Fraunhofer ISE demonstriert erstmals Methanolsynthese aus Hochofengas im Langzeitbetrieb in einer Miniplant

Prozessoptimierung mit dem »digitalen Zwilling«

19.09.2022 - Deutschland

Methanol spielt als Basischemikalie eine wichtige Rolle für die Industrie und wird als einer der zentralen Energieträger der sich entwickelnden Wasserstoffwirtschaft gehandelt. Bei seiner konventionellen Herstellung aus Kohle und Erdgas fallen allerdings große Mengen an Treibhausgasemissionen an. Im Rahmen des Projekts »Carbon2Chem®« entwickelt das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE zusammen mit Partnern aus Industrie, Forschung und Lehre Verfahren zur Herstellung von Methanol aus Abgasen der Industrie am Beispiel der Stahlindustrie.

Fraunhofer ISE

In der Miniplant wurde die Methanolsynthese aus Hüttengasen erfolgreich demonstriert.

Erstmals konnte nun in einer Miniplant des Fraunhofer ISE mit einer Produktionsleistung von täglich zehn Litern die Langzeitstabilität der Methanolsynthese aus realem, gereinigtem Hochofengas über insgesamt mehr als 5.000 Stunden demonstriert werden. Zuvor hatte thyssenkrupp bereits 2018 den Machbarkeitsnachweis der Herstellung von Methanol aus Hochofengas im Projekt erbracht.

Die fossile Methanolsynthese und die Stahlherstellung mittels der Hochofenroute basierend auf Kohle sind für hohe CO2-Treibhausgasemissionen verantwortlich. Eine Verknüpfung der beiden Verfahren unter Verwendung von grünem Wasserstoff ermöglicht es, Methanol aus rein fossilen Quellen durch stoffliche Nutzung der Emissionen aus der Stahlherstellung mit grünem Wasserstoff als Reaktionspartner zu substituieren. »Die Verpflichtungen aus dem Klimaabkommen von Paris lassen sich nur erfüllen, indem Industriesektoren miteinander verknüpft werden. Wir müssen schwer zu vermeidende Emissionen in einen Kreislauf überführen«, erläutert Dr.-Ing. Achim Schaadt, Leiter der Abteilung Thermochemische Prozesse am Fraunhofer ISE.

Das im Jahr 2016 gestartete Projekt »Carbon2Chem®«, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, erforscht Verfahren zur Umwandlung von Prozessgasen aus der Stahlindustrie in Basischemikalien. »In Carbon2Chem® werden innovative Kräfte aus der Industrie, der angewandten Forschung und den Universitäten gebündelt, um schnell zu einer umsetzbaren systemisch optimierten Gesamtlösung zu kommen.«, betont Luis F. Piedra-Garza von thyssenkrupp Steel Europe.

Abgase als Ausgangsstoffe

Das Fraunhofer ISE, das seit zehn Jahren auf dem Gebiet der Methanolsynthese arbeitet, setzte bei der Entwicklung der Miniplant auf ein einfaches und robustes Prozesskonzept. Es basiert auf zwei ungekühlten Reaktoren sowie einer industrienahen Rezyklierung der unreagierten Gase. Die Anlage ging 2017 am Fraunhofer ISE in Freiburg in den Probebetrieb mit Flaschengasen, ehe sie 2019 ins Carbon2Chem®-Technikum in Duisburg transferiert wurde. Die Hüttengase aus dem benachbarten integrierten Stahlwerk werden in einer Gasreinigung von thyssenkrupp Industrial Solutions unter Nutzung von Katalysatoren und Sorbenzien des Spezialchemieunternehmens Clariant aufbereitet und für die nachfolgende Synthese von Katalysatorgiften befreit. »Das Schichtpersonal der thyssenkrupp Uhde Engineering Services hält die Gasreinigung rund um die Uhr am Laufen. Das Stahlwerk arbeitet im Dreischichtbetrieb, es gibt immer genug Gas. Wir haben ideale Voraussetzungen für den Dauerbetrieb im Technikumsmaßstab«, erklärt Max Hadrich, Leiter der Gruppe Power-to-Liquids am Fraunhofer ISE. In insgesamt mehr als 5.000 Betriebsstunden vor Ort konnten über 1.500 Liter Rohmethanol hergestellt werden. Der Fokus lag hierbei auf der Verwendung des gereinigten Hochofengases, das mit über 85 Prozent den größten Anteil an den Hüttengasen stellt. In einem über 3.000 Stunden andauernden Langzeittest konnte kein nennenswerter Rückgang der Katalysatoraktivität festgestellt werden. Dies bescheinigt eine gute Funktionsweise des Katalysator- und Anlagendesigns. »Carbon2Chem® und die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer ISE stellen einen idealen Rahmen dar, um die Leistungsfähigkeit unserer industriellen MegaMax® Methanolsynthesekatalysatoren für die effiziente und stabile Umsetzung CO2 reicher Prozessgase zu unterstreichen«, kommentiert Dr. Andreas Geisbauer vom Projektpartner Clariant.

Prozessoptimierung mit dem »digitalen Zwilling«

Eine wichtige Voraussetzung für die Prozessoptimierung der Methanolsynthese aus CO2-reichem Synthesegas ist die Verbesserung des kinetischen Modells für den in »Carbon2Chem®« eingesetzten Clariant-Katalysator, denn Reaktionen mit Kreislaufführung wie die Methanolsynthese erfordern ein tiefes Verständnis der komplexen Wechselwirkungen der Prozessparameter. Das Fraunhofer ISE konnte, basierend auf dem verbesserten kinetischen Modell, einen digitalen Zwilling der Miniplant entwickeln. Dieser ermöglicht es, die Lernprozesse zu beschleunigen und gleichzeitig Scale-up-Risiken für zukünftige industrielle Anlagen zu minimieren: »Nachdem wir unsere Modelle mit Daten aus der Miniplant validiert hatten, konnten wir Betriebspunkte simulieren und optimieren. So haben wir die Produktionsleistung der Miniplant immer weiter steigern können«, berichtet Florian Nestler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer ISE.

Regelungskonzept für Dynamik des integrierten Stahlwerks

Die Hüttengase sind als wesentlicher Ausgangsstoff in ihrer Menge und Zusammensetzung nicht konstant. Diese Randbedingung, die insbesondere für Prozesse auf Basis von erneuerbaren Energien häufig auftreten wird, ist für die Methanolsynthese eine neue Herausforderung. Je nach Betriebszustand oder vorhandenen Rohstoffen können die Eigenschaften der Gase aus der Kokerei (Koksherstellung), dem Hochofen (Umwandlung von Eisenerz zu Roheisen) oder dem Konverter (Umwandlung von Roheisen zu Stahl) erheblich schwanken. Mit den gesammelten Daten kann nun ein Regelungskonzept entworfen werden, um in Echtzeit auf Veränderungen zu reagieren und die Synthese stets in einem optimalen Betriebspunkt zu halten.

»Wir freuen uns, dass wir die Versuche in Duisburg erfolgreich abgeschlossen haben und uns dem Scale-up des Verfahrens widmen können«, sagt Max Hadrich. Die validierten Prozessmodelle werden nun im nächsten Schritt dafür genutzt, großtechnische Anlagen auszulegen, techno-ökonomische Bewertungen durchzuführen und den CO2-Fußabdruck des Verfahrens zu bewerten.

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