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Internationaler Thermonuklearer Experimenteller Reaktor



  Der Internationale thermonukleare Experimentalreaktor (ITER, International Thermonuclear Experimental Reactor, aber auch lateinisch: der Weg, die Reise) ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der sieben gleichberechtigten Partner Europäische Union (inklusive Schweiz), Japan, Russland, Volksrepublik China, Südkorea, Indien und USA. Die USA waren von 1998 bis 2003 vorübergehend aus dem ITER-Projekt ausgestiegen, Kanada seit 2004.

Die teilnehmenden Parteien gaben am 28. Juni 2005 nach langen Verhandlungen den Startschuss für den Bau des so genannten ITER-Reaktors. Sie beschlossen, für insgesamt knapp 5 Milliarden Euro einen Versuchsreaktor in Cadarache in Südfrankreich zu bauen. Er soll 20 Jahre lang betrieben werden; die Betriebskosten sollen nochmal etwa denselben Betrag erfordern.

Am 21. November 2006 wurde in Paris von den sieben ITER-Partnern unter Teilnahme des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac der ITER-Vertrag unterzeichnet. Gleichzeitig fand die erste Sitzung des ITER Iterim-Council statt. Der Vertrag muss nun noch von allen sieben Partnern ratifiziert werden, bevor er endgültig in Kraft treten kann. Jeder der sieben Partner wird des Weiteren eine „Domestic Agency“ einrichten, welche die Aufgabe hat die vertraglichen Verpflichtungen des jeweiligen Partners gegenüber ITER zu erfüllen. Für die Europäische Union fällt diese Aufgabe der neu gegründeten Institution „Fusion for Energy - The European Joint Undertaking for ITER and the Development for Fusion Energy“ zu.

ITER soll Wege zu einer wirtschaftlichen Nutzung der kontrollierten Kernfusion aufzeigen. Die ursprüngliche Bedeutung der Abkürzung ITER („International Thermonuclear Experimental Reactor“) wird offiziell nicht mehr verwendet, stattdessen soll auf die lateinische Bedeutung für iter, „der Weg“, verwiesen werden.

Inhaltsverzeichnis

Kernfusion

Nach dem Vorbild der Sonne wird bei der Kernfusion Wasserstoff zu Helium verschmolzen. Dabei setzt ein Gramm Wasserstoff etwa die selbe Menge Energie frei wie die Verbrennung von acht Tonnen Erdöl oder elf Tonnen Kohle. Die Wasserstoffbombe macht sich diesen Effekt zunutze, allerdings wird hier die Energie unkontrolliert auf einmal freigesetzt.

In der Sonne laufen die Fusionsprozesse hauptsächlich nach der Proton-Proton-Kette ab (zu einem kleinen Prozentsatz auch nach dem Bethe-Weizsäcker-Zyklus). Bei ITER wird allerdings – wie auch bei allen anderen Versuchen, die Kernfusion auf der Erde zu nutzen (einschließlich der Wasserstoffbombe) – nicht das Wasserstoffisotop Protium verwendet wie in der Sonne, sondern die deutlich selteneren Isotope Deuterium und Tritium:

\mathrm{ ^3T  + \ ^2D} \ \rightarrow \mathrm{ ^4He +  n  +  17{,}6 \ MeV}

Da Tritium (T) mit einer Halbwertzeit von ca. 12,3 Jahren zerfällt, ist es auf der Erde nur in Spuren vorhanden. Es soll deshalb in den Reaktoranlagen aus dem reichlich vorhandenen Element Lithium erbrütet werden (siehe Blanket). Im ITER wird auch diese Technik erprobt werden.

Fusionsreaktor

Hauptartikel: Kernfusionsreaktor

Schon seit Jahrzehnten wird an der zivilen Nutzung der Kernfusion geforscht. Das größte Problem dabei ist, dass sich die Wasserstoffkerne extrem stark aneinander annähern müssen, um fusionieren zu können. Dem wirkt aber die abstoßende elektrische Kraft zwischen den Kernen entgegen. Deshalb muss das Produkt aus Temperatur und Druck einen gewissen Schwellenwert überschreiten. In der Sonne reichen der hohe Druck und die hohe Temperatur von 15,6 Millionen Grad Celsius aus, um die Fusion zu initialisieren und in Gang zu halten. Bei den niedrigeren Druckverhältnissen, die im Reaktor beherrschbar sind, liegt die Zündtemperatur bei mehreren hundert Millionen Grad Celsius. Auf derart hohe Temperaturen kann man den Wasserstoff nicht in herkömmlicher Weise erhitzen.

