Gespaltener Röntgenblitz zeigt schnelle Vorgänge

Neues Verfahren soll genauere Experimente an Röntgenlasern ermöglichen

07.04.2015 - Schweiz

SwissFEL, der Röntgenlaser des PSI, wird die einzelnen Schritte sehr schneller Vorgänge in Materialien sichtbar machen. Üblicherweise wird man dafür zwei Laser brauchen: einen konventionellen, der den Vorgang mit einem Lichtblitz anstösst, und den SwissFEL, der den veränderten Zustand kurz danach mit einem Blitz durchleuchtet. Forschende des Paul Scherrer Instituts haben nun ein neues Verfahren vorgeschlagen. Dabei wird nur der Blitz aus dem Röntgenlaser benötigt, der aber nun in mehrere Teile aufgeteilt wird: Ein Teil regt die Veränderung an, die anderen Teile kommen mit Verzögerung bei dem Material an, wo sie dessen veränderten Zustand zu verschiedenen Zeitpunkten untersuchen. Ein Vorteil des neuen Verfahrens ist, dass man den Zeitabstand zwischen den verschiedenen Teilen des einen Blitzes sehr genau kennt. Dies ist wichtig, wenn man die Details von Abläufen bestimmen will, die oft nur einige 100 Femtosekunden dauern. Das Verfahren haben die Forschenden am Röntgenlaser LCLS in den USA getestet.

Röntgenlaser wie der SwissFEL des PSI sollen die einzelnen Schritte sehr schneller Veränderungen sichtbar machen und so den Forschenden helfen, diese Veränderungen im Detail zu verstehen. Dabei kann es sich um Vorgänge im menschlichen Organismus handeln oder auch um solche in einem technischen Gerät. So bestimmt die Ausrichtung winziger Magnete in einer Festplatte, welche Inhalte gespeichert sind. Heute weiss man, wie es im Inneren des Materials aussieht, wenn die Daten gespeichert sind. Es ist aber nicht klar, was im Detail geschieht, während sich der Dateninhalt ändert. Das zu verstehen ist aber für die Entwicklung neuer Festplattenmaterialien wichtig.

Forschen in der Tradition der Kurzzeitfotografie

Die Forschenden, die diese schnellen Vorgänge untersuchen wollen, stehen dabei in der Tradition der wissenschaftlichen Kurzzeitfotografie, die 1872 mit dem britischen Fotografen Eadweard Muybridge begann. Er zeigte erstmals den detaillierten Bewegungsablauf eines galoppierenden Pferdes und bewies dabei, dass das Pferd tatsächlich immer wieder für einen kurzen Augenblick mit allen vier Hufen vom Boden abhebt. Dafür hatte er entlang des Weges, den das Pferd zurücklegte, Kameras aufgestellt, die ausgelöst wurden, wenn das Pferd einen mit dem Auslöser verbundenen, gespannten Faden durchriss.

Die Experimente am SwissFEL sollen einem ähnlichen Prinzip folgen, das die Forschenden mit dem englischen Begriff «Pump and Probe» bezeichnen. Der «Pump» entspricht gewissermassen dem Startschuss, der das Pferd zum Loslaufen bewegt. In vielen Fällen ist dies ein kurzer Laserblitz, der zum Beispiel die Veränderung in der Anordnung der winzigen Magnete im Speichermaterial anstösst. Der zweite Teil – «Probe» – dient dazu, die verschiedenen Stufen der Entwicklung abzubilden. Bei Muybridge waren es die Kameras, am SwissFEL werden es die kurzen Pulse aus dem Röntgenlaser sein, die das Material eine bestimmte Zeit nach dem «Pump» durchleuchten und so beispielsweise die magnetische Ordnung zu verschiedenen Zeitpunkten abbilden.

Doch in einem wesentlichen Punkt versagt der Vergleich zwischen der Anordnung von Muybridge und dem klassischen «Pump and Probe»: Während Muybridge alle Aufnahmen während eines einzelnen Laufs gemacht hat, plant man am SwissFEL, den Vorgang für jede Aufnahme neu zu starten. Das heisst, man regt das Material mit einem Pump-Puls an und lichtet den aktuellen Zustand nach einer bestimmten Zeit mit einem Röntgenblitz ab. Für das nächste Bild wiederholt man den ganzen Prozess, wobei man einen anderen Zeitabstand zwischen «Pump» und «Probe» wählt. Für Muybridge hätte das bedeutet, das Pferd immer wieder neu loslaufen zu lassen und immer nur ein Foto zu machen. So erhält man mit der Zeit eine vollständige Darstellung des Ablaufs.

