Chemische Industrie sieht EU-Osterweiterung relativ gelassen entgegen

17.03.2004
Frankfurt/Main (dpa) - Die chemische Industrie in Deutschland blickt der EU-Osterweiterung relativ gelassen entgegen. In den zehn Beitrittsländern sieht sie vor allem lukrative Absatzchancen. «Es ist ein wichtiger Markt praktisch direkt vor der Haustür, der sich weiter überdurchschnittlich entwickeln wird», sagt der Leiter der Abteilung Handelspolitik beim Verband der Chemischen Industrie (VCI), Roland Seeling. Eine Verlagerungswelle deutscher Chemieproduktion nach Mittel- und Osteuropa sei nicht zu befürchten. Nach Einschätzung des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC) wird sich der Wettbewerb um Standorte und Arbeitsplätze aber verschärfen. Der Handel mit den Beitrittsländern hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. 2003 wuchsen die Chemieexporte nach Mittel- und Osteuropa um 7,3 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro. Damit erreichte der Außenhandel in etwa den Wert der Exporte nach Nordamerika. «Es ist eine gewaltige Entwicklung, die da stattgefunden hat», sagt Seeling. Vor allem Kunststoffe, Pharmazeutika und Spezialchemikalien aus Deutschland seien gefragt. Vom 1. Mai an werde der Handel mit den mittel- und osteuropäischen Staaten etwa wegen des Wegfalls von Zöllen noch leichter. «Das bietet die Möglichkeit, die Handelsbeziehungen zu intensivieren.» Dem hohen Exportanteil der deutschen Chemieindustrie nach Mittel- und Osteuropa steht ein geringer Produktionsanteil gegenüber. Tochterfirmen deutscher Unternehmen in den Beitrittsländern machen nach Angaben des VCI dort etwa zwei Milliarden Euro Umsatz. Der BAVC rechnet allerdings damit, dass auch Produktion aus Deutschland verlagert wird. «Bei einem Fünftel der hiesigen Personalkosten werden einige ausprobieren, ob sie nicht eine neue Produktion dort aufbauen», sagt BAVC-Sprecher Burkhard Jahn. Die westdeutsche Chemie habe bereits seit Jahren die weltweit höchsten Arbeitskosten. «Die Lösung für die deutsche Industrie liegt deshalb in neuen, intelligenten Produkten mit hoher Wertschöpfung.» Auch der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hubertus Schmoldt, sieht in einem Wettbewerb um das niedrigste Lohnniveau keine Perspektive. «Selbstverständlich brauchen wir eine Innovationsoffensive auf breiter Front, selbstverständlich brauchen wir möglichst viele intelligente Produkte und Produktionen», sagt Schmoldt in der Gewerkschaftszeitschrift «Mitbestimmung». Der Verlagerungsdruck habe zugenommen. Dabei spiele die EU-Osterweiterung aber weniger eine Rolle. «Überpointiert könnte man sagen, dass diese Entwicklung mit dem Fall der Mauer eingesetzt hat», sagt Schmoldt. In den vergangenen Jahren haben vor allem Großunternehmen ein dichtes Netz von Handelsniederlassungen in Mittel- und Osteuropa aufgebaut. Der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck hat inzwischen in jedem der zehn Länder eine Verkaufsorganisation. «Für uns ist das kein neues Thema, wir sind schon früh aktiv geworden und gut aufgestellt», sagte Unternehmenssprecher Jürgen Knackmuss. Von dem Gesamtumsatz in Höhe von 7,2 Milliarden Euro werde etwa 100 bis 200 Millionen in den Beitrittsländern erzielt. Eine Verlagerung der Produktion sei auf absehbare Zeit kein Thema. Vielmehr gehe es darum, wegen vorhandener Überkapazitäten die Standorte zu konzentrieren. «Durch die EU-Osterweiterung wird es keinen zusätzlichen Investitionsschub in Produktionsstandorte der chemischen Industrie in dieser Region geben», sagt der BASF-Betriebsratsvorsitzende Robert Oswald in Gewerkschaftszeitschrift. Der Schwerpunkt künftiger Neuinvestitionen werde «eindeutig in Asien liegen». Die Strategie der Unternehmen sei es, dort zu investieren, wo die dynamischen Märkte seien. Wenn Abnehmerbranchen der Chemie - wie die Textilindustrie oder die Hersteller von Kühlschränken - ihre Produktion nach Fernost verlagerten, wanderten die Zulieferer von Textilfarbstoffen oder dem Dämmstoff Polyurethan mit.

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