Bei einem Ausfall des Magnetfeldes wird – entgegen einem verbreiteten Missverständnis – der Reaktor nicht durch die enormen Temperaturen zerstört. Der Kontakt mit der Gefäßwand verunreinigt vielmehr das Plasma und lässt es sofort auskühlen, da es sehr hoch verdünnt ist: Bei ITER kommen auf 837 Kubikmeter Plasmavolumen nur 0,5 Gramm Plasmamaterial. Das entspricht einer Dichte wie in einem Hochvakuum.

Für das Kühlen der Magnete sowie das Halten und Erhitzen des Plasmas werden große Energiemengen benötigt, bis der Fusionsprozess einsetzt. Ist er in Gang gekommen, wird ein Großteil der Heizleistung durch die Bewegungsenergie der entstehenden Heliumkerne gedeckt (siehe Kettenreaktion). Bei bisherigen Experimenten konnte das „Brennen“ des Plasmas nur über kurze Zeit (etwa zwei Sekunden) aufrechterhalten werden, so dass die durch die Fusion gewonnene Energie nur einem Teil der eingesetzten Energie entsprach. Erzielt wurden 16 Megawatt Leistung des Reaktors bei 20 Megawatt Heizleistung (Aktivierungsenergie).

ITER-Projekt

Der Deuterium-Tritium-Fusionsreaktor wird im Forschungszentrum Cadarache im Süden Frankreichs zu wissenschaftlichen Zwecken erbaut.

Ex-Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete dieses Vorhaben als das größte Wissenschaftsprojekt seit der Internationalen Raumstation.

Der Reaktor soll die wissenschaftliche und technische Machbarkeit der Energieerzeugung aus Kernfusion demonstrieren. Als erster Versuchsreaktor soll er mehr Energie liefern, als er zum Betrieb benötigt. Es wird mit einer Energieverstärkung von 10 gerechnet. Das bedeutet, dass zehnmal mehr Energie freigesetzt werden soll, als zur Aufheizung und Stabilisierung des Plasmas notwendig ist. Einen wesentlichen Beitrag zur positiven Energiebilanz liefert die Baugröße, der konsequente Einsatz von Supraleitern und die Verwendung des radioaktiven Tritiums. Der Energieausstoß soll sich dabei in den Dimensionen eines herkömmlichen Kraftwerks bewegen.

Mit dem Projekt sollen ferner die Hürden aufgezeigt und bewertet werden, die für eine praktische wirtschaftliche Anwendung der Kernfusion noch überwunden werden müssen. Der Reaktor soll den Betreibern die Erfahrung vermitteln, die für den geplanten nachfolgenden Demonstrationsreaktor (DEMO) notwendig ist.

Technische Daten

ITER funktioniert nach dem Tokamak-Prinzip: In einem Deuterium-Tritium-Plasma, das sich in einem toroidalen Magnetfeld befindet, wird nach dem Prinzip des Transformators ein elektrischer Strom induziert, der seinerseits mit seinem eigenen Magnetfeld auf das Plasma zurückwirkt. Diese Einschlussmethode erlaubt es, das Plasma auf genügende Temperatur und Dichte zu bringen, um die Fusionsreaktion zu "zünden", die dann als (energetische) Kettenreaktion weiter "brennt", solange die Bedingungen dafür aufrechterhalten werden. Die Magnetspulen zur Erzeugung des toroidalen Feldes bestehen aus Supraleitern.

ITER als Versuchsanlage wird noch keine elektrische Nutzenergie erzeugen. ITER wird auch noch kein vollständiges Brut-Blanket besitzen, sondern die Blankettechnologie wird hier an verschiedenen Testeinsätzen erprobt werden.

