Die Erbsubstanz DNA trägt den Bauplan für alles Lebende - nun soll sie auch als
Schablone für "tote" anorganische Materie dienen. Allerdings in völlig anderer
Weise als der gewohnten "Übersetzung" ihres Codes aus Basenpaaren - statt dessen
zählt ihre räumliche Struktur: Japanische Forscher nutzen das Erbmolekül als
"Gerüst" für den Aufbau winziger Stäbchen und Kringel aus Silikat.
Betrachtet man Kieselalgen unter dem Mikroskop, eröffnet sich ein bizarrer
Mikrokosmos: Das Gerüst der Winzlinge besteht aus erstaunlich präzise gebauten
Silikatstrukturen. Das Interesse an solchen hochgeordneten anorganischen
Nanostrukturen, die als mögliche
Katalysatoren oder Bauteile für die
Nanotechnologie gehandelt werden, ist groß, ein Nachbau in Form künstlicher
Fossilien scheint bisher jedoch unmöglich. Während sich organische Materialien
über einen Selbstorganisationsprozess kleinerer maßgeschneiderter Bausteine zu
definierten Überstrukturen zusammenfügen lassen, sind anorganische dazu nicht in
der Lage. Der Ausweg könnte sein, organische Aggregate oder große Biomoleküle
als Ausgangspunkt für den Aufbau anorganischer Strukturen zu nutzen.
Das Team um Seiji Shinkai wählte eine Plasmid-DNA aus
Bakterien als Matrize, um
winzige Silikatstrukturen zu bauen. Zwei Hindernisse mussten dazu überwunden
werden: Die eingesetzten Silikat-Vorstufen sind negativ geladene Moleküle und
lagern sich nur an eine positive Schablone an - die DNA trägt aber ebenfalls
negative Ladungen. Zudem braucht der Silikat-Vorläufer ein organisches
Lösemittel, die DNA ist nur in
Wasser löslich. Beide Probleme konnte das Team
elegant auf einen Schlag lösen: Durch Anlagerung eines speziellen Ions an die
DNA, einer Kohlenwasserstoffkette, die an Kopf und Schwanz je eine positiv
geladene Gruppe trägt. Das Besondere: Die Kopfgruppe ist eine Guanidiumgruppe,
hier "teilen" sich zwei Stickstoffatome eine positive Ladung und können so
gleichzeitig an zwei Sauerstoffatome der negativ geladenen Phosphatgruppen des
DNA-Rückgrates andocken - eine besonders bevorzugte Konstellation. Die Vorliebe
der DNA-Phosphate für die Guanidinium-Gruppen ist daher um vieles größer als für
die zweite Ladung am Schwanz der Ionen. Sie bleibt frei und verleiht der DNA die
positive Ladung, um die Silikat-Vorläufer anzulocken und festzuhalten. Die
Kohlenwasserstoffketten der angedockten Ionen vermitteln die notwendige
Löslichkeit der DNA im organischen Lösemittel. So vorbereitet erwies sich die
Plasmid-DNA als ideale Matrix für die Silikatbildung: Die Silikat-Vorläufer
lagern sich an und verschmelzen zu einem Silikatmaterial. Die DNA kann später
durch Erhitzen entfernt werden. Normalerweise liegt die Plasmid-DNA zu einem
stabförmigen Gebilde verdrillt vor. Durch
Enzyme kann sie zu einem ringförmigen
Molekül entspannt werden. Beide Formen, Stäbchen und Kringel, lassen sich in
Silikat abformen. Die Forscher hoffen, mit anderen DNA-Typen noch weitere dieser
nanoskopischen "künstliche Fossilien" zu erzeugen.