Dieses Verfahren hat Nachteile: zum einen muss man darauf vertrauen, dass sich das untersuchte Material jedes Mal gleich verhält und dass es auch zuverlässig in den Anfangszustand zurückkehrt, bevor der nächste Pump-Puls kommt. Zum anderen stammen «Pump» und «Probe» aus verschiedenen Quellen, sodass es schwierig sein kann, den Zeitabstand zwischen beiden genau einzustellen. Die Vorgänge, die hier untersucht werden, dauern oft gerade mal hundert Femtosekunden. Man sollte den Zeitabstand zwischen den beiden Pulsen also noch deutlich genauer festlegen können, was sehr schwierig ist. Dabei sind 100 Femtosekunden gleich 0,0000000000001 Sekunden – das ist eine so kurze Zeit, dass das Licht gerade mal 0,03 Millimeter vorankommt.

Röntgenblitz aufspalten

Christian David, Forscher im Labor für Mikro- und Nanotechnologie am Paul Scherrer Institut hat nun ein alternatives Verfahren vorgeführt, mit dem die beiden Nachteile vermieden werden könnten. Denn hier stammen beide Pulse – «Pump» und «Probe» – nicht nur aus derselben Quelle, sondern sogar aus demselben Röntgenlichtblitz. Dieser wird vom Röntgenlaser erzeugt und anschliessend in mehrere Teilblitze aufgeteilt. Der grösste Teil fliegt direkt zum untersuchten Material und wirkt als Pump. Ein kleinerer Teil wird über einen Umweg geschickt, kommt mit entsprechender Verzögerung bei dem Material an und untersucht nun dessen veränderten Zustand. Da die Lichtgeschwindigkeit sehr genau bekannt ist und auch die Länge des Umwegs präzise gemessen werden kann, weiss man nun exakt, wie lang der Zeitabstand zwischen den beiden Pulsen ist. Eine zusätzliche Besonderheit ist, dass nicht nur ein Teilblitz abgezweigt wird, sondern gleich mehrere, die über verschieden lange Umwege fliegen, sodass der Zustand zu verschiedenen Zeitpunkten in einem einzelnen Versuch untersucht werden kann.

«Wir haben mit dieser Methode am Röntgenlaser LCLS in Kalifornien eine bekannte Struktur vermessen und gezeigt, dass sie funktioniert», sagt David. «Wir sind zuversichtlich, dass die Methode ganz neuartige Experimente ermöglichen wird.» Und er betont: «Das Verfahren wird das konventionelle "Pump and Probe" sicher nicht völlig ersetzen, da es hier oft auf die besonderen Eigenschaften des Pumplasers ankommt, der das untersuchte Material in einer spezifischen Weise anregt.»

Diamantgitter mit 20 Nanometer Linienabstand

Herzstück des Aufbaus sind «Gitter», rund 1 Millimeter mal 1 Millimeter grosse Platten aus Diamant, in die feine Linien eingeätzt sind – der Abstand zwischen den Linien beträgt zum Teil gerade mal 20 Nanometer, also 0,00002 Millimeter. Der Linienabstand ist so an die Eigenschaften des Röntgenlichts angepasst, dass die Gitter den Strahl in mehrere Strahlen aufteilen – den Hauptstrahl, der geradeaus durch die Gitter hindurchgeht, und mehrere Seitenstrahlen, die in verschiedene Richtungen abgelenkt werden. Die abgelenkten Strahlen treffen jeweils auf ein weiteres Gitter. Dieses lenkt die Strahlen wieder so ab, dass sie am Ende an der Stelle auf das untersuchte Material treffen, die vorher vom Hauptstrahl getroffen wurde. So können die abgelenkten Strahlen die Veränderungen an dieser Stelle vermessen.

Optische Komponenten herzustellen, mit denen man Röntgenlicht lenken kann, ist eine besondere Herausforderung. Herkömmliche Spiegel oder Glaslinsen, wie man sie für sichtbares Licht verwendet, sind für Röntgenlicht ungeeignet, sodass man auf feine Gitter zurückgreifen muss. Die Forschenden des Labors für Mikro- und Nanotechnologie am Paul Scherrer Institut gehören zu den weltweit führenden Spezialisten, wenn es um die Herstellung von solchen optischen Komponenten geht. Für das sehr intensive Licht eines Röntgenlasers müssen die Gitter aus Diamant hergestellt sein, weil andere Materialien einfach schmelzen würden.

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