Nach den bisherigen Planungen (Stand 2001) sind die technischen Eckpunkte:

Gesamtradius: 10,7 Meter
Gesamthöhe: 30 Meter
Plasmaradius: 6,2 Meter
Plasmavolumen: 837 Kubikmeter
Masse des Plasmas: 0,5 Gramm
Magnetfeld: 5,3 Tesla
Maximaler Plasmastrom: 15 Megaampere
Heizleistung und Stromtrieb: 73 Megawatt
Fusionsleistung: 500 Megawatt
Energieverstärkung: 10x
Mittlere Temperatur: 100 Millionen Grad Celsius
Brenndauer jedes Pulses: > 400 Sekunden

Projekt

Bei Gesprächen 1985 zwischen Michail Gorbatschow, François Mitterrand und Ronald Reagan wurde eine Zusammenarbeit bei der Forschung beschlossen. Die ersten Planungen begannen 1988 im deutschen Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, die 1990 in einem ersten Entwurf eines Versuchsreaktors resultierten.

Baubeginn ist für 2008 geplant. Mit einer Betriebsaufnahme ist jedoch nicht vor 2018 zu rechnen. Der Reaktor hat eine geplante Laufzeit von 20 Jahren. Nach erfolgreichen Experimenten und dem Beweis, dass Energiegewinnung mittels Fusion machbar und wirtschaftlich ist, soll ein erstes Fusionskraftwerk (DEMO) gebaut werden, das Kriterien der Wirtschaftlichkeit erfüllen muss.

Die Kosten für das ITER-Projekt wurden ursprünglich auf etwa 10 Milliarden Euro veranschlagt. Neben den Betriebskosten von rund 4,5 Milliarden Euro (über geplante 20 Jahre) beinhaltete diese Summe auch etwa 4 Milliarden Euro für Planung und den Bau der Anlage. Davon wiederum musste ca. 1,5 Milliarden Euro das Land tragen, in dem der Reaktor errichtet wird, während der Rest unter den anderen Projektpartnern aufgeteilt werden sollte. Mittlerweile wurde das Projekt in eine kleinere Version mit ca. 6 Milliarden Euro geändert (Stand Juni 2005).

Wenn sich die Ergebnisse aus dem Probebetrieb wie erwartet gestalten, kann mit einem ersten regulären Fusionskraftwerk ab 2060 (Stand: 11/2006) gerechnet werden.

Von deutscher Seite am Projekt beteiligt sind das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, das Institut für Plasmaphysik (IPP) am Forschungszentrum Jülich und verschiedene Institute des Forschungszentrums Karlsruhe. Weitere wissenschaftliche Zentren liegen in San Diego, USA und Naka, Japan. Das Aufsichtsgremium ITER-Council hat seinen Sitz in Moskau, Russland.

Standort

Der ITER wird in Cadarache (Südfrankreich) gebaut werden. So haben sich die Teilnehmer mit dem Rückzug Japans auf den französischen Standort geeinigt. Am 24. Mai 2006 wurde von den Regierungen aller Projektpartner diesbezüglich ein Vertrag unterschrieben. Frankreich verpflichtete sich mit dem Vertrag zu umfangreichen notwendigen Investitionen (Straßen, Stromversorgung, Datenleitungen, Infrastruktur für die zukünftigen Forscher und deren Familien etc.)

Seit 2001 wurde über einen Standort für den ITER beraten. Standortbewerbungen kamen aus Frankreich, Spanien, Japan und Kanada. 2005 konkurrierten noch Frankreich (Cadarache) und Japan (Rokkasho-Mura) um den Standort. Während die USA, Japan und Südkorea den Standort Rokkasho-Mura bevorzugten, stimmten die EU, die Volksrepublik China und Russland für Cadarache. Am 28. Juni 2005 entschieden die beteiligten Staaten, den Versuchsreaktor im französischen Cadarache zu erstellen. Bei der Zustimmung Japans spielten aber nicht nur sachliche Abwägungen, sondern auch außenpolitische Aspekte eine Rolle. Außerdem sollen Japan Sonderkonditionen eingeräumt werden, da es sich doch dazu entschloss, dass der Reaktor in Europa gebaut werden soll. Bereits im November 2004 hatte der EU-Ministerrat einstimmig beschlossen, ITER nur in Cadarache zu bauen, notfalls auch ohne die Beteiligung Japans, Südkoreas und der USA.

