Flüssig an flüssig wird fest
Kieler Forschungsgruppe entdeckt kristalline Nanoschichten an Grenzflächen zwischen Flüssigkeiten
CAU
DESY
Wie allgemein bekannt, lassen sich Flüssigkeiten wie Öl und Wasser nicht mischen. Wie Grenzflächen zwischen zwei nicht mischbaren Flüssigkeiten auf atomarem Maßstab aussehen, ist jedoch weitgehend unbekannt, da sie mit den meisten Methoden der modernen Oberflächenforschung nicht untersucht werden können. Diese Lücke zu schließen ist das Ziel des Teams von Dr. Bridget Murphy und Professor Olaf Magnussen in der Kieler Physik. Dazu verwenden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die brillante Röntgenstrahlung des Hamburger Teilchenbeschleunigers PETRA III bei DESY. Ein von der Kieler Gruppe selbst konzipiertes Instrument, das LISA (Liquid Interfaces Scattering Apparatus) Diffraktometer, lenkt dort das hochkonzentrierte Röntgenlicht auf die Flüssigkeitsproben: „LISA wurde speziell für die Erforschung von Grenzflächen in Flüssigkeiten entwickelt. Denn hier laufen wichtige chemische Prozesse ab“, erklärt Murphy, die für den Aufbau des Instruments verantwortlich war.
In ihrer neusten Arbeit wollten die Forschenden erstmals herausfinden, wie chemische Wachstumsprozesse an Flüssigkeitsgrenzflächen im Detail ablaufen. Dazu untersuchten sie Quecksilber in einer Salzlösung, die Fluor-, Brom- und Bleiionen enthielt, und erhielten ein verblüffendes Ergebnis: Obwohl die Moleküle in den beiden Flüssigkeiten ungeordnet waren, bildete sich an ihrer Grenze eine Schicht mit kristalliner Ordnung von weniger als einem Nanometer Dicke. Dies ist zehntausendmal dünner als ein menschliches Haar. „Unsere Röntgendaten zeigen, dass diese Schicht aus einer Atomlage Fluor zwischen zwei Lagen Blei und zwei Bromlagen besteht“, erläutert Teammitglied Annika Elsen, die mit dieser Arbeit vor kurzem promoviert wurde. Auf dieser Nanoschicht wachsen anschließend perfekt ausgerichtete größere Kristalle.
Das Entstehen atomarer Ordnung an solchen ungeordneten flüssigen Grenzflächen ist für die Wissenschaft nicht nur von grundsätzlichem Interesse. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren verschiedene chemische Prozesse entwickelt, in denen Wachstum an Flüssigkeitsgrenzflächen zur Herstellung von Materialien und Nanopartikeln genutzt wurden. So zeigten amerikanische Wissenschaftler an der Universität von Michigan vor zwei Jahren, dass sich das Halbleitermaterial Germanium durch sehr ähnliche Prozesse äußerst energieeffizient aus seinem Oxid gewinnen lässt. Weiterentwicklungen solcher Verfahren könnten helfen, die hohen Energiekosten bei der Herstellung von Solarzellen zu senken. Dazu muss der Ablauf solcher Prozesse auf atomarer Skala jedoch besser verstanden werden. Die Arbeiten der Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bilden den ersten Schritt dazu.