Seveso-III-Richtlinie: 1:1-Umsetzung im Detail problematisch

10.07.2014 - Deutschland

Noch bis zum 31. Mai 2015 haben die EU-Staaten Zeit, die bereits 2012 in Kraft getretene Seveso-III-Richtlinie zur Beherrschung von Gefahren bei Unfällen mit gefährlichen Stoffen in nationales Recht umzusetzen. Zum momentanen Stand der Dinge in diesem und anderen Bereichen des Störfallrechts informierte die eintägige Intensivtagung "Die neue Seveso-III-Richtlinie und Aktuelles im Störfallrecht" der Umweltakademie Fresenius am 3. Juli 2014 in Dortmund.

Die deutsche Regierung strebe eine 1:1-Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie in nationales Recht an, erklärte zu Beginn der Veranstaltung Dr. Norbert Wiese (LANUV NRW). Zu diesem Zweck sei es notwendig, die Störfallverordnung zu ändern und die Verweise des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) anzupassen. Als problematisch bei der Umsetzung der Richtlinie hätte sich bislang vor allen Dingen die Einstufung gefährlicher Stoffe nach Anhang I dieser herausgestellt, so Wiese. Der Anhang sieht unter anderem eine vorläufige Zuordnung zu der ähnlichsten Gefahrenkategorie oder zu dem ähnlichsten namentlich aufgeführten gefährlichen Stoff im Anwendungsbereich der Richtlinie für alle Stoffe vor, die nicht unter die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen fallen, aber dennoch in einem Betrieb vorhanden sind oder vorhanden sein können und die unter den dort herrschenden Bedingungen hinsichtlich ihres Unfallpotenzials gleichwertige Eigenschaften besitzen bzw. besitzen können. Neben dieser Regelung berge darüber hinaus auch die Formulierung der Kategorie H2 AKUT TOXISCH Probleme bei der Änderung der Störfallverordnung, führte Wiese an.

Öffentlichkeitsbeteiligung: Droht der "gläserne Betrieb"?

Eine der wesentlichen Neuerungen der Seveso-III-Richtlinie betrifft Umfang und Qualität der Unterrichtung der Öffentlichkeit über betriebliche Vorgänge. Dr. Norbert Wiese zeigte auf, dass Informationen für die Öffentlichkeit künftig dauerhaft und auch in elektronischer Form verfügbar sein und stets auf dem aktuellen Stand gehalten werden müssen. Details, die der Öffentlichkeit mitzuteilen sind, beinhalten dabei zum Beispiel das Datum der letzten Vor-Ort-Inspektion, Einzelheiten schwerer Unfallszenarien (Brand, Explosion) oder Informationen aus dem externen Notfallplan. Dr. Ulrich Steuerle (BASF) warnte in diesem Zusammenhang vor der Gefahr des „gläsernen Betriebs“, bei dem zu befürchten sei, dass aufgrund der neuen Vorschriften Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach außen dringen würden und Unbefugte Eingriff nehmen könnten. Steuerle verwies deshalb auf die Möglichkeiten der Richtlinie, die Weitergabe von Informationen zu beschränken. Betreiber könnten bei der zuständigen Behörde beantragen, dass bestimmte Teile des Sicherheitsberichts oder des Verzeichnisses gefährlicher Stoffe nicht von dieser offengelegt bzw. weitergebeben würden, so der Experte. Ebenso könne die Behörde ihrerseits entscheiden, dass bestimmte Teile des Berichts oder Verzeichnisses nicht offengelegt werden. In einem solchen Fall lege der Betreiber der Behörde einen geänderten Bericht bzw. ein geändertes Verzeichnis vor, in dem diese Teile ausgeklammert seien, erklärte Steuerle. Die Weitergabe von Umweltinformationen sei darüber hinaus gesondert geregelt: Die Mitgliedstaaten könnten demnach vorsehen, dass ein Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen abgelehnt werden könne, wenn die Bekanntgabe negative Konsequenzen für (unter anderem) die öffentliche Sicherheit, laufende Gerichtsverfahren oder Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse haben könne.

Hinsichtlich weiterer Auswirkungen der Seveso-III-Richtlinie auf die Betreiber äußerte Steuerle, dass die anstehende Implementierung der CLP-Verordnung eine neue Stofferfassung notwendig mache und es erforderlich sei, den Genehmigungsbestand zu prüfen. Eine vollständige 1:1-Transformation der bisherigen Gefahrenkategorien in die neue CLP-Klassifikation sei definitiv nicht möglich, betonte er. Insgesamt steige der bürokratische Aufwand mit der Seveso-III-Richtlinie deutlich. Insbesondere für große Betriebsbereiche seien intensive Vorarbeiten vonnöten. Im Einzelfall bedürfe es auch einer rechtzeitigen EDV-technischen Vorbereitung. Die Unternehmen müssten darüber hinaus genügend Zeit für Kommunikation und Schulungen einplanen. Steuerle empfahl, den fachlichen Personalbedarf rechtzeitig zu ermitteln und bereitzustellen.

