Formgedächtnis für Nanoobjekte

Erstmals nur zwanzig Nanometer dünne Formgedächtnisobjekte hergestellt: Grosser Anwendungsbereich

21.03.2023 - Schweiz

Forschende der ETH Zürich erreichten erstmals einen Formgedächtniseffekt bei Objekten, die nur wenige Nanometer dünn sind. Das lässt sich nutzen, um winzige Maschinen und kleine Roboter im Nanomassstab herzustellen.

ETH Zürich / Minsoo Kim

ETH-Forschenden ist es zum ersten Mal gelungen, Objekte mit Formgedächtnis herzustellen, die nur zwanzig Nanometer dünn sind.

Legierungen, die nach Verformungen zu ihrer Ausgangsstruktur zurückwechseln können, besitzen ein sogenanntes Formgedächtnis. Dieses Phänomen und die daraus resultierenden Kräfte werden in vielen maschinellen Antriebssystemen angewendet, beispielsweise bei Generatoren oder Hydraulikpumpen. Jedoch konnte dieser Formgedächtniseffekt bis anhin nicht im kleinen Nanobereich genutzt werden: Bei vielen Legierungen mit Formgedächtnis wechseln Objekte nur dann in ihre Ursprungsform zurück, wenn sie grösser als rund 50 Nanometer sind.

Forschende um Salvador Pané, Professor für Robotik-Materialien an der ETH Zürich, und Xiang-Zhong Chen, Wissenschaftler in dieser Gruppe, konnten diese Einschränkung mithilfe von keramischen Stoffen umgehen. In einer Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, demonstrieren sie den Formgedächtniseffekt an einer etwa zwanzig Nanometer dünnen Schicht aus Materialien, die als ferroische Oxide bezeichnet werden. Diese Errungenschaft ermöglicht die Anwendung des Formgedächtniseffekts nun auch bei winzigen Maschinen im Nanobereich.

Eine spezielle Struktur ist nötig

Auf den ersten Blick scheinen ferroische Oxide wenig geeignet zu sein für den Formgedächtniseffekt: Im grossen Massstab sind sie spröde, und um davon sehr dünne Schichten herzustellen, müssen sie in der Regel auf ein Trägermaterial aufgetragen werden, wodurch sie unflexibel werden. Um den Formgedächtniseffekt trotzdem hervorrufen zu können, nutzten die Forschenden zwei unterschiedliche Oxide, Bariumtitanat und Kobalteisenstein, von denen sie dünne Schichten kurzzeitig auf ein Trägermaterial auftrugen und anschliessend wieder davon lösten. Die Gittereigenschaften der beiden Oxide unterscheiden sich erheblich voneinander. Nachdem die Forschenden den Streifen mit den beiden dünnen Schichten vom Trägermaterial gelöst hatten, entstand durch die Spannung zwischen den zwei Stoffen eine spiralförmig verdrehte Struktur.

Auf diese Weise produzierte nanoskalige Strukturen aus ferroischen Oxiden sind hochelastisch, belastbar, und sie ermöglichen flexible Bewegungen. Ausserdem zeigten sie einen Formgedächtniseffekt: Als die Forscher eine mechanische Zugkraft auf die Struktur ausübten, dehnte sich diese aus und verformte sich dauerhaft. Anschliessend richteten die Wissenschaftler:innen einen Elektronenstrahl eines Rasterelektronenmikroskops auf die verformte Struktur; sie kehrte in ihre Ursprungsform zurück Die elektrische Energie löste also einen Formgedächtniseffekt aus. Die Schichtdicke von etwa zwanzig Nanometern ist die kleinste Probengrösse, an der jemals ein solcher Effekt beobachtet wurde.

Normalerweise, in anderen Beispielen, wird der Formgedächtniseffekt durch thermische oder magnetische Manipulation ausgelöst. «Dass es bei den ferroischen Oxiden mit elektrischer Bestrahlung funktioniert, könnte mit der Ausrichtung der Polarisation innerhalb der Oxide zu tun haben», erklärt Chen. Während der Strang gedehnt wird, richtet sich die Polarisation innerhalb der Oxide parallel zur Strangebene aus. Durch den Elektronenstrahl richtet sich die Polarisation senkrecht zur Strangebene aus, wodurch die Struktur wieder ihre Ursprungsform annimmt.

Grosser Anwendungsbereich

Diese Reaktion auf elektrische Energie ist besser geeignet für zahlreiche Anwendungen, denn punktuelle Temperaturmanipulationen (die den Formgedächtniseffekt sonst hervorrufen) sind im Nanobereich nicht möglich. Ein Beispiel für eine Anwendung: Dank ihrer hohen Elastizität könnten die Oxide Muskelfasern oder Teile der Wirbelsäule ersetzen. «Eine weitere Anwendung wären neuartige nanoskalige Robotiksysteme: Die mechanische Bewegung, die beim Umschalten der beiden Strukturformen entsteht, könne zum Antrieb kleinster Motoren verwendet werden», sagt Donghoon Kim. Er hat als Doktorand an dieser Studie gearbeitet und ist einer ihrer beiden Erstautoren. «Darüber hinaus könnte unser Ansatz auch die Entwicklung von langlebigeren Nanomaschinen ermöglichen, da unser Material nicht nur elastisch, sondern auch dauerhaft ist», erklärt Minsoo Kim, Postdoc und ebenfalls Erstautor.

Der Anwendungsbereich könnte sogar noch erweitert werden auf flexible Elektronik und den Bereich Soft Robotics. In einer weiteren Studie, welche die Forschenden soeben in der Fachzeitschrift Advanced Materials Technologies veröffentlichten, konnten sie solche freistehenden Oxid-Strukturen dahingehend weiterentwickeln, dass sich ihre sogenannten magnetoelektrischen Eigenschaften genau kontrollieren und einstellen lassen. Angewendet könnten solche Formgedächtnisoxide unter anderem zur Herstellung von Nanorobotern, die in die Körper implantiert werden und Zellen stimulieren oder Gewebe reparieren können. Durch externe magnetische Felder könnten solche Nanoroboter in eine andere Struktur umwandeln und zum Beispiel im menschlichen Körper bestimmte Funktionen ausführen.

«Ausserdem könnte man die magnetoelektrischen Eigenschaften der Formgedächtnis-Oxid-Strukturen nutzen, um Zellen innerhalb des Körpers elektrisch zu stimulieren, beispielsweise um Nervenzellen im Gehirn zu aktivieren, für Herztherapien oder um die Knochenheilung zu beschleunigen», sagt Pané. Und schliesslich könnten magnetoelektrische Formgedächtnis-Oxide in nanoskaligen Geräten wie winzigen Antennen oder Sensoren eingesetzt werden.

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