Für den Bau des ITER gab es bis 2003 auch eine inoffizielle deutsche Bewerbung mit dem ehemaligen KKW-Nord „Bruno Leuschner“ in Lubmin an der Ostsee. Der ITER Förderverband Region Greifswald unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Alfred Gomolka reichte 2002 eine vollständige Standortbewerbung bei der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns ein. Diese wurde jedoch vom zuständigen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff nicht weitergeleitet. Im Sommer des Jahres 2003 zog Bundeskanzler Gerhard Schröder – trotz einer Zusage des ehemaligen Kanzlers Helmut Kohl – die Zusage zur Bewerbung um den ITER zurück. Bis dahin war Lubmin international der erfolgversprechendste Konkurrent. Der nun festgelegte Standort Cadarache in Frankreich ist ein Erdbeben-Risikogebiet, dies galt ebenfalls für den in Betracht gezogenen japanischen Standort.

Finanzierung

Am 21. November 2006 unterzeichneten die Teilnehmer am ITER-Projekt im Elyséepalast in Paris den endgültigen Vertrag, der auch die Finanzierung für die Errichtung regelt. Teilnehmerstaaten sind neben der EU noch China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA.

Als Ausgleich für die Wahl eines europäischen Standortes, sagte man Japan einen mindestens zehnprozentigen Anteil an den Aufträgen zur Ausstattung des Reaktors, sowie die Förderung japanischer Forschung aus Mitteln der EU zu.

Die Errichtung soll 5 Mrd. Euro kosten. Eine Milliarde Euro werden für Standortkosten, also Infrastruktur und Sicherung ausgegeben, davon trägt Frankreich 500 Millionen Euro. Die Baukosten (4 Milliarden Euro) trägt zu 30 % die Europäische Union.

Kritik und Diskurs

Die Ankündigung des Standortes für den Versuchsreaktor hat eine Kontroverse über das Projekt, und über die Kernfusion im Allgemeinen, entfacht:

  • Kritiker monieren, es gebe derzeit keinen Nachweis, dass Kernfusion zur Energiegewinnung überhaupt wirtschaftlich genutzt werden könne. Sie befürchten, dass sich das Projekt finanziell nicht lohnen wird und dass die angestrebten Ziele nicht erreicht werden. Für das gesamte Projekt sind bisher über zehn Milliarden Euro veranschlagt worden.
  • Zudem wurde auch eingewendet, dass man für die Bausumme des Reaktors Solarzellenanlagen mit einer Jahresleistung von mindestens 6,5 Milliarden kWh (entspricht ungefähr einem AKW) installieren könne. In dem Falle ließe sich dann, bei ähnlicher wirtschaftlicher Stimulation, ein Return on Investment innerhalb von etwa zehn Jahren erzielen. Die geplante Reduzierung des CO2-Ausstoßes würde so jedoch im weltweiten Vergleich allenfalls zu einem Bruchteil erreicht werden.

Einwände zu den Kritikpunkten

  • Allein die deutschen Subventionen für Kohleförderung betragen jedes Jahr 3,5 Milliarden €.[1] Der Zweck von ITER ist, in den nächsten 30 Jahren zu erproben, ob die Energiegewinnung durch Kernfusion technisch möglich ist und wirtschaftlich rentabel sein kann.
  • Da ITER als Forschungsreaktor konzipiert ist, welcher den Weg zur Gewinnung von neuen Energiequellen ebnen soll, kann kein Return of Investment von der Einzelinvestition verlangt werden. Es handelt sich um Entwicklungskosten, deren Amortisation sich im Falle eines Erfolges auf eine ganze Generation neuer Kraftwerke verteilen müsste.

Siehe auch

Literatur

  • Daniel Clery: ITER's $12 Billion Gamble in Science. Vol. 314, 13. Oktober 2006. Seiten 238-242

Referenzen

  1. Brand eins 4/2005: Plasma – die stille Revolution

Koordinaten: 43° 41′ 15″ n. Br., 5° 45′ 43″ ö. L.

 
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