Einstufung von Abfällen nach der Störfall-Verordnung: Leitfaden in der Kritik

Die Kommission für Anlagensicherheit (KAS) hat für die Einstufung von Abfällen nach der Störfallverordnung eigens den Leitfaden KAS 25 entwickelt, der jedoch seitens der Entsorgerverbände kritisch beurteilt wird. Dr. Michael Oberdörfer (LANUV NRW) stellte die zentralen Kritikpunkte auf der Konferenz vor. Von Seiten der Entsorgerverbände wurde insbesondere kritisiert, dass die existierenden Richtlinien und Verordnungen für die Einstufung von Stoffen und Zubereitungen tatsächlich nicht auf Abfälle anwendbar seien. Abfall könne aus diesem Grund kein gefährlicher Stoff im Sinne der Störfallverordnung sein. Nach Ansicht der Entsorgerverbände käme allenfalls in Betracht, die im Abfall enthaltenen gefährlichen Inhaltsstoffe vorläufig einzustufen und deren Mengen hinsichtlich der Mengenschwelle der Störfallverordnung zu berücksichtigen. Da die Störfallverordnung die Berücksichtigung von Abfällen als gefährliche Stoffe ohnehin nicht vorsehe, erübrige sich darüber hinaus auch eine Zuordnung zu den bekannten Gefahrenkategorien. Dazu komme, dass man diese nicht anhand des H-Kriteriums vornehmen könne, da keine Vergleichbarkeit zwischen H-Kriterien und den Gefahrenkategorien des Stoffrechts herrsche. Zudem sei die pauschale Zuordnung von Abfall zu einer Gefahrenkategorie ohne Betrachtung der individuellen Bedingungen unzulässig. Dieser sehr weitgehenden und teilweise undifferenzierten Kritik wurde mit einem Schreiben des Bundesumweltministeriums am 13.12.2013 höflich aber entschieden widersprochen.

Auch die Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) übt Kritik am Leitfaden der KAS. Hauptkritikpunkt von ihrer Seite sei, dass der Leitfaden den Wortlaut der Störfallverordnung nicht vollständig berücksichtigt habe, so Oberdörfer. Nach diesem komme es darauf an, dass Abfälle unter den im Betriebsbereich angetroffenen Bedingungen ein gleichwertiges Störfallpotenzial wie andere Stoffe besitzen müssen, um nach der Störfallverordnung eingestuft werden zu können. Laut der LAGA könne man davon ausgehen, dass stückige Abfälle mit fester Konsistenz, die nicht leicht wasserlöslich sind und im Brandfall nicht verdampfen oder schmelzen können, keine Störfallrelevanz besitzen. Entsprechend dieses Hinweises müsse für jeden Abfall geprüft werden, ob die vorhandenen Inhaltsstoffe Störfallrelevanz besitzen oder nicht, erläuterte Oberdörfer. Vorschläge von Oberdörfer zur Überarbeitung des Leitfadens beinhalten unter anderem die Einführung einer Liste relevanter Schadstoffe mit Grenzwerten, eine Konvention zur (im Vergleich zur CLP-Verordnung) vereinfachten Bewertung der Umweltverträglichkeit von Stoffen, detaillierte Hinweise, welche konkreten Informationen des Abfallbesitzers zur Zusammensetzung des Abfalls hilfreich sein könnten sowie eine Empfehlung, verbindliche Regelungen im Betrieb hinsichtlich Menge, Schadstoffgehalt und Anzahl gefährlicher Abfallarten zu treffen. Der Leitfaden KAS 25 solle ab Ende 2014 durch einen Arbeitskreis der KAS überarbeitet werden, bei dem auch die Entsorgungswirtschaft vertreten sein werde, stellte Oberdörfer in Aussicht. Da ab Juni 2015 die Stoff- und Zubereitungsrichtlinie nicht mehr gelten, sondern nur noch die CLP-Verordnung, müsse der Leitfaden schon aus diesem Grund entsprechend angepasst werden.

TRAS 310 und 320: Schutzziele an Klimawandel angepasst

Die Störfallverordnung sieht vor, dass Anlagenbetreiber auch Störfälle aus „umgebungsbezogenen Gefahrenquellen“ so gut es geht verhindern müssen. Diese Vorschrift hat mit dem Klimawandel und dem damit einhergehenden Auftreten extremer Ereignisse und Wetterlagen an Brisanz gewonnen. Als Teil der deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel wurden die neue Technische Regel für Anlagensicherheit (TRAS) 310, die sich mit Vorkehrungen und Maßnahmen gegen die Gefahrenquellen Niederschläge und Hochwasser beschäftigt, sowie der Vorentwurf für eine TRAS 320 entwickelt, welcher Vorkehrungen und Maßnahmen bezüglich Wind-, Schnee- und Eislasten behandelt. Beide TRAS machten Vorgaben für die Berücksichtigung umgebungsbedingter Gefahrenquellen im Sicherheitsmanagement von Betrieben, erklärte Roland Fendler (Umweltbundesamt). Ebenso würden sie Mindestanforderungen für entsprechende Schutzziele aufstellen, die auch mögliche Folgen des Klimawandels berücksichtigten. So legt etwa die TRAS 310 diesbezüglich einen Klimaanpassungsfaktor von 1,2 fest, um mögliche Änderungen in der Intensität auslösender Ereignisse bis zum Jahr 2050 korrekt einbeziehen zu können. In 2050 sollen dann alle Anlagen unter Berücksichtigung des Faktors ausgelegt sein. Durch eine detaillierte Gefahrenquellenanalyse könne im Einzelfall vom Faktor 1,2 abgewichen werden, so Fendler. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Folgen des Klimawandels bereits anderweitig berücksichtigt seien oder die zuständige Behörde bereits Veränderungen festgestellt habe. Sollten andere Erkenntnisse hinsichtlich des Klimawandels vorliegen, würden diese im Rahmen der Überarbeitung der TRAS berücksichtigt, betonte der Experte. Grundsätzlich sei geplant, die TRAS nach spätestens fünf Jahren anhand des aktuellen Kenntnisstandes fortzuschreiben. Abschließend erklärte Fendler, dass die beispielhafte Anwendung der TRAS-Entwürfe gezeigt habe, dass beide praktisch anwendbar und geeignet seien, Defizite beim Schutz von Betriebsbereichen gegen Überflutungen, der Führung von Sicherheitsnachweisen sowie der Instandhaltung tragender Anlagenteile zu identifizieren und zu beseitigen.

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