Auf die Füße geschaut

Kieler Forschungsteam erhöht Silikonhaftung nach Vorbild von Käfern

10.08.2018 - Deutschland

Geckos, Spinnen und Käfer machen es vor: Dank besonderer Haftelemente an ihren Füßen können sie mühelos an Decken oder Wänden laufen. Biologische Funktionen wie diese versucht die Wissenschaft der Bionik für technologische Anwendungen und künstliche Materialien nachzubilden und zu kontrollieren. Einem Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ist es jetzt gelungen, die Haftwirkung eines Silikonmaterials deutlich zu erhöhen. Dazu kombinierten sie zwei Methoden: Zunächst strukturierten sie die Oberfläche auf der Mikroskala nach dem Vorbild von Käferfüßen. Anschließend behandelten sie das Silikonmaterial mit Plasma. Außerdem fanden sie heraus, dass sich die Haftung des strukturierten Materials stark ändert, wenn es gekrümmt wird. Ihre Ergebnisse könnten unter anderem interessant sein für die Entwicklung winziger Roboter und Greifvorrichtungen.

Copyright: Emre Kizilkan

Unterschiedlich gekrümmt verändert sich die Haftwirkung des Silikonmaterials, dessen Oberfläche pilzkopfartig strukturiert wurde. Nach innen gebogen (konkav) ist die Haftwirkung am größten (rechts).

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Im Rasterelektronenmikroskop wird die Oberfläche mit pilzkopfartigen Haftelementen sichtbar. Inspiriert wurden sie von den Mikrostrukturen an den Füßen bestimmter Blattkäferarten.

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Mit Plasma behandelte Silikonoberflächen (unten) weisen eine stärkere Haftung auf als unbehandelte (oben). Erst nach 50,4 Sekunden löst sich das Material von der aufgesetzten Glasoberfläche (I), das unbehandelte bereits nach 32,8 Sekunden (D).

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Elastische Kunststoffe wie Silikonelastomere sind in der Industrie sehr beliebt. Sie gelten als flexibel, mehrfach nutzbar, günstig und einfach herzustellen. Verwendet werden sie deshalb zum Beispiel für Dichtungen, zur Isolierung oder als Korrosionsschutz. Durch ihre geringe Oberflächenenergie haften sie jedoch kaum. Das macht es zum Beispiel schwierig, Silikonoberflächen zu streichen.

Oberflächen mit pilzkopfartiger Mikrostruktur haften besser

Wie sich die Hafteigenschaften von Silikonelastomeren nach dem Vorbild der Natur verbessern lassen, erforschen Professor Stanislav N. Gorb und Emre Kizilkan von der Arbeitsgruppe Funktionelle Morphologie und Biomechanik an der CAU. Als Vorbild dient ihnen dabei die pilzkopfartige Oberflächenstruktur bestimmter männlicher Blattkäfer (Chrysomelidae). In zwei aktuellen Studien fanden sie heraus, dass Silikonelastomere am besten haften, wenn ihre Oberfläche pilzkopfartig strukturiert und anschließend sehr gezielt mit Plasma behandelt wird. Das elektrisch geladene Gas bildet den vierten Aggregatzustand neben fest, flüssig und gasförmig. Um die Biologie zu imitieren, kombinieren die Kieler Wissenschaftler also eine geometrische und eine chemische Methode. Außerdem zeigten sie, dass die Adhäsionseigenschaft des mikrostrukturierten Silikonmaterials von seinem Krümmungsgrad beeinflusst wird.

„Tiere und Pflanzen bieten uns einen großen Erfahrungsschatz an zum Teil unglaublichen Eigenschaften. Die Mechanismen dahinter wollen wir auf künstliche Materialien übertragen, um ihr Verhalten gezielt kontrollieren zu können“, so Zoologe Gorb. Für ihr Ziel einer reversiblen Haftung im Mikrobereich, die ohne Klebstoffe auskommt, sind ganz neue Anwendungsmöglichkeiten denkbar, zum Beispiel in der Mikroelektronik.

In Tests werden Silikonoberflächen gebogen

In einem ersten Schritt verglich das Forschungsteam Silikonelastomere mit drei unterschiedlichen Oberflächen, eine unstrukturierte, eine mit säulenförmigen Elementen und eine dritte mit einer pilzkopfartigen Struktur. Mithilfe eines Mikromanipulators hafteten sie eine Glaskugel an das Material und zogen sie wieder ab. Sie testeten, wie sich die Haftung ändert, wenn die mikrostruktierten Oberflächen konvex (nach außen gewölbt) und konkav (nach innen gewölbt) gebogen werden. „Wir konnten so zeigen, dass Silikonelastomere mit einer Pilzkopfstruktur im konkav gekrümmten Zustand eine zweimal größere Bandbreite an Haftstärken aufweisen“, erläutert Doktorand Emre Kizilkan, Erstautor der Studie. „Mit dieser Oberflächengeometrie können wir die Haftung also am besten variieren und haben die größte Kontrolle.“

Exakte Parameter für eine materialschonende Plasmabehandlung

In einem zweiten Schritt behandelten die Wissenschaftler die Silikonelastomere mit Plasma. Mit dieser Methode werden üblicherweise Kunststoffmaterialien funktionalisiert, um ihre Oberflächenspannung zu erhöhen und ihre Hafteigenschaften zu verbessern. Im Vergleich zu anderen Methoden, die mit Flüssigkeiten arbeiten, versprechen Plasmabehandlungen eine größere Langlebigkeit – allerdings beschädigen sie häufig die Oberflächen von Materialien.

Um herauszufinden, wie Plasmabehandlungen die Adhäsion eines Materials ohne Schaden signifikant verbessern können, variierten die Wissenschaftler im Prozess verschiedene Parameter wie die Dauer oder den Druck. Sie stellten fest, dass sich durch eine Plasmabehandlung die Haftung von unstrukturierten Oberflächen auf einem Glasträger um etwa 30% erhöht. Auf der pilzkopfartig strukturierten Oberfläche verbessert sich die Haftung bei optimalen Parametern sogar bis zu 91%. „Dieses Ergebnis hat uns besonders überrascht, weil die strukturierte Kontaktoberfläche zwar nur halb so groß ist wie die unstrukturierte, aber nach der Plasmabehandlung eine dreimal stärkere Haftungserhöhung aufwies“, erklärt Kizilkan.

Was bei dem Versuch passiert, die strukturierten Oberflächen vom Glasträger abzuziehen, zeigen die Aufnahmen einer Hochgeschwindigkeitskamera: Durch ihre höhere Oberflächenenergie bleibt die plasmabehandelte Mikrostruktur für 50,6 Sekunden vollständig in Kontakt mit dem Glasträger. Die Kontaktfläche der unbehandelten Mikrostruktur verringert sich hingegen schnell um etwa ein Drittel – das Material löst sich bereits nach 33 Sekunden vom Glasträger.

Besonders geeignet für Anwendungen in der Mikroelektronik

„Auf sehr kleinem Raum haben wir also eine starke Haftung, die wir sehr breit variieren können“, fasst Materialwissenschaftler Kizilkan die Ergebnisse zusammen. Das mache die Ergebnisse gerade für Anwendungen im kleinen Maßstab wie Mikroroboter interessant. Bereits entstanden ist aus den Erkenntnissen der Kieler Arbeitsgruppe ein extrem stark haftendes Klebeband, das nach dem „Gecko-Prinzip“ funktioniert und sich rückstandslos ablösen lässt.

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