Molekül-Turnen mit großem Anwendungspotenzial
Volker Lannert/Uni Bonn
Glitzernder Schnee und zugefrorene Teiche: Winterlandschaften sind ästhetisch und laden zum Schlittschuhlaufen, Schlitten- oder Skifahren ein. Ohne die einmaligen Eigenschaften von Wasser wäre das nicht möglich. Die Flüssigkeit verwandelt sich bei Minusgraden in wohl geordnete Eiskristalle, die als sechsarmige Schneeflocken vom Himmel rieseln oder als Eis Gewässer bedecken. „Durch die Kristallstruktur braucht gefrorenes Wasser mehr Platz als flüssiges, deshalb schwimmt Eis an der Oberfläche“, sagt Prof. Dr. Peter Vöhringer vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn.
Sauerstoff und Wasserstoff bilden eine Brücke
Ein Wassermolekül besteht aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom. Seine drei Atome liegen nicht auf einer geraden Linie, sondern knicken wie ein Bumerang ab. Die elektrischen Ladungen sind asymmetrisch verteilt: positiv am Wasserstoff- und negativ am Sauerstoffatom. Die entgegengesetzten Ladungen der benachbarten Wassermoleküle ziehen sich deshalb wie Magnete an – der Sauerstoff und der Wasserstoff bilden eine Brücke. „In flüssigem Wasser entstehen diese instabilen Wasserstoffbrücken für unvorstellbar kurze Bruchteile einer Sekunde“, sagt Prof. Vöhringer. Dagegen fügen sich die Wassermoleküle im Eis durch die Brücken zu regelmäßigen sechseckigen Strukturen zusammen, die dauerhaft sind – solange das Eis nicht schmilzt.
Die Drehung erfolgt in Form eines Flip-Flops
Es gelingt aber nicht immer, dass sich sämtliche Wassermoleküle im Eis zu perfekten Sechserringen ausbilden: Manchmal ragen statt eines Sauerstoff- und eines Wasserstoffatoms auch zwei Wasserstoffatome oder zwei Sauerstoffatome aneinander – dann liegt ein „Bjerrum’scher Defekt“ vor. Die gleich geladenen Atome stoßen sich dabei ab und vollziehen in einem „Flip-Flop“ eine Drehung, bis sich die Richtung der H-Brücke genau um 180 Grad geändert hat. „Experimentell konnte zuvor diese Flip-Flop-Bewegung noch nicht zeitlich aufgelöst beobachtet werden“, erläutert der Physikochemiker der Universität Bonn. Dem Team von Prof. Vöhringer gelang nun mit Hilfe der Laserspektroskopie, wie in einem molekularen Kino die Bewegung der Wasserstoffbrücken im Billionstel Sekundenbereich aufzuzeichnen. Die Wissenschaftler führten die Beobachtungen an dem einfachen Modellmolekül Pinakol durch, einer organischen Verbindung, aus der wie beim Wasser ebenfalls Gruppen mit Sauerstoff- und Wasserstoffatomen herausragen.
Grundlage für die Entwicklung effektiverer Brennstoffzellen
Was zunächst wie eine reine Turnübung von Molekülen wirkt, hat großes Anwendungspotenzial: etwa für die umweltfreundliche Verbrennung von explosivem Wasserstoff zu harmlosem Wasser in Brennstoffzellen. Die Effektivität dieser technischen Anwendung hängt entscheidend davon ab, wie gut die Wasserstoff-Ionen im Innern der Brennstoffzelle transportiert werden können. „Unsere Erkenntnisse zu den Wasserstoffbrücken-Flip-Flops zeigen einen Weg, wie dies besser und schneller geschehen kann“, blickt Prof. Vöhringer in die Zukunft.
8,3 Millionen Euro für die Verlängerung des Sonderforschungsbereichs
Die Grundlage solcher Reaktionen werden an der Universität Bonn im Sonderforschungsbereich „Chemie an Spinzentren: Konzepte, Mechanismen, Funktionen“ (SFB 813) untersucht. Für die Verbrennung von Wasserstoff ist Sauerstoff erforderlich, der zwei freie Elektronen als sehr reaktionsfreudige Einzelgänger hat. Diese Reaktivität und die außergewöhnlichen Eigenschaften von Materie mit ungepaarten Elektronen wollen die Wissenschaftler im Detail verstehen und mit modernsten Computerverfahren vorhersagen. Der interdisziplinäre Zusammenschluss von Forschern der drei chemischen Institute, des Pharmazeutischen Instituts und des LIMES-Instituts der Universität Bonn wird nun von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 8,3 Millionen Euro für weitere vier Jahre gefördert. „Wir freuen uns sehr über diese Verlängerung, weil wir dadurch an der Front der Forschung zu weiteren grundlegenden Erkenntnissen kommen können“, sagt Prof. Vöhringer, Koordinator des SFB 813. Diese Erkenntnisse können in Zukunft bei der Versorgung mit nachhaltiger Energie eine Schlüsselrolle spielen.