04.12.2019 - Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Neue primäre Methode zur Druckmessung

Neuartiges Verfahren beruht auf elektrischen Messungen an Heliumgas

Quasi als Nebenprodukt bei den Arbeiten zum „neuen“ Kelvin haben Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) eine völlig neuartige Methode zur Druckmessung realisiert, die primär ist, also nur von Naturkonstanten abhängt. Als eine unabhängige Methode kann sie zur Überprüfung der genauesten Druckmessgeräte dienen, bei denen die PTB weltweit führend ist. Eine solche Überprüfung war bisher nur im Bereich bis 100.000 Pascal möglich, nun aber bis 7 Millionen Pascal. Damit wurde zum ersten Mal ein Vergleich zwischen mechanischer und elektrischer Druckmessung mit einer relativen Unsicherheit von weniger als 5 Millionstel durchgeführt. Zudem bietet die neue Methode einzigartige Möglichkeiten zur Untersuchung von Helium, einem wichtigen Modellsystem in der Grundlagenphysik.

Wer schon mal einen Pfennigabsatz auf den Fuß bekam, hat vielleicht unter Schmerzen darüber nachgedacht, dass Druck ja Kraft pro Fläche ist – genauer: das Ergebnis einer senkrecht auf eine Fläche wirkenden Kraft. Nach diesem Prinzip arbeiten auch die genauesten Druckmessungen. Bei einem Kolbenmanometer misst man den Gasdruck unter einem Kolben, dessen Fläche ganz genau bekannt ist, indem man die auf den Kolben wirkende Gewichtskraft bestimmt. Die Kolbenmanometer der PTB sind die derzeit genauesten Druckmessgeräte der Welt: Hochpräzisionsgeräte, jedes von ihnen mit sehr großem Aufwand hergestellt. Aber weil es Druckbereiche gibt, in denen selbst die besten Kolbenmanometer nicht so genau messen, wie es die Metrologen gerne hätten, gab es schon länger Bestrebungen, alternative Druckmessverfahren zu entwickeln. „Unser neues Verfahren ist im Prinzip sehr einfach: Es beruht auf der Dichtebestimmung des Messgases Helium mittels einer Kapazitätsmessung. Dabei messen wir, inwieweit das Gas zwischen den Elektroden die Kapazität eines hochstabilen, speziellen Kondensators ändert“ erklärt PTB-Physiker Christof Gaiser. Weil in diese Methode nur eine universelle Eigenschaft von Heliumgas eingeht, die über die Dielektrizitätskonstante ausgedrückt wird, ist sie eine primäre Methode.

Damit haben Gaiser und seine Kollegen einen bahnbrechenden theoretischen Ansatz zum ersten Mal in die Praxis umgesetzt. Mike Moldover formulierte 1998 am amerikanischen Metrologieinstitut NIST die Idee, den Druck über eine elektrische Messung (Kapazitätsmessung) unter Verwendung theoretischer Berechnungen der Gaseigenschaften von Helium zu messen. Die Realisierung dieser Idee erwies sich allerdings in den Folgejahren als große Herausforderung. Sowohl die Präzisionskapazitätsmessung als auch die notwendigen hochstabilen Kondensatoren sowie die theoretischen Berechnungen unter alleiniger Verwendung von Naturkonstanten (Ab-initio-Berechnungen) noch nicht mit der notwendigen Genauigkeit zugänglich waren. Darüber hinaus fehlte auch noch eine ausreichend gute Vergleichsmöglichkeit mit klassischen Kolbenmanometern.

All die experimentellen Hürden wurden im Laufe der letzten zehn Jahre an der PTB aus dem Weg geräumt. Durch die Arbeiten im Rahmen der Neudefinition der Basiseinheit Kelvin, die dieses Jahr am 20. Mai mit der Einführung des verbesserten Einheitensystems ihren krönenden Abschluss fanden, wurden sowohl die klassische Druckmessung mit Kolbenmanometern als auch die Kapazitätsmessung auf weltweit einzigartiges Niveau gehoben. Mit den neuesten theoretischen Berechnungen verschiedener Gruppen weltweit ist es nun erstmals gelungen, den Druck von 7 Millionen Pascal, d. h. dem siebzigfachen Normaldruck, mit einer relativen Unsicherheit von weniger als 5 Millionstel zu messen. Diese Messung wurde durch den Vergleich mit dem klassischen Kolbenmanometer bestätigt. Es war der erste Vergleich zwischen mechanischer und elektrischer Druckmessung „auf Augenhöhe“.

Damit steht eine zweite Methode zur hochgenauen Druckkalibrierung zur Verfügung. Die Methode und der direkte Vergleich zum klassischen Drucknormal bieten zum einen die Möglichkeit theoretische Berechnungen von Helium, einem wichtigen Modellsystem in der Atomphysik, zu überprüfen. Darüber hinaus können auch andere Gase vermessen werden und sowohl die Theorie als auch die Gasmetrologie weiterentwickelt werden.

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