war, die Erfahrungen und Ergebnisse zur Diskussion.

Mitspieler des Planspiels waren 24 große, kleinere und mittlere Unternehmen aus den Bereichen Galvanik, Lacke, Textilien und Kunststoffe sowie Bundesbehörden, Landesbehörden, Umwelt- und Verbraucherverbände.

Im Mittelpunkt standen die Anforderungen der Verordnung für die Registrierung von Chemikalien und die Kommunikation zwischen Herstellern und Verwendern. Im Lenkungsausschuss des Planspiels waren die beiden Ministerien, die Staatskanzlei, die IG BCE, der VCI (Verband der Chemischen Industrie), der Verband Chemiehandel, das Umweltbundesamt, das Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Verbraucherzentrale NRW sowie die Berufsgenossenschaften der Chemiebranche und die Branchen Textilien, Lacke, Kunststoffe und Oberflächenbehandlungen vertreten.

Ein wichtiges Ergebnis: Vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen benötigen in der Anfangsphase Unterstützung durch Beratung bei der Umsetzung der neuen EU-Chemikalienpolitik, denn auf sie werden ganz neue Anforderungen durch eine stärkere Produktverantwortung zukommen. Eine abgeleitete Forderung aus den Ergebnisse an die EU ist deshalb auch die Entwicklung von detaillierten und praktikablen Umsetzungsinstrumenten und -leitlinien, die den Unternehmen bereits vor dem Start der Verordnung zur Verfügung stehen müssen.

Dringend benötigt: Infos und Qualifikationsprogramme

Das Planspiel in Nordrhein-Westfalen hat den Bedarf an "Qualifikationsprogrammen und Unterstützung von außen durch Staat, Verbände und Dienstleister" deutlich gemacht. Wie groß das Interesse an Detailinformationen ist, zeigt auch der Zuspruch, den die Veranstaltung der Akademie Fresenius verzeichnete: "Mit gut 80 Teilnehmern zählt diese Veranstaltung sicherlich zu unseren Besuchermagneten in diesem Jahr. Keine Frage: REACH ist das Thema, das die Verantwortlichen momentan am meisten bewegt", kommentiert Sabine Mummenbrauer, Konferenzmanagerin der Akademie Fresenius den Zuspruch: "Die Unternehmen engagieren sich stark in der Lobbyarbeit und mobilisieren alle Kräfte, um Einfluss auf Brüssel zu nehmen. Damit steigt aber auch die Verunsicherung und die Sehnsucht nach Klarheit: Wann und wie kommt REACH? Welche Ideen und Ansätze werden Wirklichkeit? Was genau muss ich als nächstes tun?".

Die Tagungsunterlagen mit den Skripten aller Vorträge können zum Preis von 250,- EUR zzgl. Mwst bei der Akademie Fresenius bezogen werden.

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