Weltrekord-Material macht aus Wärme Elektrizität

15.11.2019 - Österreich

Ein neuartiges Material erzeugt aus Temperaturunterschieden sehr effizient elektrischen Strom. Damit können sich Sensoren und kleine Prozessoren kabellos selbst mit Energie versorgen.

© TU Wien

Prof. Ernst Bauer im Labor

Thermoelektrische Materialien können Wärme direkt in elektrische Energie umwandeln. Das liegt am sogenannten Seebeck-Effekt: Wenn zwischen den beiden Enden eines solchen Materials ein Temperaturunterschied besteht, wird elektrische Spannung generiert und Strom kann fließen. Wie viel elektrische Energie bei einer gegebenen Temperaturdifferenz gewonnen werden kann, wird mit Hilfe des sogenannten ZT-Wertes gemessen: Je höher der ZT-Wert eines Materials ist, umso besser sind seine thermoelektrischen Eigenschaften. Beste bisherige Thermoelektrika kamen auf ZT-Werte von etwa 2,5 bis 2,8. Am Christian Doppler Labor für Thermoelektrische Materialien an der TU Wien gelang es nun, ein völlig neues Material zu entwickeln, mit einem ZT-Wert von 5 bis 6. Es handelt sich dabei um eine dünne Schicht aus Eisen, Vanadium, Wolfram und Aluminium, aufgetragen auf einem Silizium-Kristall.

Das neue Material ist so effektiv, dass man es in Zukunft verwenden könnte, um Sensoren oder auch kleine Computerprozessoren mit Energie zu versorgen. Anstatt kleine elektrische Geräte an Kabeln anzuschließen, könnten sie ihren eigenen Strom aus Temperaturdifferenzen generieren. Im Fachjournal „Nature“ wurde es nun erstmals präsentiert.

Elektrizität und Temperatur

„Ein gutes thermoelektrisches Material muss einen großen Seebeck-Effekt besitzen und daneben zwei Anforderungen erfüllen, die schwer miteinander vereinbar sind“, sagt Prof. Ernst Bauer vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Einerseits soll es elektrischen Strom möglichst gut leiten; andererseits soll aber Wärme möglichst schlecht transportiert werden.“ Das ist eine Herausforderung, denn gewöhnlich hängen elektrische Leitfähigkeit und Wärmeleitfähigkeit eng miteinander zusammen.

Am Christian-Doppler-Labor für Thermoelektrizität, das Ernst Bauer 2013 an der TU Wien eröffnete, wurde in den letzten Jahren intensiv an unterschiedlichen thermoelektrischen Materialien für unterschiedliche Einsatzzwecke gearbeitet. Und dabei stieß man nun auf ein ganz besonders bemerkenswertes Material – eine Kombination aus Eisen, Vanadium, Wolfram und Aluminium.

„Die Atome in diesem Material sind normalerweise streng regelmäßig angeordnet, in einem sogenannten flächenzentrierten kubischen Gitter“, sagt Ernst Bauer. „Der Abstand zwischen zwei Eisenatomen ist immer gleich groß, dasselbe gilt für die anderen Atomsorten. Der ganze Kristall ist daher völlig regelmäßig aufgebaut.“ Wenn man das Material allerdings als dünne Schicht auf Silizium aufträgt, passiert etwas Erstaunliches: Die Struktur verändert sich radikal. Zwar bilden die Atome auch auf Silizium immer noch ein kubisches Muster, allerdings mit raumzentrierter Anordnung. Daher ist die Verteilung der unterschiedlichen Atomsorten nun völlig zufällig. „Da können zwei Eisenatome nebeneinandersitzen, die Plätze daneben sind von Vanadium oder Aluminium besetzt, und es gibt keine Regel mehr, die vorschreibt, an welchen Orten im Kristall wieder das nächste Eisenatom zu finden ist“, erklärt Bauer.

Durch diese Mischung aus Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit der Atomanordnung verändert sich auch die elektronische Struktur, die bestimmt, wie sich Elektronen im Festkörper bewegen. „Die elektrische Ladung bewegt sich dann auf eine andere Weise durch das Material, sodass sie von Streuprozessen geschützt ist. Man spricht hier von sogenannten Weyl-Fermionen“, sagt Ernst Bauer.  Auf diese Weise erreicht man einen sehr geringen elektrischen Widerstand. Gitterschwingungen hingegen, die die Wärme von Orten hoher zu Orten niedriger Temperatur transportieren, werden durch diese Unregelmäßigkeiten im Kristallaufbau gestört. Die Wärmeleitfähigkeit sinkt. Das ist wichtig, wenn aus einem Temperaturunterschied dauerhaft elektrische Energie gewonnen werden soll – denn wenn Temperaturunterschiede sehr schnell ausgeglichen werden könnten, hätte bald das gesamte Material überall dieselbe Temperatur und der thermoelektrische Effekt käme zum Erliegen.

Strom für das „Internet of Things“

„Eine derart dünne Schicht kann natürlich keine beliebig großen Energiemengen generieren – aber dafür ist sie extrem kompakt und anpassungsfähig“, sagt Ernst Bauer. „Wir wollen damit eine Energieversorgung für Sensoren und kleine elektronische Anwendungen ermöglichen.“ Der Bedarf dafür wird immer größer: Im „Internet of Things“ werden unterschiedlichste Geräte online miteinander verknüpft, damit sie ihr Verhalten automatisch aufeinander abstimmen. Besonders zukunftsträchtig ist das in großen Produktionsanlagen, wo eine Maschine dynamisch auf den Zustand der anderen reagieren soll.

„Wenn man in einer Fabrik eine große Anzahl an Sensoren benötigt, kann man die nicht alle verkabeln, das würde irgendwann ein unüberblickbares Chaos ergeben“, meint Bauer. „Viel klüger ist es, wenn sich die Sensoren ganz von selbst mit Energie versorgen, etwa über ein kleines, effizientes thermoelektrisches Element, dass die Abwärme einer Maschine nutzt. Damit kann auch gleich ein kleiner Prozessor betrieben werden, der die Daten auswertet und dann per WLAN zur zentralen Steuereinheit schickt.“

Genau diesen Markt soll das neue thermoelektrische Material nun voranbringen. Die Forschungsarbeiten finden im Rahmen des Christian-Doppler-Labors für Thermoelektrizität an der TU Wien statt. Unternehmenspartner ist die Firma AVL Graz, wissenschaftliche Partner das „National Institute of Material Science, NIMS“, Japan und der „Chinese Academy of Sciences“, China. Gemeinsam mit dem Unternehmenspartner wurden bereits zwei Patente eingereicht – mit Unterstützung der Forschungs- und Transfersupports der TU Wien.

Originalveröffentlichung

B. Hinterleitner et al.; "Thermoelectric performance of a metastable thin-film Heusler alloy"; Nature; 2019

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Revolutioniert künstliche Intelligenz die Chemie?