Neue Kunststoffklasse: Entdecker der Vitrimere erhält Europäischen Erfinderpreis

Mit dem „Zauberkunststoff“ gehört Ludwik Leibler zu den Preisträgern in Paris

15.06.2015 - Frankreich

Ein Kratzer im Autolack, ein Riss in einem Sturzhelm oder ein kaputtes Plastikspielzeug – dank der bahnbrechenden Erfindung von Chemiker Ludwik Leibler (63) alles kein Problem mehr: Einfach erhitzen und der Schaden ist behoben. Der in Polen geborene französische Spitzenforscher gilt als Pionier in der Polymerphysik. Mit seiner Erfindung der Vitrimere hat der Professor und Leiter des Labors für weiche Materie und Chemie am ESPCI ParisTech (Ecole Supérieure de Physique et Chimie Industrielles) die Grundlage für ökologischen Kunststoff geschaffen – und damit einen Ausweg für den stetig wachsenden Berg an schwer abbaubaren Plastikmüll.

Europäisches Patentamt (EPA)

Ludwik Leibler

Für diese herausragende Leistung hat das Europäische Patentamt Ludwik Leibler im Palais Brongniart, der historischen Börse in Paris, im Beisein von rund 400 hochrangigen Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Industrie mit dem Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie „Forschung“ ausgezeichnet. „Kunststoffe sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken“, sagt EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Preisverleihung in Paris. „Dank Leiblers Erfindung kann herkömmlicher Kunststoff durch die recycelbaren Vitrimere ersetzt werden. Damit lässt sich die Umweltbelastung durch Plastikmüll deutlich verringern.“

Von der Vision zur preisgekrönten Erfindung

Es geschieht selten, dass ganz neue Arten von Materialien entwickelt werden, noch dazu solche, die scheinbar widersprüchliche Eigenschaften in sich vereinen. Der neue Werkstoff ist so hart wie Metall, bleibt dabei jedoch sowohl recycelbar als auch reparierbar und lässt sich anders als gewöhnliche Kunststoffe immer wieder verformen. Der CNRS-Forscher Ludwik Leibler erklärt: „Um ein neuartiges Konzept wie Vitrimer zu entwickeln, braucht man eine Vision, Mut, Neugier und auch eine Portion Glück.“ Gemeinsam mit seinem Team, François-Genes Tournilhac und Corinne Soulié-Ziakovic, experimentierte er auf der Suche nach einem derartigen Material mit Duroplasten. Der Durchbruch gelingt dem Forschungsteam, indem sie Zink und Carbonsäure als Katalysator hinzufügen. Bei 150 Grad beobachten sie eine erstaunliche Reaktion: Die Moleküle wechseln ihren Bindungspartner, während die Anzahl der Verbindungen jedoch gleich bleibt. Das Material ist damit verformbar, verflüssigt sich aber nicht: Die Vitrimere sind geboren.

Leichte und strapazierfähige Alternative zu Metall und Glas

Leibler hat seine Entwicklung durch ein Patent schützen lassen – nicht zuletzt mit Blick auf das große Anwendungspotenzial. „Es handelt sich um einen festen Werkstoff, der vollkommen unlöslich ist“, erklärt der Forscher die Vorteile der neuen Kunststoffklasse. „Er kann in einem sehr breiten Temperaturspektrum bearbeitet werden und ist zu 100 Prozent recycelbar. Im Gegensatz zu üblichen Polymeren schmilzt er auch nicht plötzlich.“ Vitrimere bilden eine leichte und strapazierfähige Alternative zu Glas oder Metallen. Weil sie durch Erhitzen wie Metalle verschweißt werden können, ermöglichen sie komplexe Objektformen, die sich durch Gusstechniken alleine nicht oder nur sehr aufwändig und damit kostspielig realisieren lassen. Sie können überall dort zum Einsatz kommen, wo Plastik verwendet wird. Zum Beispiel im Flugzeugbau, bei Fahrradhelmen oder Flügeln von Windkraftanlagen.

Organischer Klebstoff für die Medizin

Die Konzepte aus der Vitrimer-Physik bieten auch neue Möglichkeiten in der Medizintechnik: Aktuell forscht der Franzose an einem Klebestoff aus Quarzsand-Nanopartikel, die ähnlich wie die Vitrimere funktionieren. Bei biologischem Gewebe kann dieser Nanogel auf Wasserbasis aufgetragen werden, um dynamische Bindungen und Adhäsion zu erzeugen und so Wunden zu schließen oder Blutungen zu stillen. „Die Nanopartikel bilden austauschbare Bindungen zum Gewebe, die stark genug sind, um die beiden Gewebe zu vereinen,“ erklärt Leibler. Die mineralischen Nanopartikel können in nur zwei Minuten offene Hautwunden schließen oder medizinische Geräte an Gewebe und Organen verankern.

Und was hat der Visionär als nächstes vor? „Das ist schwierig, wir wissen noch nicht, was wir im nächsten Jahr forschen werden. Das wichtigste ist, dass es interessant ist, Spaß macht und nützlich für die Menschen sein kann“, so Leibler, der den begehrten Erfinderpreis bei der feierlichen Gala in Paris entgegennahm.

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