Feldspiele

Elektrisches Feld als Reiz: chemisches System antwortet mit Bildung von Flüssigkristallen

29.06.2006

Ein elektrisches Feld als treibende Kraft für eine chemische Reaktion? Jean-Marie Lehn, Chemie-Nobelpreisträger (1987) und sein Mitarbeiter Nicolas Giuseppone konnten zeigen, dass in einem elektrischen Feld bevorzugt flüssigkristalline Imine entstehen.

Ausgangspunkt waren Sätze aus Aminen (organischen Verbindung mit einer Stickstoff- und Wasserstoff-haltigen Gruppe, -NH2) und Iminen (Molekül mit einem Aminbaustein, über dessen Stickstoffatom ein zweiter organischer Baustein angeknüpft ist, -N=). Die gewählten Amine und Imine sind in der Lage, reversibel miteinander zu reagieren, indem das zugegebene freie Amin Nr.1 den Amin-Baustein (Amin Nr. 2) aus dem Imin Nr. 1 verdrängt, wobei ein anderes Imin (Nr. 2) entsteht. Nach einer gewissen Zeit stellt sich ein Gleichgewicht zwischen der Hin- und der Rückreaktion ein, sodass eine Mischung aus Amin 1, Amin 2, Imin 1 und Imin 2 mit konstanten Konzentrationsverhältnissen entsteht. Die Konzentrationsverhältnisse solcher Gleichgewichtsmischungen hängen von äußeren Faktoren ab, etwa der Temperatur oder dem pH-Wert der Lösung. Eine Änderung stört das Gleichgewicht, worauf das System mit einer Verschiebung der Konzentrationsverhältnisse antwortet.

Lehn und Giuseppone wollten wissen, ob auch ein elektrisches Feld als Reiz dienen kann, auf den ein solches System antwortet. Sie wählten ihre Amin-Imin-Mischungen daher so, dass eines der beiden Imine eine Flüssigkristall-Phase ausbilden kann, das andere Imin nicht. Flüssigkristalle werden beispielsweise für Displays elektronischer Geräte eingesetzt (LCDs). Es handelt sich dabei um Flüssigkeiten, deren Moleküle allerdings nicht ungeordnet durcheinander schwimmen, sondern viele kleine Bereiche aus geordneten Strukturen bilden. Im elektrischen Feld richten sich diese Bereiche zu einer makroskopischen Struktur aus.

Wie würde nun das Amin-Imin-Gemisch bei Anlegen eines elektrischen Feldes reagieren? Das Feld stabilisiert das flüssigkristalline Imin. Dadurch wird das chemische Gleichgewicht so verschoben, dass vermehrt flüssigkristallines Imin entsteht. Interessanterweise zeigt die flüssigkristalline Phase, so lange das Feld anliegt, sogar eine Art "Selbstreinigungseffekt", indem sie alle Moleküle herausdrückt, die nicht an der Bildung des Flüssigkristalls beteiligt sind.

Die Versuche mit den Flüssigkristallen sind indes kein reiner Selbstzweck, es geht Lehn und seinem Team um grundlegende Methoden zur Suche nach Molekülen und strukturierten Materialien, die ganz bestimmte, genau definierte Funktionen erfüllen sollen. Ein Wirkstoff beispielsweise, der an ein bestimmtes Enzym binden soll, muss zu diesem passen wie der Schlüssel zum Schloss. Statt blind nach der "Nadel im Heuhaufen" zu stochern, bringen die Forscher mit Hilfe der "dynamischen kombinatorischen Chemie" Gleichgewichtsmischungen verschiedener molekularer Bausteine ("dynamische Bibliotheken") dazu, dass sich unter allen möglichen Kombinationsmöglichkeiten bevorzugt der zum "Schloss" passende "Schlüssel" von selbst bildet. Die obigen Ergebnisse zeigen, dass auch ein elektrisches Feld dabei als Reiz dienen kann.

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